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# taz.de -- Choreografien der Selbstoptimierung
> PERFORMANCE Futter für das Denken liefern, das will die Gruppe Oblivia
> aus Finnland – im Rahmen des Nordwind-Festivals gastiert sie heute und
> morgen im HAU
VON ESTHER BOLDT
Es gibt einen Performance-Mainstream im mitteleuropäischen Theaterraum,
einen Konsens darüber, was auf der Bühne verhandelt wird und vor allem wie.
Alles, was abseits von diesem Mainstream liegt, fällt auf – wie das
finnisch-britische Performancekollektiv Oblivia, das sich mit ungeheurer
Treffsicherheit stets ein Stück weit neben dem allgemeinen Konsens
platziert. Auch wenn die Themen des Performancekollektivs und die
assoziierten Diskurse alles andere als abwegig klingen.
Beispielsweise bei „Entertainment Island“, das nun im HAU beim
Nordwind-Festival zu sehen ist. Seit 2006 bringt das Festival
nordeuropäische Theaterproduktionen nach Deutschland – und damit auch
Bühnensprachen, die am mitteleuropäischen Konsens kratzen.
„Entertainment Island“ ist eine Trilogie zur Unterhaltungskultur, die
Strategien der Populärkultur in ein bewegungsintensives Spiel aus
Anweisungen und Posen, Kommentaren und Fiktionen übersetzt. Auf leerer
Bühne, mit reduziertem Licht und ebensolchen Klanglandschaften feuern sich
die drei Performer zu Höchstleistungen an: „Oooh yeah! Allright! Wo-hoow!“
Im ersten Teil des Stücks deklinieren sie Strategien von Casting- und
Selbsthilfeshows durch, im zweiten zappen sie durch eine Welt der
Superlative aus Pappmachee, im dritten versteigen sie sich in private
Unterhaltungspraxen und -fantasien von Selbsterniedrigung und Voyeurismus.
Beklemmend, aber auch ziemlich komisch wird die Monstrosität der medial
verstärkten Selbstentwürfe sichtbar, ihre Durchschlagskraft auf unsere
Körper.
Seit 2000 arbeiten die britische Tänzerin Anna Krystek, der schwedische
Pianist Timo Fredriksson und die finnische Autorin Annika Tudeer als
Oblivia zusammen. Der Name des Kollektivs ist vom englischen „Oblivion“
abgeleitet, „Vergessen“, denn beständig suchen die drei nach neuen
Arbeitsweisen. Dabei sind sie programmatische Minimalisten, sie entwenden
verschiedenen Kontexten Gesten, Haltungen und Sprachen, kochen sie kräftig
ein, übersetzen sie in ihre Körper und in die Spielstruktur des Theaters.
Ihre Performances sind ebenso von Xavier Le Roys intelligentem Konzepttanz
geprägt wie von Monty Pythons absurdem Witz, britisch-schwarzer Humor
trifft auf schräge Figuren, die an Aki Kaurismäkis Filme erinnern.
## Präzise getaktet
„Unsere Arbeit ist komponiert aus Körpern, Bewegung, Physikalität und
Zeit“, fasst Annika Tudeer zusammen. Und doch ist das Gesamtwerk stets mehr
als die Summe seiner Teile. Zeitgenössische Unterhaltungspraxen gehen
überraschend nahtlos in moderne Strategien der Selbstoptimierung über: „Wir
alle sind Teil einer Welt, in der die Karriere immer mehr im Zentrum
steht“, so Tudeer. Aus dem kapitalistischen Originalitäts- und
Erfolgsterror machen die drei eine präzis getaktete
Beschwörungschoreografie federnder Schritte und hochgereckter Daumen. In
diesen Zeitgeist-Kondensaten scheint der ganze Selbst(er)findungsstress
auf, dem wir täglich ausgesetzt sind.
Das Kollektiv denkt in großen Bögen. Die „Entertainment Island“-Trilogie
entstand über den Zeitraum von drei Jahren, abgeschlossen wurde sie Ende
2010 mit einem mehrtägigen Symposium mit Ausstellung, Buch- und
Filmpremiere im Kiasma Theater in Helsinki. Und das 2012 begonnene neue
Projekt „Museum of Postmodern Art“ (Mopma) soll fünf Jahre und fünf
Performances umfassen. Es schreibt die jüngere Geschichte neu und fragt,
was aus dem Postmodernismus geworden ist – und was auf ihn folgen könnte.
Den Kontext für seine Performances schafft sich Oblivia stets selbst, auch
Mopma wird abseits der Bühne in anderen Medien und Formen fortgesetzt: Als
Fotoausstellung und Blog beispielsweise, in dem Kollegen und Freunde
schreibend darüber nachdenken, was aus den Versprechen der Postmoderne
geworden ist, und neue -ismen ausrufen. Annika Tudeer nennt das „providing
food for thought“: Gedankenfutter bereitstellen.
## Intuition und Prozess
Im Probenprozess allerdings verlassen sie sich bei Oblivia auf sich selbst,
auf die Erfahrungen, die die Zeit in ihre Körper einschrieb. „Wir haben
aufgehört, zu recherchieren“, meint Tudeer. „Es geht mehr darum, sich zu
fokussieren und zu konzentrieren, und dann klären sich Dinge.“ Und Anna
Krystek beschreibt diese Arbeitsweise als „eine Verbindung aus Intuition
und Prozess“.
Die hohe Konzentration wird spürbar auf der Bühne, ein fast altmodisches
Ergründen von Zusammenhängen, das sich unterscheidet vom Zusammenfügen von
Informationen à la „copy & paste“. Die Resultate dieses Gründelns sind
eigenwillig, klug, schmerzlich komisch – und ein Glücksfall für die
Theaterwelt.
4 Dec 2013
## AUTOREN
ESTHER BOLDT
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