# taz.de -- Das Ende der Behutsamkeit | |
> SANIERUNG Vor 20 Jahren fiel der Startschuss für die „behutsame | |
> Stadterneuerung“ im Ostteil Berlins. 2 Milliarden Euro steckte das Land | |
> in marode Häuser. Die Verdrängung hat das nicht verhindert. Warum | |
> eigentlich? Ein Wiedersehen mit den Akteuren einer nur mäßig | |
> erfolgreichen Strategie | |
VON UWE RADA | |
„Überlegen Sie doch, wie das damals aussah. An den Fassaden bröckelte der | |
Putz, oft waren noch die Einschusslöcher aus dem Krieg zu sehen.“ Wolfgang | |
Nagel schiebt sein Mineralwasserglas hin und her. Mit Basecap und beiger | |
Weste passt der 69-Jährige nicht so recht ins Café Einstein in der | |
Kurfürstenstraße, das „Stammhaus“, wie er sagt. Aber der legere Look passt | |
auch nicht zu einem ehemaligen Bausenator von Berlin. Vor zwanzig Jahren, | |
am 1. August 1993, gab der SPD-Politiker Nagel den Startschuss zur | |
behutsamen Stadterneuerung in Ostberlin. | |
„Zwei Monate später wurden bereits fünf Sanierungsgebiete ausgewiesen“, | |
sagt Nagel stolz und zählt auf: der Kollwitzplatz und der Helmholtzplatz in | |
Prenzlauer Berg, die Spandauer Vorstadt in Mitte, das Samariterviertel in | |
Friedrichshain und die Köpenicker Altstadt. Weitere folgten. Bis heute hat | |
der Senat 1,96 Milliarden Euro in 22 Sanierungsgebiete gesteckt. „Im | |
Rückblick“, meint Wolfgang Nagel, „hatten wir keine Alternative.“ | |
Kollwitzplatz und Helmholtzplatz: das war ein Prenzlauer Berg, das 1993 | |
gerade erst aus dem Dornröschenschlaf geküsst wurde. Das Café Westphal in | |
der Kollwitzstraße war die weit und breit einzige Kneipe. In der | |
Stubbenkammerstraße hatte das Café Bumerang eröffnet, eine Kellerbar mit | |
Besetzercharme. Doch noch immer heizten die Außenwandheizungen der Marke | |
Gamat eher den Prenzlberger Winter als die Wohnungen. | |
„In den Sanierungsgebieten herrschte Abwanderung“, erinnert sich der | |
Exsenator. „Die Menschen erwarteten von uns, dass wir handeln. Das haben | |
wir mit der behutsamen Stadterneuerung getan. Wir wollten die Häuser mit | |
öffentlichem Geld sanieren und den Bewohnern die Möglichkeit geben, auch | |
nach der Sanierung in ihrem Haus oder in ihrem Kiez zu bleiben.“ | |
Wer heute durch die Kollwitzstraße schlendert, sieht ein anderes Prenzlauer | |
Berg, eines, das im Vergleich zu 1993 wie ausgewechselt wirkt. Dicke | |
Familienkarossen haben den Gebrauchtwagen ersetzt, routiniert nippen die | |
Cafégäste am Aperol Spritz statt am Ostberliner Flaschenbier, | |
Noch-nicht-Mütter überholen auf ihren Rennrädern ängstliche | |
Gerade-erst-Muttis. Wo sind die Punks und Dreadlocks? Wo die Langhaarigen? | |
Wo die Normalos, die im Osten Stinos hießen? | |
## Anspruch und Wirklichkeit | |
Matthias Bernt wohnte damals in der Stubbenkammerstraße, gegenüber dem | |
Bumerang. 23 Jahre alt war er, als die Sanierung im Kiez begann. Gleich | |
danach wurde er in der Betroffenenvertretung aktiv. „Das war offiziell ein | |
Gremium für die Mitbestimmung. Wir haben uns aber auch politisch | |
eingemischt. Zum Beispiel haben wir erreicht, dass die Mietobergrenzen nach | |
einer privat finanzierten Sanierung länger als ein Jahr galten“, sagt | |
Bernt, der damals Politikwissenschaften studierte und inzwischen als | |
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regionalplanung und | |
Strukturentwicklung (IRS) in Erkner arbeitet. | |
In der Betroffenenvertretung des Sanierungsgebietes Helmholtzplatz hat | |
Bernt schnell begriffen, wie groß die Kluft war zwischen dem hehren | |
Anspruch des Senators und der täglichen Sanierungspraxis. 1997, da war er | |
