# taz.de -- Bondage-SM-Treffen in Berlin: Komposition der Peitsche | |
> Ein Choreograf lässt Menschen beim Berliner Xplore-Festival ihre Körper | |
> erforschen. Auch mit Peitschen und Fesseln. Ist das noch Kunst? Oder nur | |
> Sex? Und was heißt eigentlich nur? | |
Bild: Die Leuten im Workshop sind im Schnitt Mitte 30 und im Alltag Ärzte, Int… | |
BERLIN taz | Vielleicht ist es besser, die Peitschen auf dem Wagen neben | |
dem roten Sofa erst einmal zu vergessen und Felix Ruckert einfach nur | |
zuzuhören. Es laufen sonst gleich wieder die Filme ab im Kopf. Peitschen, | |
Fisten, Fesseln. Es sind so düstere Bilder. Latex, Leder, Riemen - | |
Striemen. | |
Wenn Ruckert davon erzählt, hört sich das anders an. Gar nicht nach Gewalt. | |
Er sitzt in seinem Tanzstudio, eine helle Fabriketage im Berliner Stadtteil | |
Wedding mit Couches und samtig weißen Matratzen. Seine Hände streichen beim | |
Reden über den Kopf, als würde er ausprobieren, wie man ihn am besten hält, | |
die Haare kaum länger als sein Eineinhalbtagebart. Auf dem Sofa wechseln | |
die Beine ständig ihre Stellung. Er streckt, biegt und zieht sie. | |
Ruckert ist Choreograf, einer der bekanntesten aus Deutschland. Manche | |
nennen seinen Namen gleich nach Sasha Waltz. Er hat bei der großen Pina | |
Bausch gelernt, die kürzlich gestorben ist. In seinen Aufführungen hat er | |
Zuschauer mit verbundenen Augen in einen Raum voller Tänzer geführt und | |
ihre Körper aufeinander losgelassen. Oder er hat Jesus in "Messiah Game" | |
als ersten Sadomasochisten dargestellt. Es ging ihm um Macht, auch um | |
Vertrauen, darum, wie beides beim Tanzen ineinander spielt - und in anderen | |
Beziehungen. | |
Vor neun Jahren hat er die japanische Fesselkunst entdeckt. Es hat ihn | |
fasziniert, wie Körper mit Seilen zu Kunstwerken arrangiert werden. Das | |
Stille, Unbewegte daran. Er hat das mit seinen Tänzern nachgemacht und fing | |
so an, sich für die Sadomaso-Szene zu interessieren, auch privat. Er kennt | |
Clubs, Stammtische, Partys, Protagonisten. | |
2004 hat Ruckert das Workshop-Wochenende [1][Xplore] gegründet. Es sollte | |
um anderen Sex gehen. Die Dozenten sprachen nicht nur über "sinnliches | |
Spielzeug", sondern auch über "anales Vergnügen für Anfänger" und "Spanking | |
und Rohrstock". Es wurde nicht nur doziert, auch erlebt. Nackte Menschen, | |
tropfender Wachs, dazu Diskussionen. | |
Einige Wochen nachdem alles vorbei war, machte ein Berliner | |
CDU-Abgeordneter einen kleinen Aufstand, weil Ruckert 10.000 Euro | |
Senatsgelder verwendet hatte. Gefördert wird Xplore seitdem nicht mehr. | |
Aber am kommenden Wochenende findet das Bondage-SM-Treffen wieder statt. | |
Bondage heißt Fesseln. Felix Ruckert wird über das Peitschen referieren. | |
Er wird anfangen mit dem Schmerz. Ruckert glaubt, dass Sex von Spannung | |
lebt. Davon, dass es einen Konflikt gibt, ein Hindernis, das überwunden | |
werden muss. "Die meisten Beziehungen", sagt er, "bauen diese Spannung | |
emotional auf." Indem Menschen streiten beispielsweise und sich versöhnen, | |
manchmal mit Sex. "In der SM-Szene ist die Spannung inszeniert", erklärt | |
er. Es gibt Rollen, Konstellationen, Performances - ähnlich wie beim | |
Tanzen. "Es ist ein viel bewussterer Umgang." | |
Er wird also vor den Leuten im Workshop stehen, die im Schnitt Mitte 30 | |
sind und im Alltag Ärzte, Internetunternehmer, Sozialarbeiterinnen sind. | |
Leute, die darüber nachdenken, wie sie Sex haben und wie sie sich | |
zueinander verhalten. Meist kommen zu Xplore zwischen 150 und 200 von | |
ihnen. | |
Ruckert kneift sich in den Arm und spricht von der Präsenz, die dadurch | |
entsteht. Von diesem Echo. Die zwei Finger, die zugedrückt haben, sind | |
längst wieder weg. Aber da bleibt etwas, ein Gefühl. Er nennt es eine | |
Öffnung. Es dauert, bis das Licht Bilder ins Gehirn getragen hat, bis die | |
Schallwellen Geräusche durchs Ohr leiten. | |
