# taz.de -- „Boxen! Ho, ho!“ | |
Heute Abend tritt Boxweltmeisterin Regina Halmich in Aachen zu ihrem 28. | |
WM-Kampf an. Eine selbstverständliche Sache? Keineswegs. Zur Geschichte des | |
Frauenboxens in Deutschland | |
von MARTIN KRAUSS | |
Mittlerweile wird Regina Halmich schon beinah als Urgestein gehandelt. Ihr | |
Management, die Hamburger Universum Boxpromotion, lässt die Profiboxerin | |
als Weltrekordlerin auftreten: So viele WM-Kämpfe wie die 24-Jährige habe | |
sonst keiner und keine. Und als Expertin in allen Dingen, die das | |
Frauenboxen betreffen, gilt Halmich auch. Als Mitte Juni in den USA der | |
Kampf der Töchter stattfand, Laila Ali gegen Jaqueline Frazier, | |
kommentierte Halmich exklusiv für Bild: „Wer hohe Boxkunst erwartete, wurde | |
enttäuscht“, analysierte sie, fügte jedoch hinzu: „Die beiden haben | |
Interesse am Frauenboxen geweckt wie nie zuvor.“ Ihr Fazit: „Es ist ein | |
neuer Anfang, um Frauenboxen populärer zu machen.“ | |
Das deutsche Frauenboxen könnte jedoch ausgerechnet durch seine | |
prominenteste Vertreterin wieder in den Bereich des Nichtsports gestoßen | |
werden. Halmich selbst hatte, nur wenige Wochen zuvor, einen Showkampf | |
gegen „TV-Total“-Moderator Stefan Raab absolviert. Was als Versuch der | |
Popularisierung gedacht war, erntete vernichtende Kritiken: „Box-Klamauk“ | |
(Berliner Zeitung), „Hauerei“ (taz), Rummelplatzboxen halt. Und das hat | |
Geschichte. | |
Einer der ersten öffentlichen Frauenboxkämpfe in Deutschland, bei denen | |
auch um Geld geboxt wurde, fand im Dezember 1921 in Koblenz statt. Das | |
Fachblatt Boxsport berichtete entsetzt: „Wenn Damenboxen überhaupt eine | |
Berechtigung hat, dann sollte Derartiges, ähnlich den Damenringkämpfen, in | |
den Vorstadtvarietees stattfinden; dort ist der richtige Platz.“ Aber auch | |
das ohne sportlichen Anspruch auftretende Varieteeboxen, das es zumindest | |
in den Großstädten bereits seit der Novemberrevolution gab, erregte die | |
vornehmlich männlichen Kritiker. In der Berliner Tageszeitung Tägliche | |
Rundschau ereiferte sich im Juni 1921 ein unter dem Pseudonym | |
„Rumpelstilzchen“ schreibender Major a. D. Adolf Stein über die neue und | |
doch so unseriöse Freizeitveranstaltung, wie sie im Metropol am | |
Nollendorfplatz oder im Friedrichstadtpalast stattfand: „Eigentlich geben | |
sich die Damen nur operettenhafte Ohrfeigen. Alles ist einstudiert.“ | |
Ganz ohne Sportsgeist kamen freilich auch die Varieteeboxerinnen nicht aus: | |
So forderten etwa die Kämpferinnen des Berliner Friedrichstadtpalastes im | |
Oktober 1922 die Boxerinnen eines anderen Varietees zu einem Preiskampf | |
heraus, um festzustellen, wo besser geboxt werde. „Rumpelstilzchen“ jedoch | |
war nicht zu beruhigen: „Es sind Puppen, weiter nichts“, schimpfte er über | |
die Boxerinnen. „Das zieht nicht die Sportler, aber die Lebegreise an.“ | |
Immerhin kam er nicht umhin, eine der Kämpferinnen selbst zu Wort kommen zu | |
lassen, warum sie denn boxe. „Wenn andere Damens sich im Reichstag wählen | |
lassen“, antwortete sie ihm, „warum soll’n wa denn nich boxen dirfen?“ | |
Als Sport, der um Meisterschaften boxt und sich Regeln gegeben hat, wurde | |
Frauenboxen schon 1921 vom Deutschen Reichsverband im Amateurboxen | |
verboten. Auch die Organisation der Profis – der Verband Deutscher | |
Faustkämpfer (VDF) – fasste 1925 einen entsprechenden Beschluss. Die | |
