# taz.de -- DVDESK: Wachteln wackeln mit den Beinchen | |
> „Eraserhead“. Regie: David Lynch. Mit Jack Nance, Charlotte Stewart u. a. | |
> USA 1977, 85 Min. Ab 13 Euro im Handel | |
Nicht jeder, der fünf Jahre in den Bastelkeller geht, kommt mit etwas | |
zurück, das dann im kollektiven Unbewussten der westlichen Intelligenz | |
Platz nimmt. Genau dies aber gelang gleich mit seinem Langfilmdebüt dem | |
zuvor als Maler und Kurzfilmexperimentator nur mäßig erfolgreichen David | |
Lynch. Im Jahr 1977 war der 1972 mit einem Budget von 10.000 Dollar | |
begonnene, entschieden schwarz-weiße „Eraserhead“ fertig und erblickte hier | |
und da, nicht aber in Cannes, wo er eingereicht war, das Licht der Welt. | |
Keineswegs stellte sich großer Erfolg unmittelbar ein. Vielmehr zog das | |
Werk als Mitternachtsfilm durch die Lande und reihte sich so in die Serie | |
von Kultfilmen wie „El Topo“ oder „The Rocky Horror Picture Show“. Jona… | |
Rosenbaum und J. Hoberman haben das schöne Buch „Midnight Movies“ über | |
diese Filme geschrieben, die in ihrer Nische eine ganze Generation von | |
Filmfans formten. Auf dem Cover sieht man Jack Nance, den Darsteller des | |
„Eraserhead“-Elektrofrisurprotagonisten Henry Spencer. | |
Man kommt dem Film, der sich von irgendwo ganz weit draußen der Welt | |
nähert, nicht sehr nahe durch Beschreibung des Plots. Gewiss, es lässt sich | |
feststellen, dass eine Kleinfamilie im Zentrum steht. Die ist jedoch | |
seltsam. Da ist Henry, da ist seine Freundin Mary, und da ist eine sehr | |
merkwürdige Missgeburt, ein sehr pflanzlich-alienartiger Mutant. Der Ort | |
des Geschehens ist ein industrielles Wasteland, fast alles spielt aber | |
drinnen. Aus der Heizung singt auf einer Bühne zu Jahrmarktsorgelmusik eine | |
pausbäckige Frau. Die Soundscape ist insgesamt düster, die Figuren sind | |
umgeben von Wind ohne Wetter, von einer Geräuschwelt, die in Richtung von | |
abstraktem Noise geht. In Gang gesetzt wird, was dann folgt, von einem | |
schweigenden Mann mit vernarbter Haut, der drei riesige Hebel umlegt und | |
später nicht wieder auftaucht. Ein fadenförmiger Samen plumpst ins Wasser, | |
es brodelt ein wenig, dann geht es aus dem Dunklen ins Helle und wir | |
blicken ins zutiefst beunruhigte Gesicht von Jack Nance. | |
Zur Beunruhigung besteht aller Grund. Sein Leben im Wasteland ist von allen | |
Seiten bedrängt und bedroht, da hilft das kahle Bäumchen, das er wie zum | |
Trost auf dem Nachttisch gepflanzt hat, nicht weiter. Es kommt zu Szenen | |
wie der beim Familienbesuch. Bei dem Versuch, die gebratenen Wachteln auf | |
dem Teller zu teilen – „just cut them up like regular chickens“ –, begi… | |
diese zu bluten und mit den Beinchen zu winken. Die Mutter von Mary gerät | |
in Trance, lallt, schreit, rennt davon. Gleich darauf stellt sie Henry zur | |
Rede und nähert sich ihm unsittlich von der Seite. | |
Das Kind wird geboren und bietet mit seinem nackten und warzigen Vogelkopf | |
und seiner verzweifelt an die Luft zuckenden Zunge und seinem in Binden | |
verpackten unförmigen Unterleib einen erbarmenswürdigen Anblick. Später | |
gibt es noch Sex mit einer dunkelhaarigen Fremden im Wasser, im Bett, dann | |
wieder Weltall, dann Besuch bei der Sängerin in der Heizung, dann Vision | |
von der Trennung des Kopfes vom Rumpf, dann titelgebende | |
Radiergummikopfproduktion und so weiter. | |
Jeder Deutung seines spätexpressionistisch-spätsurrealistischen Werks hat | |
sich David Lynch stets verweigert. In den Interviews, die der ersten | |
deutschen DVD-Edition beigegeben sind, ist über die Entstehung des Films im | |
Detail viel zu erfahren: Interpretation, Lesarten, Auflösung von Symbolen | |
gibt es jedoch nicht. Ganzen Heerscharen von Amateuren und Profis unter den | |
Deutern war und ist das freilich keine Lehre. Mit blutigem Ernst werden | |
dieser Film wie die anderen spinnerten Elaborate des Meisters unter | |
Sinnverdacht gestellt, mit Theorien traktiert, ausgelegt und aufgeschlitzt. | |
Sie beginnen dabei aber nicht mit den Beinchen zu wackeln, es besteht nur | |
Verdunklungsgefahr angesichts des hellen Wahnsinns, der in ihnen regiert. | |
EKKEHARD KNÖRER | |
19 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
EKKEHARD KNÖRER | |
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