| # taz.de -- Britt, die letzte deutsche Daily-Talkerin: Last Woman Talking | |
| > Pärchenstreit zur Mittagszeit: Seit fast zehn Jahren läuft "Britt - Der | |
| > Talk um eins" auf Sat.1 - das letzte Überbleibsel eines untergegangenen | |
| > Fernsehgenres. | |
| Bild: Deckt anonyme Affären auf? TV-Talkerin Britt Hagedorn. | |
| Und plötzlich stand sie allein da. Nachdem RTL am 28. August 2009 die | |
| Abschiedsfolge der "Oliver Geissen Show" ausstrahlte, war "Britt - Der Talk | |
| um eins" das einzige Überbleibsel eines Genres, das seine fetten Jahre | |
| längst hinter sich hat. Britt Hagedorn geborene Reinecke, 38 Jahre alt und | |
| jeden Montag bis Freitag um 13 Uhr auf Sat.1 im Einsatz, ist die letzte | |
| deutsche Daily-Talkerin. | |
| "Natürlich spüre ich die Einschläge", sagte sie damals der taz. "Wir sind | |
| die Letzten. Ich weiß nicht, ob das gut ist oder bedrohlich, aber ich mache | |
| so lange weiter, wie man mich lässt." | |
| 2009 sah es so aus, als müsse auch Britt bald das Licht ausmachen, die | |
| Quoten waren schwach. Doch mittlerweile liegen sie mehrere Prozentpunkte | |
| über dem Durchschnitt des angeschlagenen Senders aus Unterföhring - ihren | |
| Vertrag hat Britt im Spätsommer um ein weiteres Jahr verlängert. | |
| Produziert wird "Britt - Der Talk um eins" im Studio Hamburg. Von innen | |
| betrachtet sieht es hier kleiner aus als im Fernsehen. Es quietscht, als | |
| sich das größtenteils pubertierende Publikum auf die einfachen Holzstühle | |
| setzt. Der Einheizer kommt im Anzug ohne Schlips und ist weder total lustig | |
| noch total schlimm. | |
| Er grinst bloß und erklärt schnell: Die Leute dürfen gern jubeln oder | |
| ausbuhen, daher wird das jetzt kurz trainiert. Klatschen üben wir auch noch | |
| mal, bitte: leidenschaftlich. Wortmeldungen: klar, bloß keine | |
| Schimpfwörter, da muss man sonst nachher einen Piepton drüberlegen, und das | |
| hört sich hässlich an. Danke, los gehts, die Musik ("Im Every Woman" von | |
| Whitney Houston) läuft, und Britt betritt den Saal, unter Jubel; sehr gut | |
| so, signalisiert der Daumen des grinsenden Einheizers vom Rand aus. | |
| Energisch und empathisch | |
| In den nächsten 42 Minuten talkt sich Britt durch die Beziehungsprobleme | |
| ihrer Gäste. Sie moderiert, hakt nach, unterbricht, lacht, legt den Kopf | |
| schief und verteilt Rüffel für vulgäre Ausdrucksweisen. Sie kann energisch | |
| Klartext reden und behutsam Empathie zeigen. Wenn es sein muss, redet sie | |
| viel, andernfalls hält sie den Mund. | |
| Der erste Fall: ein in Deutschland stationierter US-Soldat heiratet eine | |
| Deutsche, sie bekommen ein Kind, doch die Mutter stellt sich als psychisch | |
| krank heraus und attackiert den Vater mit einem Messer. Sie lassen sich | |
| scheiden, er bekommt das Sorgerecht und hat keine Ahnung, was er bei Britt | |
| überhaupt soll. | |
| Doch seine Exfrau will ihn zurück, denn sie liebt ihn noch immer (Teenager | |
| im Publikum: "Ach, auf einmal!"). Der Showdown dauert nur Sekunden: Eine | |
| Art Begegnungs-Garagentor fährt hoch, er erkennt sie, drückt den Knopf, und | |
| das Tor fährt wieder runter. Applaus, Britt sagt Danke, und weiter gehts | |
| mit all den Streitereien in Beziehungen, Betrügereien, der | |
| Unzuverlässigkeit, den Lügen und so weiter. | |
| "In den meisten Fällen reden wir eigentlich übers Fremdgehen", spitzt Britt | |
| im Gespräch den Inhalt ihrer Sendung zu und lacht. Das letzte Pärchen, er | |
| 16, sie 17, hat ein ähnliches Problem. Sie glaubt ihm nicht, dass er es | |
| ernst mit ihr meint, denn er hatte laut eigener Aussage schon 42 | |
| Freundinnen (Publikum: "Buuuh!") und sich letztens mit seiner besten | |
| Freundin SMS geschrieben. | |
| Das Vertrauen ist also endgültig dahin. Was tun? Britt wirft den | |
| Lügendetektor an, und siehe da: Es ist wahr, er liebt nur sie, und | |
| fremdgegangen ist er auch nie. Großer Applaus, sie fällt ihm um den Hals, | |
| das Licht geht an. Britt tritt ab, während sich das glückliche Paar | |
| irritiert aus der Umarmung löst und verdutzt feststellt, dass sich keine | |
| zwanzig Sekunden nach der frohen Auflösung niemand mehr für ihr Glück | |
| interessiert. Die Aufzeichnung ist vorbei. | |
| Eine große Familie | |
| Es ist ein freundlicher Empfang in den Redaktionsräumen. Hier duzt man | |
| sich, und hier werden auch die Besucher gleich mitgeduzt, gleich einbezogen | |