Argumente sind bis heute dieselben: Frauenboxen erzeuge Brustkrebs, | |
gefährde die Gebärfähigkeit und sei im Übrigen schlichtweg unästhetisch. | |
Frauenboxen blieb ein Nichtsport. | |
Jenseits des Jahrmarktmilieus und der Vergnügungsindustrie wurde zwar | |
geboxt, aber das war eben kein Sport. In einem Text aus dem Jahr 1911 wurde | |
ganz modern mit der Befähigung zur Selbstverteidigung argumentiert. „Der | |
Lümmel gab dem kleinen Fräulein einen Schupps und machte eine rüdige | |
Bemerkung“, heißt es über ein zehnjähriges Mädchen. „Das erzeugte nun a… | |
nicht eine starre Hilflosigkeit, wie es der Lümmel aus alter Erfahrung wohl | |
erwartet haben mag. Zunächst wandte sich das Fräulein um und drohte: ‚Du, | |
ich kann boxen!‘ Darauf der Lümmel: ‚Boxen! Ho, ho!‘ und trat heran, um | |
abermals zu stoßen oder anderweit handgreiflich zu werden. Das Mädchen | |
stellte sich in Boxstellung, und mit einem beneidenswerten sang-froid (und | |
einigen kunstgerechten Stößen) konnte sie ihm – den Kopf zurechtsetzen.“ | |
Der Autor dieser modernen Gedanken nannte sich Joe Edwards, hieß in | |
Wirklichkeit Paul Maschke und stammte aus Berlin-Neukölln. Die Passage | |
findet sich in seinem 1911 erschienenen Buch „Boxen. Ein Fechten mit | |
Naturwaffen“. Edwards gilt als der Pionier des Berufsboxens in Deutschland. | |
Um die Jahrhundertwende ging er nach London, begeisterte sich dort fürs | |
Boxen und kehrte um 1906 nach Berlin zurück, um für den neuen Sport zu | |
werben. „Wenn man über die feine Kunst des Boxens orientiert ist“, so | |
Edwards, „findet man es auch gar nicht mehr so verwunderlich, dass jetzt | |
auch viele Damen etwas von dem Enthusiasmus der Jünger der Boxkunst | |
erleben.“ | |
Damenboxen, wie man es der bürgerlichen Provenienz wegen nannte, wurde in | |
den Salons der Großstädte betrieben. In den Zwanzigerjahren wurde dieses | |
Boxen, das sich nicht als Sport verstand, zunehmend öffentlicher. Sandsack- | |
und Punchingballtraining wie auch Schattenboxen wurden zu einer | |
verbreiteten Freizeitbetätigung. In ihrem Buch „Auferstehung der Dame“ aus | |
dem Jahr 1928 empfahl die populäre Autorin Paula von Reznicek Frauen die | |
tägliche Boxarbeit. Populäre Frauen wie die Schauspielerinnen Marlene | |
Dietrich, Vicky Baum und Carola Neher wurden von Magazinen in boxender Pose | |
abgebildet, und als Gymnastikübung wurde Frauenboxen sogar an der Deutschen | |
Hochschule für Leibesübungen gelehrt. Auch die umstrittene Regisseurin Leni | |
Riefenstahl ging in das „Studio für Boxen und Leibeszucht“ in | |
Berlin-Charlottenburg. | |
Im Mai 1927 fand sich im Fachblatt Boxsport ein kleiner Bericht: „Nun | |
spielt sich in München im abendlichen Dunkel der Anlagen rings um das | |
Maximilanaeum eine Szene ab, die allgemeine Aufmerksamkeit verdient, weil | |
die Frau als ihre eigene Schützerin auftritt – und besteht. Und so wird | |
Boxen zu einem wichtigen Faktor im Emanzipationskampfe der Frau.“ | |
Ein Bruch trat mit dem Faschismus ein. Weder das Frauenboxen, das man mit | |
einem heutigen Ausdruck vielleicht Fitnessboxen nennen könnte, noch das dem | |
Rotlichtmilieu so nahe Varietee- und Kirmesboxen wurden nach 1933 ausgeübt. | |
Nach 1945 wurde an die Weimarer Boxtradition kaum angeknüpft. Von einem | |
Verständnis von Frauenboxen als Ausdruck größerer Verfügung von Frauen über | |
