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# taz.de -- Copa Libertadores: Ein Klub für alle Farben
> In der argentinischen Stadt Bell Ville gibt es einen Fußballklub, der die
> Tradition sowohl von River Plate als auch von Boca Juniors hochhält.
Bild: Finale aller Leidenschaften. Am Samstag spielen Boca Juniors und River Pl…
René Mangini ist Präsident von River Plate. Er sagt: „Ich bin mit Leib und
Seele Boca-Fan.“ Manginis River Plate stammt aus Bell Ville, eine
Kleinstadt mit 42.000 EinwohnerInnen in der zentralargentinischen Provinz
Córdoba.
Am heutigen Samstag spielen im Finale der Copa Libertadores, der
südamerikanischen Variante der Champions League, die bekannteren Varianten
von River Plate und Boca Juniors gegeneinander. Vor zwei Wochen endete das
Hinspiel der verfeindeten Teams aus der Hauptstadt Buenos Aires
unentschieden 2:2.
Wie groß die Spannung in Argentinien ist, bekommt auch René Mangini in Bell
Ville zu spüren. „Wir bekommen Anrufe von überall, CNN hat sich gemeldet,
gestern rief ein Radiosender aus Portugal an“, sagt der Präsident und
wundert sich kein bisschen: „Unser Klub ist einzigartig in der Welt.“
Weil sie Anfang der zwanziger Jahre in der Liga von Bell Ville um die
Meisterschaft mitspielen wollten, gründeten 30 Kicker einen Verein. Auf
alles konnten sie sich einigen, nur nicht auf den Namen und die
Trikotfarben ihres zukünftigen Klubs. Jeweils die Hälfte waren Anhänger
eines der beiden schon damals rivalisierenden Hauptstadtklubs: Boca Juniors
oder River Plate.
Die einen wollten also für ihren neuen Verein ein blau-gelbes Trikot in den
Boca-Farben, die anderen eine rote Schärpe auf dem weißen Hemd – wie River.
Da alle Abstimmungen unentschieden endeten, musste das Los entscheiden. Nur
zwei Zettel kamen in einen Hut: Der zuerst Gezogene entschied den Namen,
der zweite das Trikot. Und so wurde am 23. März 1923 der Club Atlético y
Biblioteca River Plate de Bell Ville mit den Trikotfarben der Boca Juniors
gegründet.
## Ein Klub mit einer Bibliothek im Namen
Acht Jahre später schaffte River Plate de Bell Ville den ersten, aber
bisher auch einzigen Meistertitel. Dass die Bibliothek im Namen steht, ist
einer damaligen Provinzverordnung geschuldet, nach der jeder Klub auch für
die Allgemeinbildung seiner Mitglieder sorgen musste. „River und Boca sind
weltberühmt, aber nur in Bell Ville sind sie vereint,“ sagt René Mangini.
Bei den Hauptstadtklubs schienen sie jedoch weniger begeistert zu sein.
Vor allem in den sechziger Jahren versuchten die Vereinsbosse aus Buenos
Aires, in Bell Ville eine Änderung zu erreichen. Der heute 64-jährige
Mangini erinnert sich noch an den Auftritt des legendären River-Präsidenten
Antonio Liberti, nach dem heute das River-Stadion in Buenos Aires benannt
ist. „Der wollte, dass wir das Trikot wechseln.“ Wenig später kam der
damalige Boca-Präsident Alberto Armando. „Klar, der wollte, dass wir den
Namen ändern.“
Was die beiden als Gegenleistung im Gepäck hatten, ist nicht bekannt.
Überliefert ist jedoch die Geschichte jener Mitgliederversammlung, die sich
mit der Änderung des Namens und des Trikots befasste, und die abgebrochen
wurde, als die ersten Stühle durch den Saal flogen. Seither gab es keine
Versuche mehr, Name oder Trikot zu ändern.
„Die Leute werden Klubmitglied, weil sie River-Fans sind und einem Klub
angehören wollen, der diesen Namen trägt“, erklärt Vereinssekretär Hugo
Vázquez die eine Hälfte der Faszination. Und fügt die andere gleich hinzu:
„Oder sie kommen, weil sie Boca-Fans sind, und in der Camiseta
azul-amarillo auflaufen möchten“, also dem blau-gelben Trikot.
## Ballproduktion aus River Boca
In Bell Ville sind sie stolz auf ihre Fußballgeschichte. Und auf ihre
Fußballgeschichten: 1931 erfanden hier drei Tüftler den modernen Fußball.
Den dreien gelang es, ein nach innen gerichtetes Ventil in eine Luftblase
einzusetzen und am Außenleder festzukleben. Damit ersetzten sie den bis
dahin notwendigen Verschlussriemen durch eine kaum sichtbare Ventilöffnung.
Patentiert als „Superball“ wurden die Bälle aus Bell Ville ab dem Turnier
1938 in Italien auch für Weltmeisterschaften genutzt. Und dass noch heute
jährlich rund 500.000 Fußbälle in Bell Ville produziert werden, ist wieder
eine andere Geschichte.
