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# taz.de -- Buch über deutsche Hippies: Ein Kilo Kekse und 60 Zigaretten
> High sein, frei sein, da wollen alle dabei sein: Georg Meier schreibt
> einen großen Erinnerungsroman über die Zeit der deutschen Freaks und der
> Beatniks.
Bild: Es gibt sie noch: Hippies beim Open-Air-Festival 2008 auf der Burg Herzbe…
Immer wieder beschweren sich Menschen darüber, dass man in Deutschland die
60er-Jahre vor allem durch den "Tunnelblick auf studentische Aktivitäten"
(Werner Pieper) betrachten würde, während die im angloamerikanischen
Bereich viel beschriebenen netten Hippies und Gammler viel zu wenig
gewürdigt werden würden. So ganz stimmt das eigentlich nicht. Uwe Timms
"Heißer Sommer" und Bernward Vespers selbstquälerischer Romanessay "Die
Reise" erschienen in den 70ern, Jörg Fausers "Rohstoff" in den 80ern, und
in den letzten Jahren gab es Gerhard Seyfrieds "Tupamaros", Bernd Cailloux
"Geschäftsjahr 1968/69" und in diesem Jahr endlich auch Bommi Baumanns
"Rausch und Terror".
All diese Romane und Berichte nehmen ihren Ausgang oder spielen im
westdeutschen bzw. Westberliner Beatnik- und Hippieumfeld. Unverzichtbar
für die internationale Hippieforschung sind auch noch Howard Marks
Dealer-Autobiografie "Mr. Nice", "The Beach" von Alex Garland und der
opulente, erst kürzlich auf Deutsch erschienene, vor allem in Indien
spielende Bestseller "Shantaram" von Gregory David Roberts.
Georg Meiers Debütroman "Alle waren in Woodstock, außer mir und den
Beatles" gehört auch in diese Reihe und ist sozusagen ein verspäteter
68er-Roman für die Enkel. E., ein literarisch engagierter Freund, hatte mir
das Buch sehr ans Herz gelegt. Er war ganz begeistert über dies "dichte
Stück Erinnerungsliteratur", darüber, von den 60er- und 70er-Jahren "aus
der Perspektive eines Beatniks und drogensüchtigen Kleinkriminellen" zu
lesen, der mittlerweile 60 ist und erfolgreicher Gastronom in Hamburg.
Wahrscheinlich, so dachte ich später, fand E. den Roman so gut, weil er
sich selber auch als Beatnik sieht und traurig darüber ist, die Zeit nicht
miterlebt zu haben, in der das Buch spielt. Mich interessierte das Buch,
weil ich als Teenager 68er- und Beatnikfan gewesen war und in den
90er-Jahren (die ja auch ein bisschen woodstockhaft waren) viel 68er- und
Hippieforschung betrieben hatte.
"Alle waren in Woodstock, außer mir und den Beatles" ist eine in weiten
Teilen wohl autobiografische Lebenserzählung, die im November 1987 beginnt,
auf der Veranda eines Bungalows am Strand von Goa. Der Held und Besitzer
des Bungalows, ein 40-jähriger Deutscher, sitzt mit einem 70-jährigen
Engländer gemütlich bei Hasch und Alkohol zusammen. Er hat gerade eine
Krebsdiagnose bekommen und meint, sein ganzes Leben nun jemandem erzählen
zu müssen, bevor er stirbt. Dieser Jemand ist der Engländer, ein kranker
Mann, der Eigenes ergänzt und plötzlich stirbt. So muss sich der Deutsche
andere Zuhörer suchen, die teils das gleiche Schicksal erleiden.
