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# taz.de -- Córdoba - ein letztes Mal: So a schene Leich
> Noch einmal mit Gefühl ein Blick in die Vergangenheit, aber dann sollen
> Córdoba und der 21. Juni 1978 in Frieden ruhen. Oder, Österreich, willst
> du ewig narrisch werden wegen dieses einen Tors?
Bild: Österreichs glücklicher Torschütze Hans Krankl (Mitte) und der enttäu…
WIEN taz Sieben Buchstaben elektrisieren Österreich, sieben Lettern, die
sich tief in jedes Fußballhirn eingebrannt haben. C-Ó-R-D-O-B-A. Vier
Mitlaute, drei Selbstlaute. Eine Stadt in Argentinien. Für Österreicher ist
es die Stadt in Südamerika. Es cordobat an jeder Ecke. Wer die Zeitungen
aufschlägt, den springt Córdoba an. Auf der Brust junger Männer prangt der
Slogan "Wien wird Cordoba". Sind sie alle narrisch geworden, die
CordobÖsis? Was soll das Ganze?
Es ist ganz einfach. Im Jahre 1978 gab es ein Fußballspiel. Es war
Weltmeisterschaft in Argentinien und für Österreich liefen elf Mann auf.
Die hießen Friedl Koncilia, Robert Sara und Erich Obermayer, Bruno Pezzey,
Heinrich Strasser und Herbert Prohaska, Edi Krieger, Willi Kreuz, Walter
Schachner, Josef Hickersberger und Hans Krankl. Sie sollten zu Helden
werden.
Die Vorrunde der WM hatte Österreich überstanden. In der Zwischenrunde
trafen sie nun auf Deutschland. Die DFB-Elf hätte mit einem hohen Sieg noch
ins große Finale kommen können, mit einem Unentschieden ins kleine
Endspiel. Für Österreich ging es um nichts mehr. Eigentlich. Das Spiel
begann am 21. Juni 1978 um 13.45 Uhr. "Was wollt ihr denn, ihr kleinen
Amateure", soll Rüdiger Abramczik auf dem Spielfeld zum vermeintlich
unterlegenen Gegner gesagt haben. Später stichelte er: "Na, was kriegt ihr
denn? Wir kriegen 40.000 Mark." An die Provokationen erinnerte sich Sara,
auch daran, dass er sich seinerzeit trotzig sagte: "Die 40.000 kann er sich
jetzt in den Rauchfang schreiben", also vergessen.
Karl-Heinz Rummenigge hatte das 0:1 geschossen, Berti Vogts auf der
falschen Seite den Ausgleich. Hans Krankl sorgte mit einem Volleyschuss für
die Führung. Bernd Hölzenbein glich aus. 2:2. Dann passierte etwas, das
Österreich verändern sollte. Nämlich: "Die selbstherrlichen Brüder aus dem
Fußball-Wunderland mit den fetten Weideplätzen (wurden) jäh aus ihren
Träumen gerissen", wie der Kurier damals schrieb. Krankl machts. Und zwar
so: "Ich wuchte vorerst einmal den Ball mit dem Kopf am Herrn Rüssmann
vorbei, dann fällt der Herr Kaltz steif wie ein Stock auf meinen Trick
herein, und dann lässt sich auch noch der Herr Maier täuschen." 3:2 für den
ewigen Underdog, der ein lautes "Wuff" von sich gibt. Erstmals seit 47
Jahren wurde Deutschland bezwungen.
Wiederum 30 Jahre mussten ins Land gehen, bis sich eine neue Chance auf
Lorbeer und Lobhudelei bietet: heute im Wiener Happel-Stadion,
Entscheidungsmatch in der EM-Gruppe B gegen Deutschland. Wer gewinnt, kommt
weiter. Die Österreicher würden nicht nur ins Viertelfinale aufsteigen,
sondern in die Ruhmeshalle des Fußballs. Córdoba - dieses Spiel wird
derzeit wie "a schene Leich" auf dem Mythenfriedhof des österreichischen
Fußballs ausgestellt. Was nicht fehlen darf, ist die Begleitmusik. Die
kommt von Edi Finger, dem legendären Radiokommentator. Ähnlich wie 1954 und
der Radioreportage von Herbert Zimmermann wurde die Tonspur über die Bilder
des Fernsehens gelegt - und bis zum Erbrechen wiederholt, manchmal gar in
Wunschmusik-Sendungen.
