# taz.de -- Bolzen auf St. Pauli: Ein geiles Spiel | |
> So lange Jungs zwischen zwei und 22 an einem Wochentag nachmittags auf | |
> den Bolzplatz gehen, muss sich keiner Sorgen um den Fußball machen. | |
Bild: Auf dem Bolzplatz wird nicht gebolzt, sondern schön gespielt. | |
HAMBURG taz | Eine Mutter schiebt ihrem Kleinen, der ist vielleicht zwei, | |
den Ball rüber, so über sechs, sieben Meter, und der schiebt ihn zurück. | |
Verdammt großer Ball für den Kleinen. Ein paar Meter weiter schießen zwei | |
Zwölfjährige Elfer: Mal steht der Eine im Tor, mal der Andere, immer | |
abwechselnd. Rechts kickt ein Vater mit seinem Jungen. | |
Neben mir sitzt Engin, zwölf, wartet, guckt und schweigt. Er geht auf die | |
Stadtteilschule am Hamburger Hafen, wohnt hier um die Ecke. Er hat seine | |
Adidas-Treter an, Pauli-Trikot. Hinten drauf steht „Engin 10“. Sein | |
Lieblingsspieler sei der spanische Stürmer Fernando Torres, sagt er, ohne | |
die Zähne auseinander zu nehmen. Engin kickt beim Eimsbütteler TV in der | |
D-Jugend. „Hab gerade angefangen, Abwehr“, sagt er. | |
Engin guckt den Jungs zu, die auf dem Bolzplatz vor der Grundschule | |
Thadenstraße kicken. Abdullah, Maghi, Ahmed, Han und den anderen. „Der | |
Kleine“, sagt Engin, „drüben, ich glaube, der heißt Ali.“ Engin würde … | |
mitspielen. | |
Fußball ist schon ein geiles Spiel. Die Jungs, die hier spielen, sind | |
repräsentativ für ihren Stadtteil. Eine türkisch-asiatische gegen eine | |
asiatisch-türkische Auswahl. Alle leben auf St. Pauli. Auf jeder Seite fünf | |
Feldspieler plus Torwart. Wer kommt, grüßt mit „Salam“. | |
## Ins Tor muss jeder mal | |
Der Junge ganz in Braun hat schwarze Haare und einen kleinen Bauch. Seine | |
Hose hat drei goldene Streifen, er hat sie bis unters Knie hochgekrempelt. | |
Wenn er allein vor dem Tor steht, trifft er garantiert den Torwart. Auch | |
wenn der sich wegdreht. Gerade wieder, der Braune lacht und klatscht mit | |
dem Torwart ab. | |
Ins Tor muss jeder mal. Keiner guckt auf die Uhr, keiner beschwert sich, | |
weil er länger drin steht, als die anderen. Im Tor ist doof. „Hand | |
Digger!“, ruft einer. Es wird nicht protestiert, nicht mal diskutiert. Es | |
wird nicht gefoult, sondern gelacht. | |
„Oh Scheiße“, ruft Adbullah, als er einen Ball versemmelt. Fluchen geht gut | |
auf Deutsch. Einer hat die neuesten gelben Nike-Böller an. Dann und wann | |
versucht er, so zu spielen wie seine Schuhe aussehen. Hacke und andere | |
Ronaldo-Sachen. Klappen nie. Ein paar haben es drauf: Der Typ mit den roten | |
Haaren und dem Mittelscheitel rennt vor und zurück und kann auch was am | |
Ball. Keiner zählt die Tore. | |
Der Braune streicht seine Haare zurück. Bisschen Elvis, die Richtung – als | |
Poser stark. Ein Junge im Barça-Trikot kommt. Hält kurz mit dem Rad, sieht, | |
dass die Jungs älter sind als er, fährt weiter. Engin ist langweilig. Sie | |
wechseln ihn nicht ein. Ali ist hingefallen, Mahdi zieht ihn hoch. | |
Handschlag und gut. | |
## Respektvoller Umgang | |
Das hier sind die viel besungenen Straßenfußballer. Und was haben wir: | |
respektvoller Umgang, flache Hierarchien, keine Führungsspieler. Wieder | |
„Hand Digger“, diesmal gibt es einen Elfer. Vier Spieler wollen schießen. | |
Wird per „Schere, Stein, Papier“ geregelt. Baff, ist der Ball drin. | |
Schießen aus größeren Entfernungen ist verpönt, nur lupfen ist gut, wenn | |
der Keeper zu weit vor dem Kasten steht. Den Ball rein tragen, das ist das | |
Ding. Hier, auf dem Bolzplatz, wird nicht gebolzt, sondern schön gespielt. | |
Es wird nicht gelacht, bevor der, der Mist gespielt hat, über sich lacht. | |
Dann lachen alle. Na ja, stimmt nicht ganz: Manchmal fängt auch ein anderer | |
an, und der, der sich über den Mist, den er gerade gespielt hat, ärgert, | |
lacht mit. | |
Engin ist langweilig, aber er ist nicht der Typ, der um seine Einwechslung | |
bettelt. Engin kickt seinen Ball den kleinen Hügel neben der Ersatzbank, | |
auf der er die ganze Zeit gesessen hat, hoch. Warten ist hart. Immer. Mit | |
zwölf härter. | |
## Spielen auf Gummi | |
Der Belag, auf dem gekickt wird, ist grüner Gummi. Kann man mit Stollen und | |
Indoor-Schuhen drauf spielen. Manchmal rutscht einer weg. „Den Belag, den | |
haben sie erst gemacht, waren Löcher drin“, weiß Engin. | |
Der Poser hat einen ausgespielt und dann dem Torwart den Ball durch die | |
Hosenträger geschoben. Der Poser guckt gleich raus, ob wir es gesehen haben | |
und es würdigen. Wir nicken. Tag gerettet. | |
Zwei haben sich bis vors Tor gespielt, der eine stoppt den Ball vor der | |
Linie. Hart an der Grenze zur Demütigung. Profigehabe. Der Torwart, der auf | |
dem Hintern sitzt und nix mehr machen kann, ruft: „Nu’ mach’ einfach!“ … | |
Vater drüben sind inzwischen drei oder vier Lütte, alle im Alter seines | |
Sohnes. Die sind zu klein für Engin. | |
So lange Jungs zwischen zwei und 22 an einem Wochentag nachmittags kicken, | |
muss sich keiner Sorgen um den Fußball machen. Trotz Fifa-Boss Sepp | |
Blatter, Ablösesummen und Hooligans. | |
Auf der einen Seite des Platzes stehen Flutlichtmasten. Auf diesem | |
Bolzplatz kann man auch in der Nacht spielen. Muss keiner Angst um seinen | |
Schlaf haben, die Jungs sind nicht laut, keine Musik, kein Gebrüll. Das | |
Licht macht der Hausmeister der Schule an. Brauchen die Jungs nicht, es ist | |
bis acht hell. Jetzt ist es sechs. Wir sagen Engin „tschüss“. Der nickt mit | |
seinem Stoppelkopf. | |
Bevor wir losradeln, drehen wir uns noch um. Da ist das braun-weiß | |
gestreifte Trikot. Es sitzt noch immer draußen. Immer sitzt einer draußen. | |
4 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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