# taz.de -- DER WITZ DER ZUKUNFT | |
> ■ „Fotografie am Bauhaus“ im Bauhaus-Archiv | |
Am Ei sollte es sich erweisen. Foto-Ei gleich Foto-Eye macht ersichtlich, | |
wie es einer mit der Kamera hält. Ob er das Ei inhaltlich oder formal, als | |
Nahrungsmittel oder geometrisches Grundelement verwendet, ob er es auf | |
seine Opakheit, Zerbrechlichkeit, Konkavheit oder Symbolträchtigkeit hin | |
prüft, ob er es mit Tellern, Schnüren, toten Hühnern oder | |
konstruktivistischen Formen kombiniert, ob er es im Flug, liegend oder | |
stehend, mit langen Schatten, offen oder geschlossen, allein oder zu | |
mehreren präsentiert. Die im jeweiligen Arrangement akzentuierten | |
Ei-genschaften belegen die unterschiedlichen Ansätze der Bauhausfotografie. | |
Die Periode Triumph des Eis, so wagt Louis Kaplan zu historisieren, decke | |
sich mit der kurzen Existenz des Bauhauses von 1919 und 1933 und ende mit | |
einer von Paul Outerbridges 4.000 Eier-Studien gleichlautenden Namens: | |
einem Ei, das auf der Spitze einer pyramidalen Konstruktion sitzt, „wo es | |
den Gipfel seines Ruhmes in der Neuen Vision erreicht hat“. | |
Die Frage nach der Priorität von Huhn und Ei ist eine, wie wir wissen, | |
müßige Frage, ebenso unklärbar wie der Streit, ob das Ei eher eine | |
Produktions- oder Reproduktionsstätte ist: an dieser Frage, Gott sei Dank | |
dingfest gemacht in harten Schwarz-weiß-Kontrasten der Fotografie, | |
entzw-ei-ten sich die Bauhausgeister. | |
Rund um das Ei gruppieren sich noch 1933 Bauhausschüler zu einem | |
kistensouper. Joost Schmidt, der Fotograf dieser Szene und Ei-Minimalist | |
des Bauhauses, gesellte seinen metaphysischen Solo-Eiern einzig ihren | |
verlängerten Schatten als Stilleben-Genossen bei. Herbert Bayer hob in | |
einer sachlichen Aufnahme von Frühstückseiern dennoch deren geballte Potenz | |
hervor: Wie steinerne Wurfgeschosse beschweren sie den transparenten und | |
vergleichsweise materielosen Glasteller. In Gekochte Eier von Irene und | |
Herbert Bayer wird in einer neutralen Aufsicht auf geschlossene und | |
geöffnete Eier die Zartheit ihrer konvexen und konkaven Krümmungen und eine | |
Art Weltharmonie in ovo demonstriert; Horacio Coppola kontrastierte die | |
unterschiedliche Materialität von Ei und Schnur; Hannes Meyer gelangen mit | |
einem Ei, zwei transparenten Glasstreifen und den verzerrten Ei- und | |
Glasschatten konstruktivistische Plastiken. Am weitesten von der | |
natürlichen Ei-Wiedergabe entfernte sich natürlich Laszlo Moholy-Nagy. In | |
kameraloses fotogramm benutzte er noch die Eiform, um sie zusammen mit den | |
schmalen Saiten eines Eischneiders zum Bild einer Geige zu kombinieren. In | |
seiner Fotocollage Huhn bleibt Huhn ist das Ei nurmehr Symbol, das einen | |
Witz von „dämonisch-fantastischem gehalt“ aus sich erzeugt: „der witz der | |
zukunft wird wahrscheinlich nicht mit grafischen illustrationen, sondern | |
mit fotoplastischen arbeiten auftreten“. Das aus dem Ei heraussehende Huhn | |
befindet sich in einer parallelen und seiltänzerischen Fadenverspannung mit | |
dem Menschen. | |
Dank der Foto-Ei/Foto-Eye-Variationen kriegt der thematische Aufriß der | |
Ausstellung Fotografie am Bauhaus eine witzige und elegante Kurve. Die von | |
diesem Nucleus auslaufenden Fäden sind dagegen von wenig dämonisch | |
-fantastischem Witz inspiriert. Auf Stellwänden reihen sich, didaktisch | |
brav, die Fotoreihen nebeneinander, die zunächst die Periode beleuchten, in | |
der die Fotografie reinen Dokumentationszwecken diente. In einer Auswahl | |
aus dem von Lucia Moholy und Erich Cosemüller im Auftrag von Walter Gropius | |
zwischen 1924 und 1928 geschaffenen Bildarchiv sieht man Fotografien aus | |
den Werkstätten, von Produkten, Bauwerken und Innenraumgestaltungen, von | |