Hier das Original: "Jetzt kann Sara sich einen aussichtslos scheinenden
Ball hereinholen, passt nach links herüber, es gibt Beifall für ihn, da
kommt Krankl, vorbei diesmal an seinem ewigen Bewacher, ist im Strafraum,
Schuss - Tooor! Toor! Toor! Tor! Tor! Tor! I wer narrisch! Krankl schießt
ein! Drei zu zwei für Österreich! … Meine Damen und Herren, wir falln uns
um den Hals, der Kollege Rippel, der Diplomingenieur Posch, wir busseln uns
ab … und wartens noch a bisserl, dann kemma uns vielleicht a a Vierterl
genehmigen."
Hier wurden Fußballspieler zu Ikonen, weil sie in einem Spiel, in dem es
für Österreich um nichts mehr ging, den großen Nachbarn bezwungen hatten.
Ist das nicht merkwürdig? Nur auf den ersten Blick, denn in diesem Match
spiegelt sich gesellschaftliche Realität. Einerseits konnte Österreich, das
sich nach dem Zweiten Weltkrieg klein gemacht, sich ebenso auf die
Opferrolle wie auf den Status der politischen Neutralität festgelegt hatte,
zeigen, dass es die Deutschen, die große Fußballnation, schlagen kann. Das
kleine Österreich fühlte sich in diesem Moment groß, fast megalomanisch
groß - Erinnerungen an die "Wunderelf" der 30er-Jahre kamen auf, Hoffnungen
auf eine neue Ära glorreichen Fußballs.
Zweitens wurde ein, wenn man so will, identitätsstiftender
Distinktionsgewinn erzielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es starke
deutschnationale Strömungen in Österreich; noch 1956 waren 46 Prozent der
Österreicher der Meinung, dass sie "zum deutschen Volk gehören". Erst im
Laufe der Jahre verkehrte sich das, und aus einem vagen Nationalgefühl
wurde ein recht gefestigter Patriotismus. Darin inbegriffen: das
Anti-Piefke-Ressentiment. Das Ähnliche wurde bespöttelt, manchmal auch
verhöhnt, im besten Falle ließ sich eine "Verfreundung" zu den Deutschen
aufrechterhalten. "Das österreichische Nationalgefühl ist kein über längere
Zeit historisch gewachsenes", schreibt Robert Menasse in "Das Land ohne
Eigenschaften", "sondern […] erst sehr spät und dann sehr forciert
durchgesetzt (worden)." Ein Sieg in einem Fußballspiel gegen den
konstruierten Erzfeind ist also pures nation building.
Aufgrund der Heftigkeit der Rekurse auf Córdoba darf man davon ausgehen,
dass die Nation noch immer auf wackeligen Beinen steht. Der Córdoba-Hype
hat ja sogar dazu geführt, dass eine Bank eine Córdoba-Anleihe anbot. Die
Idee: Entwickeln sich ausgesuchte österreichische Unternehmen besser als
deutsche, dann winken dem Anleger bis zu sechs Prozent Rendite.
Gibt es heute nun ein "zweites Córdoba", wie in allen österreichischen
Medien erhofft wird? Die Vorfreude auf dieses Match ist riesengroß und ein
echter Glücksfall für diese eher maue, verregnete Europameisterschaft.
Selbst der ewig skeptische Standard schlägt sich nun bedingungslos auf die
Seite des ÖFB-Teams: "Österreichs Kickern zuzuschauen - das ist manchmal
richtig geil geworden." Nur der Teamchef, der Alt-Córdobaner Josef
Hickersberger, will nichts mehr von diesem vermaledeiten C. wissen: "Das
ist Geschichte", sagt er. Subtext: Schleichts aich mit eurem C-Ó-R-D-O-B-A.
Ein für alle Mal.
16 Jun 2008
## AUTOREN
Markus Völker
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