| in die große Britt-Familie, wo zwischen zwei Aufzeichnungen auch mal der | |
| Redaktionsleiter mit Britts Hund spazieren geht. Denn, klar, wenn man schon | |
| knapp zehn Jahre gemeinsam eine Talkshow produziert, da wächst man sich ans | |
| Herz, da herrscht lockerer Umgang in ungezwungener Atmosphäre. | |
| Im Interview sitzt Britt bequem im Schneidersitz in einem Sessel und | |
| antwortet derart konzentriert auf die Fragen, dass sie offenbar unbewusst | |
| einen großen Ausschnitt dessen preisgibt, was man sich auch im Playboy | |
| hätte anschauen können, für den sie sich 2006 auszog. Mit Talk hatte das | |
| nur am Rande zu tun. | |
| Als Britt im Januar 2001 auf Sendung ging, war die Hochphase des deutschen | |
| Daily Talk bereits vorbei. Alle Tabus waren gebrochen, alle Themen, zu | |
| denen sich wildfremde Menschen anbrüllen können, ausgereizt. "Natürlich | |
| gibts bei mir Konflikt und Streit", sagt Britt, "aber auch viele | |
| Versöhnungen und Nachdenken über die Zukunft von Beziehungen. | |
| Talk hat sich enttrasht." Die Fragen nach Unterschichtenfernsehen und | |
| Krawall hingen ihr zum Hals raus, sagt sie: "Diese Diskussion ist alt. Wir | |
| arbeiten nach einer simplen menschlichen Moral, denn auch wir Fernsehleute | |
| wollen uns anständig im Spiegel angucken können. Daher haben wir einen eher | |
| pädagogischen Ansatz." | |
| Ohnehin hatten sich, drei Jahre bevor Britt an den Start ging, die | |
| Privatsender auf den Code of Conduct geeinigt: keine Kraftausdrücke mehr, | |
| Probleme differenziert diskutieren, schwache Gäste schützen. Und in der Tat | |
| ist Britts Sendung, verglichen mit beispielsweise "Arabella" Mitte der | |
| Neunziger Jahre, kreuzbrav und sogar: konstruktiv. | |
| Was passiert, wenn auch der letzte deutsche Daily Talk einmal abgesetzt | |
| werden sollte? Britt Hagedorn ist Magistra Artium der Kulturwissenschaft. | |
| Manchmal fehlt ihr das, "diese andere Seite, die es auch mal in mir gab: | |
| Inhalte und die Auseinandersetzung mit geistreichen Dingen". Dass ihr der | |
| intellektuelle Unterschied zwischen ihr selbst und der Zielgruppe ihrer | |
| Sendung unangenehm sei, will sie so dann auch nicht stehen lassen. | |
| "Ich bin in meiner eigentlichen Anlage ganz einfach gestrickt und mehr aus | |
| Zufall ins etwas intellektuellere Milieu geraten." Dennoch sähe sie sich | |
| gern irgendwann in einem anspruchsvolleren Format, einer Late-Night-Show | |
| wie "Inas Nacht" etwa: "Ina Müller hat einen schönen Job. Talk auf einer | |
| anderen Ebene wäre wunderbar. Dazu hätte ich unfassbar viel Lust. Es ist | |
| natürlich schwer, das zu verquicken. Denn das eine bedient eben was ganz | |
| anderes als das andere, ne?" | |
| Doch vorerst läuft "Britt - Der Talk um eins" weiter und weiter - und wirkt | |
| mittlerweile fast wie ein Relikt längst vergangener TV-Zeiten. Warum sich | |
| ein eigentlich abgewirtschaftetes Genre aus den Neunzigern im zehnten Jahr | |
| des einundzwanzigsten Jahrhunderts noch hält, während sonst überwiegend | |
| Scripted-Reality-Formate mit Schauspielern laufen, kann Britt auch nicht | |
| genau sagen. | |
| Vielleicht liegts einfach daran, dass sie die Letzte ist. Oder dass die | |
| Lust am Voyeurismus durch echte Menschen besser befriedigt wird als durch | |
| ein Drehbuch. Oder an den parasozialen Beziehungen zwischen Zuschauer und | |
| Fernsehfigur. "Symbolisch betrachtet bin ich ja die Freundin, die einmal | |
| pro Tag zum Kaffee nach Hause kommt und mit ihren Leuten quatscht." | |
| Für Janina ist Britt längst kein parasoziales Symbol mehr. Sie ist | |
| Stammgast und hat zwei Drittel der über 1.600 Folgen im Studio mitverfolgt | |
| - da lernt man sich zwangsläufig kennen. "Janina wollte mal zu ,Wetten, | |
| dass …?' ", erzählt Britt, "Sie konnte zu jedem meiner Outfits den | |
| Sendetitel nennen." | |
| Genommen wurde sie nicht, doch dafür kennt sie Britt persönlich, trägt | |
| deren abgelegte Kleidung, geht mit dem Hund Gassi, spürte ihre eigene | |
| verschollene Halbschwester über die Sendung auf und lernte ihren Freund in | |
| einem Forum auf der Homepage kennen. Mittlerweile haben die beiden ein | |
| Kind, weswegen Janina nicht mehr so oft ins Studio kommt. Das Kind heißt | |
| nicht Britt. | |
| 6 Nov 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Benjamin Weber | |
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