# taz.de -- Das Bild Berlins im Film: Die Seele der Stadt ist anderswo | |
> Lange dominierte im Film das Bild Berlins als Insel für Aussteiger – doch | |
> das Flair früherer Tage ist zum Stereotyp verkommen. Wer Neues erzählen | |
> will, muss ausweichen. | |
Bild: Die Hochbahn ist ein Muss: Szene aus dem Berlin-Film "Oh Boy" von 2012. | |
Viele kennen das seit Jahren: Man will zum Bäcker – geht nicht. Ein | |
Cateringbus steht im Weg. Wo steht das Auto? Abgeschleppt, weil Filmteam. | |
War Berlin vor 10, 15 Jahren filmtechnisch ein nahezu weißer Fleck auf der | |
Landkarte, so taucht die Stadt heute nicht nur in immer mehr Berlinfilmen | |
auf, sondern auch in Werbespots, Videoclips und Hollywoodfilmen mit Matt | |
Damon und Jackie Chan, die Berlin nur als schicke Kulisse (miss)brauchen. | |
Allein die Drehtage, die vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert | |
wurden, steigen stetig: 752 waren es im Jahr 2005, 1.789 im Jahr 2008 und | |
2.258 im Jahr 2011. | |
Bilder von Berlin fluten die Welt – und zwar nicht nur die der prominenten | |
Plätze, sondern auch jene, die Berlin im Film einmal besonders machten und | |
immer wieder auch auf der Berlinale für Furore sorgten. Denn auch, wenn | |
Berlin im Film ein unerschöpfliches Thema sein mag: Einen groben roten | |
Faden gibt es doch. Vorm Mauerbau wurde Berlin gern als schneller, oft | |
menschenfeindlicher Moloch gezeigt – Archetyp war Walther Ruttmanns „Berlin | |
– die Sinfonie der Großstadt“. Nach dem Krieg fokussierten viele | |
Berlinfilme dagegen auf die gespenstische Ruhe in der Trümmerstadt, und | |
schließlich wurde die Mauer zur Chiffre eines Ortes, an dem das dynamische, | |
urbane Leben verbaut ist. Auf einmal bevölkerten immer mehr Dropouts die | |
Filme – Außenseiter, die in den Ruinen abstürzten oder Inseln bauten, auf | |
denen man vor den Zumutungen west- wie ostdeutscher Normalitäten sicher | |
war. | |
Eines der stärksten Images von Berlin als Aussteigerstadt entstand immer | |
wieder in Prenzlauer Berg, besonders in der Gegend um die Schönhauser Allee | |
mit ihren Hochbahnviadukten. Schon Sunny, die schöne, unangepasste | |
Schlagersängerin aus Konrad Wolfs DEFA-Film „Solo Sunny“ (1980), wurde vor | |
allem in Abrisshäusern in der Malmöer und Kopenhagener Straße gefilmt. | |
Einmal fährt Sunny im Auto mit dem Zug auf der Hochbahn um die Wette – und | |
kommt doch nirgends an. Oft sitzt sie mit ihrem Freund am Fenster, sie | |
schauen auf kaputte Hinterhöfe, lauschen den Klängen einer Sitar und | |
sprechen von Sehnsucht. | |
Die Stadt ist dem Untergang geweiht – ihre Helden leben in einem Vakuum des | |
nicht-mehr und noch-nicht. Jahre nach der Wende schwenkt die Kamera in | |
Wolfgang Beckers Film „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997) noch immer über | |
Fassaden voller Einschusslöcher an der Schönhauser – nur, dass schon | |
überall renoviert wird. Die Dropouts dieses Films wissen trotzdem nicht, | |
wohin mit sich, bilden Ersatzfamilien, jobben im Schlachthaus oder als | |
Weihnachtsmann im Supermarkt. Am Schluss rennt ein Junge seiner Freundin | |
nach und springt auf die fahrende Tram, in der sie Akkordeon spielt. Ob die | |
beiden schnell genug sind für die Fahrt, die die Stadt aufgenommen hat? | |
Der bis dato letzte Film, der rund um die Schönhauser Allee gefilmt wurde, | |
ist Jan Ole Gersters „Oh Boy“, der vergangenen Herbst in die Kinos kam. | |
Auch hier schaut ein junger Loser traurig auf die Hochbahn. Er ist müde, | |
seine Sehnsucht nach Kaffee groß. Die Stadt, in der es sich einmal gut und | |
weitgehend ungestört vom besseren Leben träumen ließ, gibt es aber nicht | |
mehr, sie spiegelt sich nur noch in seinem melancholischen Gesicht. | |
„Oh Boy“ ist ein schlauer Film, der weiß: Das Berlin der großen Freiräume | |
ist längst geronnen zu einem hohlen Image, das jeder Realität entbehrt. Das | |
wird nicht nur von Politik und Stadtmarketing bemüht, sondern auch von | |
Hollywood: Steven Spielbergs Firma DreamWorks drehte gerade im Tacheles für | |
einen Film, der nicht vom Tacheles handelt. | |
Der Zug ist abgefahren, und zwar endgültig. Wer heute noch etwas über die | |
Wirklichkeiten dieser Stadt erzählen will, muss die letzten Ruinen | |
Ostberlins und die Hochbahn in Prenzlauer Berg meiden. Er sollte | |
ausweichen, in den Westen. Zum Beispiel an den Bundesplatz. | |
Dieser Text ist Teil des Schwerpunkts der Wochenendausgabe der taz.berlin | |
aus Anlass der Berlinale, die kommende Woche beginnt. In der taz.berlin | |
außerdem: Ein Besuch am Bundesplatz, der seit mehr als 25 Jahren von zwei | |
Filmemachern begleichtet wird, und ein historischer Blick auf die Stadt im | |
Film. Im Briefkasten oder am Kiosk | |
2 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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