Ferien, Festlichkeiten, Auftritten des Bauhausorchesters und den jeweiligen | |
Lehrer- und Schülergruppen. Das konstruktive Anliegen, das noch die | |
pragmatischste Dokumentation beherrschte und die fotografischen | |
Bildinszenierungen der Bühnenfotografie leitete, hat in dieser | |
Ausstellungsgestaltung keinen Niederschlag gefunden. Die Fotos von Xanti | |
Schawinsky zur „Deutschen Bauausstellung“ 1931 in Berlin beispielsweise | |
haben rein dokumentarischen Wert. | |
Da freut man sich über die Experimente, die Albernheiten und den | |
eigenwilligen Stil, wie er in den biographisch geordneten Fotoreihen | |
sichtbar wird, ein gestalterisches Prinzip, das dem Bauhausgeist allerdings | |
zuwiderlaufen dürfte, zumal hier eine nicht ganz einsichtige Auswahl | |
sogenannter „Meister“ aus der großen Zahl der Bauhausfotografen getroffen | |
wurde. In der Mitte der „Meister“, wie zu erwarten, Laszlo Moholy-Nagy, der | |
Prinzipien des Konstruktivismus, Dadacollagetechniken und Anregungen von | |
Man Ray für seine Bilder nutzte. In seiner gestalterischen Verspieltheit | |
trieb er die Fotografie jedoch eher an ihre Grenzen, die Spezifität des | |
Mediums interessierte ihn eigentlich nicht. Ihm ging es nie um Wiedergabe | |
der Außenwelt, sondern um die schöpferischen Möglichkeiten; für ihn war | |
„der fotograf ein lichtbildner und fotografie lichtgestaltung„; das mag | |
noch stimmen für seine Belichtungsexperimente ohne Kamera, die zur | |
Entwicklung des Fotogramms führten; seine bekannten Fotocollagen wie die | |
lichter der stadt kehren schon in den Bereich des Zeichnerischen zurück. | |
Bei Herbert Bayer fällt vor allem der Einfluß des Surrealismus auf. Seine | |
Fotomontage Selbstporträt erinnert an Cocteaus Sang d'un poete: Ein Mann | |
blickt erschreckt in einen Spiegel, weil er sieht, daß sein linker Arm wie | |
bei einem antiken Torso abgebrochen ist. Der Blick ins Leben durch einen | |
Bilderrahmen auf ein über den Rahmen hinausfließendes Wasser läßt an Rene | |
Magritte denken. Bayers Spezifikum war die Fotoplastik: in stilleben oder | |
stehende objekte versuchte er durch eine ebenfalls surrealistisch | |
inspirierte Anordnung von Gegenständen den Eindruck einer | |
Dreidimensionalität des Fotos zu erzeugen und degradierte die Fotografie zu | |
einer Hilfsfunktion. | |
Florence Henri, die später in Paris neben Man Ray das berühmteste | |
Porträtfotostudio betrieb, brach wie Otto Umbehr und viele andere mit der | |
traditionellen Porträtfotografie: an die Stelle der weichen, diffusen | |
Wiedergabe von Gesichtern setzte sie harte Konturen, porenscharfe | |
Nahaufnahmen, strenge Ausschnitte und Hell-dunkel-Kontraste. Sie | |
experimentierte daneben mit Spiegeln und fertigte aus Garnrollen, Früchten, | |
Kugeln und Parfümflaschen mit Hilfe von Wiederholungen, Brechungen und | |
Verschiebungen der Perspektive abstrakte Kompositionen an. | |
Wohl kein anderer Fotograf hat wie Moshe Raviv-Vorobeichic die Schulung in | |
„strukturaler Organisation“ derart konsequent in Fotografie übersetzt. Mit | |
Hilfe von Doppelbelichtungen hob er sich ähnelnde Formprinzipien hervor: Er | |
zeigte beispielsweise die Verwandtschaft von Industrieschloten mit Säulen | |
eines antiken Tempels. Zu Bildkompositionszwecken ließ er zwei Säulen der | |
Kultur sich diagonal kreuzen oder strukturierte ein gleichmäßiges rundes | |
Kopfsteinpflaster durch langgezogene Baumschatten. Die Parallelität der | |
Linien einer Landschaft und einer liegenden Frau lockte er in Wollbusen | |
hervor. Besonders häufig kontrastierte er technische und organische Formen: | |
Eiffelturm und Blattwerk; Gesichter und Zäune usf. Fast immer unterlegte er | |
einer dominanten vertikalen Struktur ein gleichförmiges horizontales | |
Muster. | |