Haut ist näher, sagt Ruckert. Direkter. Er streicht sich über den Arm. | |
Peitschen und Streicheln unterscheiden sich gar nicht so sehr, findet er. | |
Wenn man nicht einfach draufhaut. Eine Peitsche ist kein Stock, sondern | |
viel biegsamer, sanfter. Man kann sie über die Haut gleiten lassen wie | |
Haare. Und dann zuschlagen. "Da biste in der Komposition", sagt Ruckert, | |
"das ist sehr musikalisch." | |
Als er jetzt einige Peitschen vorsichtig vom Wagen nimmt, wirken sie eher | |
wie Instrumente. Ruckert sagt "spielen", wenn er von SM spricht. Es klingt | |
plötzlich mehr nach Beethoven als nach Bondage. Er kann sich da richtig | |
hineinreden, ein bisschen ekstatisch fast sein Blick, die Hände fahren über | |
den Kopf. | |
Es geht auch um den Kick. Beim Peitschen schüttet der Körper nach einigen | |
Minuten Endorphine aus. Wie eine Droge wirkt das. Woraus sind denn die | |
meisten Peitschen, wird er seine Workshop-Teilnehmer fragen. Na? Aus Leder! | |
Und warum? Weil es Haut ist! | |
Wovon er da gerade spricht, das ist Kunst. Und es ist Sex. Es ist bei | |
Xplore oft beides, aber die Theorie gibt es selten ohne die Praxis. Vor | |
einem Jahr haben sie einen Fist-Workshop gemacht. Zwei schwule Männer haben | |
Frauen beigebracht, wie sie ihren Männern Finger in den Anus schieben | |
können, wie sie sich mit Gleitcreme und Handschuhen vorbereiten sollten. | |
Die Männer kauerten auf dem Boden, die Arme auf Kissen. Hinter ihnen die | |
Frauen. "Irgendwie auch eine Performance", sagt Ruckert. Und dann erklärt | |
er, wie im Körper alles zusammenhängt, Mund und Anus, und wie Menschen mit | |
verkniffenem Mund auch einen verkniffenen Arsch haben. Er zieht eine | |
verkrampfte Fresse. | |
Deshalb haben sie damals am Anfang erst einmal die Lippen gelockert. Es | |
geht dabei ja auch darum, sich zu öffnen, sagt er. Jemanden in sich | |
hineinzulassen. Rollenkonstrukte zu hinterfragen. Was ist ein Mann, was | |
eine Frau? Wer penetriert wen? Auf einmal ist es nicht mehr nur Fisten, | |
kein Stoff für Internetpornos, sondern eher für eine seiner | |
Tanzaufführungen. Er liest Sex wie ein Stück. | |
Ruckert mischt Esoterik und Erotik. Zur Xplore kommen Tänzer, | |
Sadomasochisten, Schwule, Lesben. Der Choreograf zieht Leute aus den | |
verschiedensten Subszenen an. "Es ist die offenste Veranstaltung, die ich | |
kenne", sagt eine Beraterin aus Süddeutschland, die selbst oft SM | |
praktiziert. | |
Es kämen viele Leute, die oft gar keine Erfahrung haben und vor allem | |
wissen wollten: Wie fühlt sich das eigentlich an, wie ist das? Peitschen | |
etwa, komponieren. In der SM-Szene seien die Rollen oft klar festgelegt. Da | |
rennt einer mit Maske herum und gibt sich dominant. Gängige Normen würden | |
durch andere ersetzt, durch ähnlich starre. "Die Xplore unterläuft das", | |
sagt die Beraterin. "Es ist ein Experimentierfeld." | |
In den Köpfen laufen ganz neue Filme. Mittlerweile kennt Ruckert so viele | |
Leute aus all den Szenen, dass ihm immer neue einfallen, die er als | |
Dozenten einladen könnte. Der Internetunternehmer und seine Frau etwa, eine | |
Sozialarbeiterin, sollten den anderen von ihren Spielen erzählen. | |
Vor dem Sofa in Ruckerts Studio steht eine Holzkiste, die er als Tisch | |
verwendet. Darin hat sich der Mann einschließen lassen. Stundenlang, unten | |
im Keller. Sie haben nicht nur Kisten, sondern auch Spezialschlafsäcke und | |
Särge. Es hat etwas Embryonales, sagt Ruckert. So zusammengekauert liegen, | |
nichts tun. Ein spiritueller Trip, am Ende die Wiedergeburt. Und | |
währenddessen: totale Abhängigkeit von der Frau, die den Schlüssel hat. "Ne | |
Beziehungskiste", sagt er. Das Paar hat sie Ruckert geschenkt. Sie haben | |
noch mehr davon. | |
18 Jul 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://www.xplore-berlin.de | |
## AUTOREN | |
Johannes Gernert | |
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