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# taz.de -- Boxlegende Joe Frazier ist tot: Ewiger Underdog der Weltspitze
> Er war einer der größten Stars unter den Schwergewichten. Nur im Kampf um
> Aufmerksamkeit unterlag er seinem innig abgelehnten Lieblingsgegner
> Muhammad Ali.
Bild: Frazier misstraute dem Aufstieg aus dem Nichts solange er lebte.
Es war einmal ein Boxer, der hatte mehr Druck im Kessel als jede Diesellok.
Wenn er im Training einen Sandsack verprügelte, rief sein erster
Profitrainer manchmal mit donnernder Stimme: "Na los, Joe, lass uns den
Dampf aus deinen Handschuhen steigen sehen." Kurz danach, schwören
Augenzeugen, konnte man in dem Gym in Philadelphia nicht mehr die Hand vor
den Augen erkennen. Weil der wuchtige Mann exakt das tat, was ihm sein
Mentor Yank Durham in die Ohren brüllte. Und weil er zumindest ahnte, dass
er es in diesem Stil noch ziemlich weit bringen würde - eine sprechende,
stets nach vorn drängende Lokomotive.
Joseph William Frazier, geboren am 12. Januar 1944 in Beaufort, Carolina,
hat es tatsächlich sehr weit gebracht. Der nur 1,80 Meter große Athlet
gewann bei den Olympischen Spielen 1964 in Tokio Gold im Schwergewicht; da
war er gerade zwanzig und ließ seinem Finalgegner Hans Huber aus Regensburg
nicht den Hauch einer Chance. Vier Jahre später sicherte er sich mit dem
Abbruchsieg über Buster Mathis, den er in Tokio vertreten hatte, den
WM-Gürtel einiger Profiverbände. Und als er 1970 den konkurrierenden
Champion Jimmy Ellis in viereinhalb Runden verschliss, war "Smokin Joe" der
maßgebliche Dominator. Er war "der Zeh Gottes", wie der amerikanische
Schriftsteller Norman Mailer den Weltmeister im Schwergewicht nannte.
## Alis Antipode
Das alles hätte in der modernen Geschichte seines rabiaten Sports schon für
einen Ehrenplatz gereicht: einer aus der langen Reihe, die von John L.
Sullivan bis zu Wladimir Klitschko reicht. Doch der Schock und die globale
Trauer, die sein überraschender Krebstod in diesen Tagen auslöst, hat noch
weit mehr mit einem anderen Umstand zu tun.
Joe Frazier ist für die Welt da draußen an erster Stelle der Erzrivale und
Antipode von Muhammad Ali, dem sogenannten Größten. Er wird auf ewig primär
über die drei Kämpfe, die sich beide zwischen 1971 und 1975 und zwischen
New York und Manila lieferten, erinnert werden. Das ist die historische
Umklammerung, aus der er sich zu Lebzeiten nie lösen konnte - und
gleichzeitig das Bernstein, das ihn für die Nachwelt konserviert.
Alle Welt weiß ja, was in dieser Duellserie geschehen ist. Im ersten Teil,
dem "Kampf des Jahrhunderts" in New York, erwies sich Frazier als der
druckvollere, der fleißigere Handwerker. Mit seinem unverkennbaren Stil des
"Bobbin and Weavin" (Abducken und Pendeln) trieb er den technisch
überlegenen Ali in 15 zermürbenden Runden unermüdlich vor sich her. Er
hatte Ali im letzten Durchgang am Boden, er bekam das einhellige Urteil der
drei Juroren.
Das Rematch an selber Stelle geriet drei Jahre darauf zu einer eher
enttäuschenden, von Ali beherrschten Angelegenheit. Aber dann das finale
furioso, der "Thrilla in Manila": Da hieben die so konträren und damit
natürlich perfekten Kontrahenten noch einmal grandios aufeinander ein, bis
Fraziers Ecke nach Runde 14 wegen dessen zerbeulter Verfassung das Handtuch
warf.
