# taz.de -- Castorf inszeniert "Die Soldaten": Scherz oder Schmerz | |
> An der Berliner Volksbühne inszeniert Frank Castorf "Die Soldaten". Doch | |
> dem Stück ist weder Schmerz noch Glück anzumerken. Dafür quälen sich die | |
> Zuschauer drei Stunden lang. | |
Bild: So kommet, denn es sei angerichtet: Castorf vor "seiner" Volksbühne. | |
Was zum Teufel hat den Mann an diesem Stück interessiert? Läge Frank | |
Castorfs Leidenschaft für beschädigte, an den Rand gedrängte, ja asoziale | |
Künstlerfiguren nicht auf der Hand, hätte er nicht schon viele Male in den | |
Giftschrank der Literaturgeschichte und nach Radikalinskis wie Céline, | |
Dostojewski, Pitigrilli & Co gegriffen und hätte er nicht erst vor wenigen | |
Tagen dieser Zeitung erklärt, dass für ihn auch der livländische Dichter | |
Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) in dieser Traditionslinie der | |
ausgegrenzten Unangepassten steht - dann wälzte man sich völlig ratlos auf | |
dem unbequemen Kunststoffsack, der neuerdings in der Volksbühne das gute | |
alte Sitzmöbel ersetzt. | |
Doch eine so schillernde Figur wie der Pastorensohn und Kant-Verehrer Lenz, | |
der vom Karrieristen Goethe gemobbt, in unruhigen Knecht- und Wanderjahren | |
schizophren geworden und schließlich obdachlos auf den Straßen Moskaus | |
gestorben ist, kommt in seinem aufklärerischen Trauerspiel "Die Soldaten" | |
von 1776 nicht wirklich vor. Der soziale Skandal des Stücks ist hingegen | |
nicht mehr ganz taufrisch: Das Bürgermädchen Marie hofft auf eine | |
Aufstiegsheirat mit einem Soldaten, wird aber von den unterbeschäftigten | |
Kavalieren ausgenutzt und letztlich in Prostitution und Armut getrieben - | |
genau wie ihr Verehrer, der Tuchhändler und "Woyzeck"-Vorläufer Stolzius, | |
der als Hofmeister in den Dienst einer der Offiziere geht und die | |
Angebetete durch einen Mord rächt. | |
Vor noch nicht allzu langer Zeit hätte Castorf, der im Januar Lenz | |
"Hofmeister" am Schauspiel Zürich inszeniert hat, ein solches Drama um | |
zeitgenössische Fremdtexte erweitert und mit mehr als nur der Vokabel | |
"Hindukusch" aufgerüstet, das einmal einsam über das digitale Laufband mit | |
den Szenenangaben flackert. Stattdessen lässt er "Die Soldaten" (abgesehen | |
von einem eingefügten Moskauer Brief) weitgehend vom Blatt und in | |
schmuddeligen Napoleonkostümen spielen. Lenz filmisch scharfe | |
Szenenschnitte beantwortet er mit Betriebsamkeit und Brimborium: Im | |
Zehn-Minuten-Takt eilt ein Schwarm Techniker auf die Bühne, verrückt | |
Stellwände, Stühle, Tische und bremst damit den zäh vor sich hin tuckernden | |
Abend zusätzlich aus. | |
Das ältliche Rumpf-Ensemble, strahlt vorwiegend Pflegebedürftigkeit aus. | |
Falls es sich um ein raffiniertes Anti-Sturm-und- Drang-Konzept handeln | |
sollte, so wird es von Margarita Breitkreitz (Marie) und Ada Labahn | |
gebrochen: Die beiden jungen Frauen wirbeln den Muff mit kalter Hysterie | |
auf, werden aber rasch in die Abteilung halbnacktes Dekomaterial geschoben. | |
Auch Mex Schlüpfers trotziger Stolzius, der sich vor seinem Freitod | |
mitleiderregend durch "I did it my way" grölt, und Volker Spenglers später | |
Auftritt als resolute Gräfin de la Roche können dem einfallslosen Elend | |
nicht auf die Sprünge helfen. Befremdlich wirken die exzentrischen Show- | |
und Musikeinlagen von Ruth Rosenfeld und Sir Henry, deren Spektrum von | |
Wolfgang Rihm bis zu den unvermeidlichen Stones reicht. Rosenfelds | |
Ausdruckstanz ist vermutlich schwer ironisch gemeint, gewinnt jedoch eine | |
leicht verzweifelte Note. | |
An Lenz, meinte Castorf im Gespräch, habe ihn der "Schmerz gepaart mit der | |
Glückssehnsucht" interessiert. Auf der Bühne ist von dieser Faszination | |
wenig zu sehen - im Zuschauerraum aber ist sie nach quälenden drei Stunden | |
in der Halbhorizontalen absolut nachvollziehbar. | |
28 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Eva Behrendt | |
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