Der River-Plate-Klub ist im Südosten von Bell Ville beheimatet. Der
Stadtteil ist ein Mix aus Wohngebiet und Kleinbetrieben. Die Straßen sind
schachbrettartig angelegt, flache Häuser und Gebäude finden sich dort. Das
Klubhaus liegt an der Ecke Mitre und Corrientes.
Zufall oder nicht, im Klubhaus stehen drei Fernseher. „Die von River werden
vor dem einen Bildschirm sitzen und die von Boca vor dem anderen, in der
Mitte ist die neutrale Zone der Unentschlossenen“, sagt Vizepräsidentin
Alejandra Barzabal und gibt sich als weiß-rote Anhängerin zu erkennen.
River Plate also. Außer den üblichen Witzen und Späßen werde aber nichts
passieren, sind sich hier im Raum alle sicher.
Ohnehin haben die Kluboberen ganz andere Sorgen. Seit die Regierung im
fernen Buenos Aires die Subventionen für die Tarife von Gas, Strom und
Wasser abbaut, explodieren die Kosten. Dazu kommt die Talfahrt der
argentinischen Wirtschaft, die vor einem halben Jahr begann und deren Ende
nicht abzusehen ist. Dazu noch die extreme Dürreperiode, die die
Landwirtschaft lahmlegte. Mit seiner mittelständischen Industrie und als
reiche Kornkammer leidet die Provinz Córdoba sehr – und Orte wie Bell Ville
ganz besonders.
## Unterstützung für das bescheidene Viertel
Barrio humilde, bescheidenes Viertel, nennen sie in Argentinien die
Stadtteile, deren BewohnerInnen oft nicht wissen, wie sie die steigenden
Kosten des Alltags stemmen sollen. „Der Großteil unserer Klubmitglieder
sind bescheidene Menschen aus dem Viertel“, sagt Mangini, der Präsident.
Jedes der 250 Mitglieder zahle monatlich 60 Pesos, etwa 1,50 Euro. Einen
höheren Beitrag könnten viele ihnen schlicht nicht bezahlen.
Davon, dass sie es dennoch geschafft haben, das sportliche Angebot vor
allem für die Kinder und Jugendlichen auszubauen, erzählt sichtbar
zufrieden Vereinssekretär Hugo Vázquez. Und vom neuen Fußballstadion, das
sie im März vergangenen Jahres einweihen konnten. „Wir haben die
Spielgenehmigung und drei bespielbare Plätze, auch wenn noch der Ausbau der
Umkleidekabinen, der Duschen und sanitären Einrichtungen ansteht“, sagt er.
„Unser Hauptsitz umfasst ein ganzes Straßenquadrat. Hier sind die
Spielfelder für Pádel-Tennis und Hallenfußball, das große Schwimmbecken,
unser landesweit berühmtes Bocciastadion, und hier wird Hockey gespielt und
Rollschuh gelaufen“, zählt Vázquez auf. „Das alles verlangt einen großen
Aufwand.“ Auf der Tagesordnung der wöchentlichen Vorstandssitzung stehen
die Themen Unterhaltskosten und Einnahmen ganz oben. „Stadtteilklubs wie
der unsere sind enorm wichtig für das Zusammenleben im Viertel“, sagt
Mangini.
Auch wenn einige in der Führungsriege dem Verein finanziell unter die Arme
greifen, versuchen sie durch Tanzveranstaltungen im klubeigenen Salon und
ein sonntägliches Nachmittagsbingo zusätzliche Einnahmen zu generieren.
„Alles hier hängt von persönlichem und ehrenamtlichem Engagement ab. Der
Trikotverkauf bringt noch zu wenig“, lacht er. Oder sie entdecken ein
Talent wie Mario Kempes, der beim benachbarten Club Atlético Talleres seine
ersten Tore schoss und im WM-Endspiel 1978 im eigenen Land zweimal traf.
Immerhin spielt der aus der eigenen Jugendmannschaft stammende Ariel García
bereits beim Aufsteiger San Martín de Tucumán in der ersten Liga.
Nicht alle werden am Samstag ins Klubhaus kommen, wenn das Finale um die
Copa Libertadores steigt. Die ganz eingefleischten Fans würden das Spiel
lieber zu Hause anschauen, sagt René Mangini. „Nach dem Schlusspfiff werden
die einen mit einem Glorienschein herumstolzieren und die andere werden
sich 200 Meter tief in der Erde vergraben“, sagt er. Ganz sicher werden die
Siegerfans im Autokorso fahnenschwenkend ins Stadtzentrum fahren.
Dieses Szenario treibt die Sicherheitsbehörden in der Hauptstadt Buenos
Aires um. Dort wird traditionell auf der breiten Avenida 9 de Julio um den
Obelisken herum gefeiert. Hier könnte es zu einem Aufeinandertreffen von
rivalisierenden Fangruppen kommen. Alle wissen jedoch, dass die Stadt wegen
des einen Woche später stattfindenden G20-Gipfels bereits jetzt schon voll
von hochgerüsteten Einsatzkräften ist, für die das Finale am Samstag nur
ein Vorspiel ist.
24 Nov 2018
## AUTOREN
Jürgen Vogt
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Halbfinale WM 2018
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