gerade fertig mit der Uni, legte er im Auftrag des PDS-Abgeordneten Bernd | |
Holtfreter eine Studie vor, in der erstmals von Gentrification und | |
Verdrängung die Rede war. „Das führte zu großer Entrüstung beim | |
Sanierungsbeauftragten S.T.E.R.N., im Bezirksamt und beim Senat. Die | |
empfanden es als Provokation, dass da einer sagte: Ihr habt bei der | |
behutsamen Stadterneuerung überhaupt nicht alles im Griff.“ | |
Einer, der sich damals besonders ärgerte, war Theodor Winters, | |
Geschäftsführer des Sanierungsbeauftragten S.T.E.R.N. Im Auftrag von | |
Bausenator Nagel führte die S.T.E.R.N. GmbH Verhandlungen mit den | |
Hauseigentümern, schloss Verträge ab, überwachte das Sanierungsgeschehen. | |
Heute sagt Winters: „Das Problem mit der Verdrängung war von Anfang an | |
klar. Die Frage war nur: Wer vertritt das öffentlich und warum?“ | |
Der Betroffenenvertreter Bernt, so vermutet Theo Winters, der noch immer | |
die Geschicke von S.T.E.R.N lenkt, habe wohl eine Strategie darin gesehen: | |
die bewusste Verdrängung der Bewohner, und das mit öffentlichen Mitteln. | |
„Für uns war das völlig abstrus. Es war doch eher so, dass uns die | |
Verhältnisse mit dem Mauerfall überrollt hatten.“ | |
## Kaum einer blieb | |
Das „V-Wort“, das ein paar Jahre nach Sanierungsbeginn solche Emotionen | |
weckte, ist heute gang und gäbe. Bereits 2010 hat ein Gutachten des Büros | |
für Stadtplanung PFE, das S.T.E.R.N. in Auftrag gegeben hat, festgestellt, | |
dass rund um den Kollwitzplatz nur noch 25 Prozent der früheren Bewohner | |
lebten. In ihrer alten Wohnung waren nur noch 15 Prozent. Noch größer war | |
der Bevölkerungsaustausch im Sanierungsgebiet Winsstraße: Der Anteil derer, | |
die bereits 1993 im Kiez lebten, betrug 16 Prozent. | |
Hat sich der ganze Aufwand also gelohnt? Sylvia Höhne-Killewald ist sich da | |
nicht so sicher. „Baulich ist die Sanierung gelungen“, findet die | |
Geschäftsführerin der Mieterberatung Prenzlauer Berg. „Sozial dagegen eher | |
nicht.“ Höhne-Killewald hat ihr Büro in der Prenzlauer Allee. Lange Zeit | |
war die Verkehrsschneise eine Art Damm: Das Aufwertungskarussell am | |
Kollwitzplatz machte hier halt, das östlich der Allee gelegene | |
Winsstraßenviertel blieb verschont. Das hat sich inzwischen geändert, weiß | |
Silvia Höhne-Killewald. Der Schwung von 1993, den Bausenator a. D. Nagel | |
noch heute für sich reklamiert, war bald abgeebbt, erinnert sie sich: „Die | |
Förderung für die Sanierung wurde immer weiter zurückgefahren, bis der | |
rot-rote Senat sie 2002 ganz eingestellt hat.“ | |
Damit entfielen auch die im Sanierungsrecht festgelegten Einstiegsmieten | |
von unter 5 Euro pro Quadratmeter sowie die Belegungsrechte für den Bezirk, | |
in den geförderten Wohnungen Leute mit Wohnberechtigungsschein oder | |
Umsetzmieter unterzubringen. | |
Aber auch jenes Instrument, mit dem die Mieter bei privat finanzierten | |
Modernisierungen geschützt werden sollten, ist inzwischen nicht mehr | |
vorhanden. 2006 kippte das Bundesverwaltungsgericht die 1995 eingeführten | |
Mietobergrenzen. „Diese Berliner Erfindung war eigentlich eine | |
Erfolgsgeschichte“, sagt Höhne-Killewald. Weil im Sanierungsgebiet jede | |
Modernisierung genehmigt werden musste, konnte der Bezirk die | |
Sanierungsziele an eine zulässige Höchstmiete von etwa 5 Euro koppeln. | |
„Seitdem haben wir nichts mehr“, ärgert sich die Mieterberaterin. „Und j… | |
Neuvermietung und jede Umwandlung in Eigentum treibt die Mietenspirale nach | |
oben.“ Theodor Winter sagt es anders: „Der Dschungel hat sich hinter uns | |
