| # taz.de -- Büchner-Preisträgerin Hoppes neuer Roman: Was ist hier schon echt? | |
| > Die Neuerfindung des eigenen Lebens als Roman: Felicitas Hoppe, die neue | |
| > Georg-Büchner-Preisträgerin, hat mit „Hoppe“ eine Traumbiografie | |
| > geschrieben. | |
| Bild: Felicitas Hoppe: die diesjährige Büchnerpreisträgerin. | |
| Hoppe, um es mit Rimbaud zu sagen, ist eine Andere. Man kann dieses Buch | |
| nur konsequent nennen. Denn was tut jemand, der sich vornimmt, seine | |
| Autobiografie zu schreiben? Richtig - er lügt wie gedruckt. | |
| Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe, mit Recht als eine der klügsten und | |
| einfallsreichsten der Gegenwart gelobt und gerade mit dem Büchnerpreis | |
| ausgezeichnet, geht in ihrem neuen Roman mindestens einen Schritt weiter. | |
| Sie retuschiert nicht hier und da ein wenig, sie vertuscht und beschönigt | |
| nicht: Hoppe erfindet sich und ihre Traumbiografie noch einmal ganz neu. | |
| „Hoppe“ heißt der Roman; Hoppe heißt die Hauptfigur; mit Anmerkungen | |
| versehen wird der Text von einer übergeordneten, im Nachhinein | |
| kommentierenden Instanz, die mit dem Kürzel „fh“ zeichnet und die sich in | |
| Leben und Werk der echten Felicitas Hoppe bestens auszukennen scheint. | |
| Andererseits: Was ist hier schon echt? Der Reiz von „Hoppe“ liegt, neben | |
| der Entdeckung der nahezu unendlichen Vielzahl sprachlicher Möglichkeiten, | |
| die Felicitas Hoppe zur Verfügung stehen, vor allem darin, keine | |
| Unterscheidung zu treffen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, weil der Roman | |
| selbst ja exakt in diese Schnittstelle hinein platziert ist. „Felicitas | |
| Hoppe, *22. 12. 1960 in Hameln, ist eine deutsche Schriftstellerin.“ | |
| ## Beschreibung unmöglich | |
| Der Wikipedia-Eintrag ist dem Roman vorangestellt. Das stimmt schon einmal, | |
| aber sonst? Hoppe wird im Alter von sechs Jahren von ihrem „Erfindervater“, | |
| einem Patentagenten, nach Kanada entführt, wo sie in der vielköpfigen | |
| Familie des gleichaltrigen späteren Eishockeysuperstars Wayne Gretzky | |
| Aufnahme findet und sowohl ihn als auch das Eis lieben lernt. Es folgen | |
| eine Schiffsreise nach Australien, eine Pubertät in Adelaide und der Beginn | |
| einer Musiker- und Schriftstellerkarriere. | |
| So motivreich und so tief eingearbeitet in die Literaturgeschichte und in | |
| das Werk von Felicitas Hoppe selbst ist „Hoppe“, dass es jede Beschreibung | |
| nahezu unmöglich macht. Die Sage vom Rattenfänger von Hameln und die | |
| Geschichte von Pinocchio, die mittelalterlichen Abenteuer- und | |
| Rittergeschichten und nicht zuletzt die Prosaarbeiten einer | |
| Schriftstellerin namens Felicitas Hoppe bilden ein Spiegelkabinett, in dem | |
| man kaum zur Ruhe kommt. | |
| Die Philologie in eigener Sache kennt keine Grenzen. „Ein Kind für Ideen“, | |
| sei diese Felicitas gewesen, so heißt es, und so ist hier alles Einfall und | |
| Vorstellung; jeder Einfall gebiert einen neuen. | |
| ## Ausufernde Fantasien | |
| Wo sich ein doppelter Boden auftut, tut sich garantiert kurz darauf ein | |
| weiterer auf, bis es fünf, sechs oder sieben sind. „Hoppe“ stellt das | |
| eigene Entstehungsverfahren und damit auch die Poetologie der | |
| Schriftstellerin Hoppe permanent aus: „Hoppes Unterschlagung überprüfbarer | |
| Fakten dient einzig der Ausformung ausufernder Fantasien, wie sie ihr | |
| gesamtes Werk prägen.“ | |
| Diesen Fantasien sind im Roman die im schönsten (also verschwurbelsten) | |
| Germanisten- und Rezensentendeutsch verfassten Abhandlungen entgegengesetzt | |
| (die Verfasser sind fiktiv, versteht sich), die gegen den unbegrenzten | |
| Ideenkosmos Einwände zu erheben haben. | |
| Ein Gewirr von Behauptungen und Tatsachen, Stimmen und Gegenstimmen. Von | |
| verqueren und skurrilen Figuren, sei es Joey, der blinde australische | |
| Cricketspieler, dem Felicitas ihren ersten Kuss verdankt; sei es der auf | |
| seiner Australienreise verschollene Ludwig Leichhardt. Den gab es | |
| ausnahmsweise wirklich. | |
| Aber, das darf man bei all der Freude über den literarischen Wirbel, der | |
| hier entfacht wird, und über das prächtige Fabulieren, nicht vergessen: | |
| Inmitten all dessen steht ein Mensch. Nicht ganz ohne Grund hat Felicitas | |
| Hoppe in einem Gespräch darauf hingewiesen, dass sie bei dem Versuch, sich | |
| ein lustiges Leben zu erfinden, bemerkt habe, dass ihr reales Leben weitaus | |
| lustiger verlaufen sei. Felicitas ist, aus Erwachsenensicht, ein | |
| anstrengendes Kind. | |
| ## Echte Gefühle | |
| Sie liebt die großen Auftritte, sie macht kein Hehl aus ihrem prätentiösen | |
| Wesen. Hinter der Gegenwelt, der permanenten Imagination verbergen sich | |
| Gefühle wie Einsamkeit, Traurigkeit, Heimweh und Sehnsucht. | |
| „Schon früh neigt Hoppe zu einer so naiven wie doppelbödigen Form des | |
| Selbstlobs, das sie immer wieder durch leichte Ironie zu konterkarieren | |
| versucht, was kaum darüber hinwegtäuscht, wie sehr sich Felicitas nach | |
| Anerkennung sehnte und wie sehr sie sich davor fürchtete, an ihren eigenen | |
| Ansprüchen zu scheitern.“ | |
| In solchen Momenten kommen Zeichen und Bezeichnetes in Deckungsgleichheit. | |
| Man mag das ein wenig kokett finden und würde darüber übersehen, dass, so | |
| paradox es scheinen mag, ausgerechnet Hoppe in „Hoppe“, einem Roman, wie | |
| man ihn in seiner Erfindungsstärke lange nicht mehr lesen konnte, ganz | |
| besonders raffiniert davon erzählt, wovon Literatur immer erzählen sollte: | |
| „Nicht zu vergessen, woher ich komme und wer ich einmal gewesen bin.“ | |
| 15 May 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Schröder | |
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