Als Exfan der Sixties meint man den Lebensbericht des Helden so oder anders
schon einmal gehört zu haben: Damals wars, 1948, Gießen, kleine
Verhältnisse, der Krieg ist noch präsent, Flüchtlinge, Schutt, kaputte
Häuser, in denen Kinder gerne spielen. GIs, über die der Held zum Rock n
Roll findet. Pubertät. Über amerikanische Beatnikromane kommt der
Ich-Erzähler zu Drogen. Er schreibt auch Gedichte, die von Gottfried Benn
beeinflusst sind. Auseinandersetzungen mit den Eltern, die Sache mit den
langen Haaren und der unordentlichen Kleidung. Er wirft die Schule hin,
zieht aus, macht eine Lehre als Koch. Im Hintergrund gibt es den
Vietnamkrieg, Demos, politische Auseinandersetzungen. Mit einem Seesack
trampt er durch die Gegend und trifft allerlei Leute in Frankreich.
Italien. Türkei, Indien. Ab und an werden Leute abgezogen. Auf Haschwiesen,
die es damals in jeder mittleren Stadt gab, trifft sich die
herumschweifende Szene. LSD und Opiate gibt es auch. Es war keine ganz
glückliche Entscheidung, den pophistorisch gültigen Begriff "Acidhead"
(LSD-Liebhaber) mit Säurekopf zu übersetzen.
Im kulturellen Gepäck des deutschen Beatnikhelden finden sich: der
einschlägige Rock n Roll und die ebenso einschlägige Beatmusik, die
berühmten Autoren der Beatgeneration: Kerouac, Ginsberg, Burroughs,
Marcuses "Der eindimensionale Mensch", Nietzsches "Also sprach
Zarathustra", Gontscharews "Oblomow", ein bisschen Buddhismus, Taoismus,
Eldridge Cleaver, Gottfried Benn und MAD-Hefte. (Tolkien und Hermann Hesse
werden in solchen Romanen meist verdrängt.) Auf der Suche nach Sex spricht
man in verrauchten Kneipen zitatweise über den Streit zwischen Camus und
Sartre, Vietnam, Rudi Dutschke, die Bild-Zeitung, die Anfänge der RAF usw.
Am Rande werden durchgeknallte Kleingruppen wie die Revolutionäre Fixer
Kommune erwähnt; die wechselnden Bewohner versiffter Kommunen folgen
antiökonomischen Freak-Brothers-Weisheiten wie der, dass einem Dope besser
durch Zeiten ohne Geld als Geld durch Zeiten ohne Dope hilft.
Diese Dinge sind einem recht vertraut aus der eigenen Teenagerzeit Ende der
70er-Jahre. Zahlenmäßig gab es in den 70ern grad auf dem Lande und in
Kleinstädten viel mehr Freaks und Hippies als Ende der 60er. Während die
Zeit der politischen und studentischen 68er Anfang der 70er schon zu Ende
gewesen war, hielten sich die Reste der lebensweltlich orientierten, nicht
studentischen, teils alternativ, teils kleinkriminell orientierten Freaks
noch ziemlich lange und repräsentierten in Landkommunen die Reste des
Anderen.
Ähnliche Geschichten von weiten Fahrten, Drogen und allerlei Abenteuern
hatte man oft gelesen oder gehört und manchmal das Gefühl dabei gehabt,
dass die Erzähler eher Konsumenten des aufregenden Lebens gewesen waren,
von dem sie erzählten, als dass es sie erfüllt hätte oder dass sie die
Abenteuer, von denen sie dann erzählten, nur erlebt hatten, um von ihnen zu
erzählen.
Am Anfang steht immer das Gefühl, in der falschen Welt zu leben; die Welt,
von der die Beatnikromane (oder Filme wie "Woodstock" oder die große
Erzählung der Weltrevolution) berichten, scheint dagegen die richtige zu
sein. Dann findet man Gleichgesinnte, macht hippietypische Sachen, ist
plötzlich "kein bloßer Zuschauer (mehr) im Kino- oder Fernsehsessel",
sondern hat das Gefühl, "in den Film hineingeschlüpft" und selbst der Held
der "Story" zu sein, die man erlebt, um von ihr zu berichten.