## Als "Uncle Tom" abgetan
Der große Ali hätte nicht so glänzen können ohne den großen Frazier, so
viel ist klar. Trotzdem ist in der Folge nur einer von ihnen zu einer Ikone
geworden, die weit über den Rand ihres Sports hinaus gilt - und das war
nicht "Smokin Joe".
Der Lieblingssohn eines Farmarbeiters war mit seinen Eltern und zwölf
Geschwistern als krasser sozialer Außenseiter über den "Cotton Belt" nach
Philadelphia gekommen - ein Zuwandererkind, das auf seinem Weg nach oben
statt auf Eleganz lieber auf harte Arbeit setzte. Im Gym schwitzte der
Youngster länger als die anderen, im Schlachthof übte er als Aushilfskraft
mal Schlagfolgen an den Schweinehälften - Vorbild für jene berühmte Szene
im ersten "Rocky"-Film, der nicht zufällig auch in "Philly" spielt.
Ähnlich wie Rocky Balboa blieb Frazier auch dann noch Underdog, als er
schon in der Weltspitze angekommen war. Er strahlte Stolz und starkes Ego,
aber kaum Souveränität und Gelassenheit aus. So einem setzt es zu, wenn er
von seinem Rivalen als "Uncle Tom" abgetan wird, der sich wie ein Sklave
von einer weißen Investorengruppe kommandieren lasse. Das war ja nur einer
der derben Späße, die Ali regelmäßig vor ihren Duellen absonderte.
Was für die flinke "Louisville Lip" hauptsächlich Ballyhoo war, bedeutete
für "Smoke" jedoch eine tiefe, unvergessliche Kränkung. Auch darin zeigten
sich zwischen ihnen gesellschaftliche Unterschiede. Ali hatte das - auch
politische - Selbstbewusstsein der neuen, schwarzen Mittelschicht
aufgesogen. Frazier dagegen misstraute dem Aufstieg aus dem Nichts solange
er lebte - und hielt sich aus jeder Debatte über die Chancengleichheit der
Rassen in den USA heraus.
## Zähester Mann der Welt
Schlauer, selbstbestimmter Schwarzer gegen dummes Sklavenkind, gewitzter
Tänzer gegen eindimensionalen Schläger - Ali trieb die Unterschiede gerne
auf die Spitze, sobald eine Kamera und ein Mikro in der Nähe waren. Und
dieses Spiel mit den Medien ging, sehr zu Fraziers Verdruss, immer zu Alis
Gunsten aus.
So wurde, bei aller wechselseitigen Anerkennung als Sportler, eine
persönliche Rivalität geschürt, die beider Karriere überdauern sollte.
Jeder könne doch sehen, wem die vielen ausgetauschten Schläge mehr
zugesetzt hätten, ätzte Frazier über den schon von Parkinson gezeichneten
Rivalen, den er unbedingt überleben wollte. Und warum so einen hinfälligen
Typ auswählen, wenn einer bei den Spielen 1996 in Atlanta das olympische
Feuer entzünden soll?
Aus dem Überleben wird nichts werden, da ein aggressiver Leberkrebs den
67-Jährigen schockierend schnell überwältigt hat. Aber den Wunsch nach
einhelliger Anerkennung hat die Welt Joe Frazier im Grunde längst erfüllt.
Er hat das später nur nicht immer bemerkt, als er mit seinen wechselnden
Launen und wechselhaften Geschäften beschäftigt war - von der kurzen
Showkarriere als Sänger der Knockouts bis zum kürzlich aufgegebenen Gym.
Und das vielleicht größte Kompliment kommt ja doch vom innig abgelehnten
Lieblingsgegner. "Zähester Mann der Welt" - so hat ihn Ali nach 37
Profikämpfen (32 Siege, 1 Unentschieden, 4 Niederlagen) einmal getauft.
8 Nov 2011
## AUTOREN
Bertram Job
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