Sichtbar wird in dieser Fältelung individueller Zugangsweisen ein | |
deutliches Schwanken zwischen eigentlich mediumgerechter Fotografie und | |
einer eher spielerisch -gestalterischen, die das Bild zu metaphorischem | |
Ausdruck werden läßt: Man sieht Menschen in einem Räderwerk, neben einem | |
überdimensionierten Plattenspieler, in einem Uhrwerk, im eigenen Kopf | |
stehen. Das Konstruktive, das sich aus einem bestimmten Blickwinkel auf den | |
Gegenstand selbst ergibt, ist eher selten wie in Detail aus einem | |
mechanischen Webstuhl und in Schirmgestell von Werner Feist oder in Muschel | |
von Alfred Ehrhardt. Meist versuchte man über technische Eingriffe zu | |
Abstraktionen zu gelangen: Durch Negativ-Umkehrungen legte Andreas | |
Feininger die Strukturen eines gotischen Turmes oder eines Dampfers bloß. | |
Beliebt war auch schon damals das serielle Prinzip: Kurt Kranz ordnete 16 | |
Augennasenausschnitte zu einer Art Teppich zusammen. | |
Lux Feininger allerdings sagte von sich, er sei „Maler und nicht Fotograf“. | |
Seine Fotografien, wie das Stilleben mit fünf Masken, Formentanz und | |
Reifentänze sind denn auch eher theatralische Arrangements. Und selbst die | |
Aufnahme Mitglieder der Bauhauskapelle hat mehr die Wiedergabe einer | |
Struktur als der Personen im Blick. | |
Dagegen polemisierte aufs heftigste Walter Peterhans. Unter seiner Führung | |
kehrte die Bauhausfotografie, mit ihrer Institutionalisierung Ende der | |
zwanziger Jahre, zu akribisch genauer Wirklichkeitswiedergabe zurück. | |
Peterhans verwarf die künstlerischen Experimente; er verlangte eine | |
wissenschaftlich-sachliche Herangehensweise und betonte das dienende | |
Prinzip der Fotografie. | |
Die Fotos, die in seiner Klasse entstanden, sind denn auch fast | |
ausschließlich Materialstudien, dazu angelegt, die | |
Oberflächenbeschaffenheit des Gegenstandes taktil werden zu lassen. | |
Peterhans selbst akzentuierte die Zweidimensionalität des Mediums durch | |
Aufsichten aus ihrerseits fast zweidimensionalen Gegenständen wie | |
Glasscheiben, Stoff, Federn, Haare usf. Als „Tabulator“ versuchte er, seine | |
mit analytischem Blick angeordneten Gegenstände klarer und exakter zu | |
erfassen, als es dem menschlichen Auge möglich ist. Nur seine Bildtitel | |
sind un -sachlich: Bildnis der Geliebten ist eine an Duchamp erinnernde | |
Komposition aus Schleier, Haaren, Federn und zwei runden, glockenartigen | |
Gegenständen. | |
Diese sachlich-dokumentarische Fotografie mündete zuletzt in die | |
Fotoreportage: Nicht nur aus finanziellen Nöten, sondern aufgrund der sich | |
zuspitzenden politischen Lage bezogen Bauhausschüler zunehmend Position. | |
Von Hinnerk Scheper findet man eine Fotoreportage aus Moskau, die unter dem | |
deutlichen Einfluß der konstruktivistischen Bildeinstellungen von | |
Eisenstein entstand. Albert Hennig fotografierte mit sozialem Impetus | |
Straßenszenen im Berlin der dreißiger Jahre: Vor der Fleischbank, In der | |
Speiseanstalt, Vor dem Arbeitsamt. Indes ist dieser Bereich in der | |
Ausstellung nurmehr angerissen, da der Bildjournalismus keine Aufnahme ins | |
Lehrangebot des Bauhauses fand. | |
All diesen unterschiedlichen ästhetisch-experimentellen Ansätzen wurde von | |
außen ein Ende gesetzt. Moholy-Nagy mußte Mitte der dreißiger Jahre | |
zugeben, daß die Tage des „nur schönen“ Fotos gezählt waren: In drei sei… | |
späten Fotoreportagen ist von der Darstellungskunst, „die über das rein | |
Produktive hinauszugehen habe“, nicht mehr viel zu sehen. | |
Michaela Ott | |
Fotografie am Bauhaus, im Bauhaus-Archiv, bis zum 22. April, täglich außer | |
dienstags 11 bis 17 Uhr, freitags bis 20 Uhr, montags Eintritt frei. | |
Katalog: 48 DM. | |
28 Feb 1990 | |
## AUTOREN | |
michaela ott | |
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