ihre Körper waren sowohl die west- als auch ostdeutsche Gesellschaft weit | |
entfernt. | |
Sehr wohl gab es im Westen immer wieder Oben-ohne-Boxen. Und sogar in | |
diesem Milieu der Sexindustrie waren sportliche Ambitionen nicht völlig | |
abwesend: So kämpften 1976 zwei Frauen ohne Lizenzierung in einer Bar im | |
süddeutschen Augustdorf um die, wie es hieß, Europameisterschaft. Im selben | |
Jahr wollte der Hamburger Promoter Wilfried „Frida“ Schulz zwei Boxerinnen | |
antreten lassen, die beide eine US-Lizenz besaßen. Der deutsche Verband | |
verhinderte das. | |
Zu einem erneuten Anlauf kam es 1986. Vor hundert zahlenden Zuschauern | |
absolvierte Birgit Nuako, vorgestellt als Deutschlands einzige | |
professionelle Boxerin, in einer Gaststätte im Westerwald ein öffentliches | |
Sparring. Das Interesse war groß: Alfred Biolek lud sie in seine „Mensch | |
Meier“-Sendung ein, dort absolvierte sie ein Showsparring mit Mario Adorf. | |
Der letzte – und tatsächlich erfolgreiche – Vorstoß der boxenden Frauen | |
erfolgte 1994: Im Amateurbereich kam es im November anlässlich der „1. | |
Hamburger Frauensporttage“ zum ersten öffentlichen Frauenboxkampf in | |
Deutschland: Die Tübinger Theologiestudentin Ulrike Heitmüller – die sich | |
im Mai 1994 noch von einem Funktionär anhören musste, dass „gerade Sie als | |
Theologin eigentlich wissen sollten, dass sich unser Herrgott etwas dabei | |
gedacht hat, als er zwei verschiedene Menschengeschlechter geschaffen hat“ | |
– boxte gegen die Hamburger Fitnesstrainerin Marion Einsiedel. | |
Im November 1994 legalisierte der Amateurboxweltverband Aiba das | |
Frauenboxen. Und bei den Profis trat Regina Halmich 1994 in den Ring, eine | |
damals achtzehnjährige Anwaltsgehilfin aus Karlsruhe, und holte sich den | |
Europameistertitel im Fliegengewicht – der erste EM-Titel überhaupt. 1995 | |
wurde sie in Karlsruhe Weltmeisterin, und seither ist sie die Frontfrau des | |
deutschen Profiboxens. Neben Regina Halmich erreichten Silke Weickenmeyer | |
aus Speyer sowie die in Düsseldorf lebende Bulgarin Daisy Lang (die, wie | |
Halmich, heute in Aachen ihren Titel verteidigt) und die in Berlin lebende | |
Britin Michele Aboro Weltmeistertitel. | |
Hinter dieser ersten Reihe bildete sich eine immer größer werdende Zahl an | |
Profikämpferinnen heraus. Beim Bund Deutscher Berufsboxer sind über zwanzig | |
Frauen registriert. Insgesamt sind es achtzig bis hundert Frauen, die, wenn | |
nicht mit deutscher, dann mit österreichischer oder kroatischer Lizenz in | |
deutschen Ringen antreten. Meist kämpfen sie im Rahmen der „Shootingliga“, | |
die 1993 von dem Promoter Jürgen Lutz aus Karlsruhe, dem ersten Trainer von | |
Regina Halmich, in Deutschland eingeführt wurde. Seine Liga vergibt den | |
Titel „Shootingstar“, der aber international von niemanden so recht ernst | |
genommen wird. | |
Ernst genommen wurde in Deutschland in den letzten Jahren immer nur Regina | |
Halmich, und auch die hatte sich ihren Respekt über eine sehr lange Zeit | |
erst erboxen müssen. | |
MARTIN KRAUSS, 37, boxt sich in Berlin als freier Sportjournalist durch. | |
Zum Thema hat er zusammen mit Knud Kohr das Buch „Kampftage. Die Geschichte | |
des deutschen Berufsboxens“ geschrieben (Werkstatt Verlag, Rastatt 2000, | |
287 Seiten, 36 Mark) | |
21 Jul 2001 | |
## AUTOREN | |
MARTIN KRAUSS | |
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