Das eine Gefühl von Entfremdung - ein Rad im Getriebe der Welt - wird durch
ein anderes Gefühl ersetzt: gleichzeitig Zuschauer und Erzähler der eigenen
Geschichte zu sein. Eine Identitätskonstruktion, deren Gebrochenheit durch
Drogen verstärkt wird und die in der berühmten zynischen Jim-Morrison-Frage
(in der Live-Aufnahme von "Celebration of the Lizzard") vorformuliert ist:
"Hast du genug erlebt, um einen Film daraus machen zu können?"
Das eigene Leben soll also durch einen Film, den man darüber drehen, ein
Buch, das man darüber schreiben könnte, gerechtfertigt werden. Mit dem
großen Hier und Jetzt, der anfänglich angestrebten Unmittelbarkeit, hat das
wenig zu tun; im Gegenteil: das Leben, das sich an dem der Beatniks
orientierte, wird in der Gegenwart schon als Vergangenes wahrgenommen: "Es
war wirklich alles so gewesen wie in dem großen, bunten Beatnikfilm, den
ich irgendwann drehen würde", heißt es in dem Roman irgendwann.
Um das eigene Leben zumindest retrospektiv genießen zu können, um sich als
Held der eigens gelebten und erlittenen Geschichte gerechtfertigt zu
fühlen, braucht es Zuhörer. Georg Meier, 1947 geboren, ist alt genug, um
von diesem Show-Element zu wissen, das in vielen biografischen Erzählungen
von 68ern und Post-68ern steckt.
Deshalb tauchen am Rande in Kneipen oder anderswo immer irgendwelche Freaks
auf, die desinteressierte Zuhörer vollquatschen, deshalb gibt es immer
Szenen, in denen Sprecher das Interesse von Zuhörern mit Hasch, Zigaretten
und einem spendierten Bier "mieten", deshalb ist die Lebensgeschichte, die
er erzählt, auch vielfältig gebrochen. Und der Held, der anfangs noch ganz
blauäugig und idealistisch sein nonkonformes Leben führt, von "ernsthaften
Beatnikgesprächen" eher berichtet, als dass er sie auch führt, dem fast
rührende Sätze unterlaufen wie "Wir verstanden uns so prächtig, wie sich
Kiffer auf der ganzen Welt verstehen, wenn sie nicht bescheuert sind", wird
mit der Zeit und härteren Drogen auch eher düster. Morphium "machte cool
und passte zum nihilistischen Weltbild".
Eine Heldengeschichte ist "Alle waren in Woodstock" sicher nicht; manchmal
stört, dass es - anders als im "Geschäftsjahr 1968/69" von Bernd Cailloux
(das ist allerdings auch der beste 68er-Roman) - kaum Außenperspektiven
gibt, dass es eigentlich nur eine Stimme gibt, die erzählt. Diese Stimme
ist aber authentisch.
Jemand sagte, Georg Meier würde bei Auftritten seinen Verleger vorlesen
lassen, weil er stottert, und Freund E. schrieb: "im übrigen bin ich
vielleicht der einzige georg meier fan von berlin. vielleicht weil mir
diese milieus nur aus erzählungen vertraut sind. die protagonisten
gezeichnet, da wäre ich auch gerne dabei gewesen." Dabei würde man auch die
Verheerungen vergessen, die viele Drogen im Innenleben anzetteln.
Mir ging es nicht so, und die Passagen, die anderen Lesern dies hilflose
Gefühl geben, da auch gern dabei gewesen zu sein, störten mich eher. Mein
Lieblingssatz aus dem Buch geht so: "Gustav kochte erst mal einen Liter
Kaffee. Wir verzehrten ein Kilo Kekse und rauchten 50 bis 60 Zigaretten."
6 Dec 2008
## AUTOREN
Detlef Kuhlbrodt
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