wieder geschlossen.“ | |
## Zu wenig Gegenleistung | |
Hätte es Alternativen gegeben? Winters meint, man dürfe die behutsame | |
Stadterneuerung nicht für alles verantwortlich machen. Als behutsamer | |
Sanierer freue er sich, wenn die Mieter in einem Haus den unmittelbaren | |
Sanierungsprozess überstehen. Für das, was danach kommt, sei das Mietrecht | |
verantwortlich. „Das ist Bundesrecht. Dafür bin ich als behutsamer | |
Stadterneuerer nicht zuständig.“ | |
Gleichwohl räumt auch Winters ein, dass man heute anders vorgehen würde. | |
Dass die 20 oder 30 Jahre Mieten- und Belegungsbindung, die man im Gegenzug | |
für eine mit Steuergeldern bezahlte Sanierung bekommt, viel zu wenig seien. | |
Dass sich der Dschungel nicht mehr schließen solle nach Abschluss der | |
Sanierung und dem ersten Mieterwechsel. | |
„Man hätte mehr auf Genossenschaften setzen können“, so Winters. „Wenn … | |
behutsame Stadterneuerung weiterdenkt, reicht es nicht, einfach nur den | |
Prozess zu organisieren. Man muss über nachhaltige Finanzierungsformen | |
nachdenken. Das kann nur kommunaler Wohnungsbau sein oder die Förderung von | |
Genossenschaften. Das hat damals gefehlt, vor allem in den Boomgebieten.“ | |
Für Jens-Holger Kirchner, den sie vor 20 Jahren am Kollwitzplatz noch | |
„Nilson“ gerufen haben, ist die behutsame Stadterneuerung ohnehin | |
Geschichte. Als der Grüne 2011 Stadtrat für Stadtentwicklung wurde, waren | |
die meisten Sanierungsgebiete bereits aufgehoben. Und solange sie noch | |
nicht in sogenannte Milieuschutzgebiete umgewandelt sind, braucht kein | |
Eigentümer mehr eine Genehmigung für eine Modernisierung. Deshalb will | |
Kirchner den Milieuschutz stärken. „Derzeit erleben wir eine zweite | |
Modernisierungswelle“, sagt der Stadtrat. „Die Eigentümer wollen ein | |
zweites Bad, einen zweiten Balkon, Fußbodenheizung. Alles | |
Luxusmodernisierungen, die nur zum Ziel haben, die Miete hochzutreiben.“ | |
Inzwischen hat Kirchner einen Kriterienkatalog vorgelegt, der das | |
untersagt. „Gegen den Einbau eines Fahrstuhls haben wir aber keine | |
Einwände“, sagt er. „Auch hier werden ja die Mieter älter.“ | |
Matthias Bernt wirbt ebenfalls für eine alternative | |
Stadterneuerungspolitik. „Man hätte die Förderung auf bestimmte Träger | |
konzentrieren müssen. Zum Beispiel auf Genossenschaften. Auch eine | |
Kommunalisierung von Wohnungsbeständen wurde versäumt.“ Bei den Privaten, | |
sagt er, habe man viel Geld ausgegeben, das aber verpufft ist, wenn die | |
Bindungen auslaufen. „Lieber weniger und dauerhaft als viel und endlich.“ | |
Bernt hat es selbst erlebt. Sein ehemaliges Haus in der Stubbenkammerstraße | |
wurde schon viermal weiterverkauft, jedes Mal war der Kaufpreis höher. | |
Heute lebt er in der Bremer Höhe, einer Genossenschaft mit drei Baublöcken | |
zwischen Schönhauser Allee und Helmholtzplatz. Sie kam 2000 als eines der | |
letzten Projekte in den Genuss öffentlicher Förderung. | |
Wolfgang Nagel hat sein Mineralwasser ausgetrunken. Nach seiner Zeit als | |
Bausenator ist er in die Immobilienbranche gewechselt, er kennt also beide | |
Seiten. „Wenn wir für unser Geld mehr von den Eigentümern verlangt hätten, | |
dann hätten die dankend abgesagt“, sagt er. Ganz zufrieden ist er dennoch | |
nicht mit dem, was 20 Jahre nach Sanierungsbeginn passiert ist. „In den | |
Sanierungsgebieten in Westberlin“, räumt er ein, „hat das Soziale mehr | |
Erfolg gehabt.“ | |
3 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
UWE RADA | |
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