| # taz.de -- Dann sind sie wieder niemand | |
| > Wenn der Verein Arminia aus der Fußball-Bundesliga absteigt, müssen auch | |
| > die Bewohner Bielefelds ihr Metropolenbewußtsein wieder abgeben – dann | |
| > muß ein Puff her ■ Aus Bielefeld Jens Kirschneck | |
| In jener U-Bahn, die vom Westfalenstadion Richtung Dortmunder Innenstadt | |
| fährt, mit Hunderten gestreßten Individuen beider Couleur an Bord, hat ein | |
| Herr in gelb-schwarzer Montur die Sache unlängst auf den Punkt gebracht. | |
| „Der Unterschied ist ja“, sagte dieser Herr, „wir können die Saison im M… | |
| abhaken. Ihr nicht.“ | |
| Stimmt. Sich vom Champions- League-Sieger zu einem Bundesliga-Mitläufer | |
| herabzuwirtschaften, ist eine Sache. Da kauft man sich dann eine neue | |
| Truppe und gut. Aber nach nur zwei Jahren ganz unnötig aus der Bundesliga | |
| gekegelt zu werden, die man sich unter großen Risiken und Mühen wieder | |
| erarbeitet hatte, auch und gerade als Fan, das ist etwas anderes. | |
| Das tut weh. Vorbei die rauschenden Nächte, Unterhaching hat sie wieder. | |
| Oder das benachbarte Gütersloh. An diesem Punkt würde die Angelegenheit | |
| noch eine ganz andere Dimension erlangen: Angenommen, der FC Gütersloh | |
| stiege auf, derweil Arminia in die Zweitklassigkeit ... was, um Himmels | |
| willen, würde dann aus dem Anspruch Bielefelds, das ostwestfälische | |
| Oberzentrum zu sein? Was könnte es gegenüber Bertelsmann, Miele und Uwe | |
| Weidemann noch in die Waagschale werfen außer ein paar Einwohnern mehr? | |
| Bielefeld, diese Stadt irgendwo in Westdeutschland, hat es nie zu großem | |
| Ruhm gebracht. Rudolf August Oetker, Arminia, das war's. Es ist der Klub, | |
| der die wichtigste Rolle für die städtische Imagebildung einnimmt. Oetker | |
| könnte überall herkommen, Arminia ist immer Bielefeld. | |
| Seit dem Aufstieg habe es hier weniger geregnet, wollen Zeitgenossen | |
| beobachtet haben. Schreiben wir die meteorologisch nicht nachweisbare | |
| Behauptung mal einem fanatisch verblendeten Geist zu, aber wie wäre es | |
| damit: Es entspräche einfach ihrem Metropolenverständnis, sagen auch manche | |
| dem Fußballsport nicht ganz und gar Verfallene, in einer Stadt zu wohnen, | |
| die einen Erstligisten beherbergt. Zum Beispiel, weil man dann auch mal in | |
| den Abendnachrichten stattfindet. Ist tatsächlich so. „Wenn wir in den | |
| elektronischen Medien genannt werden, dann zu über 90 Prozent wegen | |
| Arminia“, sagt Bielefelds Verkehrsdirektor Hans-Rudolf Holtkamp. | |
| Ansonsten ist hier ja nicht viel mit Metropole. Allein schon, weil es der | |
| Stadt, wie kürzlich ein anderer hochrangiger städtischer Mitarbeiter | |
| feststellte, an einem vernünftigen Puff fehle. Abwesenheit von | |
| Rotlichtbezirken ist ein Indiz von Provinzialität. Abwesenheit von | |
| Bundesligafußball komplettiert das Elend. | |
| „Ein Bundesligaverein ist wichtig für Bielefeld, da das Image einer relativ | |
| kleinen Stadt dadurch wächst“, wußte schon 1970 der damalige | |
| Oberbürgermeister Herbert Hinnendahl, SPD. Just war Arminia in die | |
| Bundesliga befördert worden. Der unmittelbar folgende Bundesligaskandal | |
| bestätigte den OB auf von ihm nicht intendierte Weise. Oetker verkaufte gar | |
| weniger Pudding, weil Arminia seine Gegner bestochen hatte. | |
| ## Das Glücksgefühl der Eingeborenen | |
| Eine Stadt profitiert vom Erfolg eines Vereins. „Im Beherbergungsgewerbe | |
| gäbe es ein Minus von schätzungsweise ein- bis zweitausend Übernachtungen | |
| pro Jahr“, schätzt Holtkamp die Folgen eines Abstiegs. Mit dem | |
| Bundesligafußball verknüpfe sich ein großer Apparat, „und der bindet | |
| zusätzliche Wirtschaftskraft“. Daß im Falle des Falles gar Arbeitsplätze | |
| vernichtet würden, so weit mag der Verkehrsdirektor nicht gehen. | |
| Doch spielen in diesem Zusammenhang eben nicht bloß direkt in Mark und | |
| Pfennig umrechenbare, sondern auch sogenannte weiche Imagefaktoren eine | |
| Rolle: der allgemeine Bekanntheitsgrad, das daraus resultierende | |
| Glücksgefühl der Eingeborenen etc. Um Mißverständnisse zu vermeiden: | |
| Selbstverständlich finden nicht alle die Bundesliga toll. Viele aber geben | |
| sich – „Wir sind wieder wer!“ – in den letzten zwei Jahren | |
| lokalpatriotischen Anwandlungen gerne hin. Und das soll jetzt alles schon | |
| wieder Geschichte sein? | |
| Ganz soweit ist es ja noch nicht. Eines steht aber schon fest: Sollte der | |
| Abstieg Realität werden, geht er merkwürdig still vonstatten. Anders als | |
| andere Krisen in den letzten Jahren ist diese nicht von Radau begleitet. | |
| Einen in bester Trapattoni-Tradition stehenden Ausbruch des Trainers | |
| Middendorp vor einigen Wochen haben die Spieler klaglos geschluckt. Vom | |
| bärbeißigen Manager Rüdiger Lamm hat man seit Monaten nichts gehört. Die | |
| lokalen Medien fahren auf Schmusekurs. Und das Team spielt meist ebenso | |
| gut, wie es regelmäßig verliert. | |
| Irgend etwas kommt eben immer dazwischen, mal sehen, was es heute gegen den | |
| VfL Wolfsburg sein wird. Die Fans singen aber trotzdem „Arminia, wie schön | |
| sind deine Tore“. Auch beim Stand von 0:3. Und das ist nicht einmal | |
| spöttisch gemeint. Vielmehr hat man den Eindruck, daß sie damit das | |
| Geschehen auf dem Rasen und dessen Folgen als ihr eigenes unabwendbares | |
| Schicksal akzeptieren. Als würde ihnen jetzt klar, daß die Bundesliga doch | |
| nur ein Ausflug und kein Wohnsitz war. | |
| Schluß mit Schwadronieren: Wenn das noch fünf Wochen so weitergeht, dann | |
| war's das mit Abendnachrichten, Oberzentrum, hartem und weichem Image. Dann | |
| braucht die Stadt einen Puff. | |
| 4 Apr 1998 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Kirschneck | |
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