# taz.de -- Blumen für Albert! | |
> Heute beginnt das 35. JazzFest in Berlin zum vierten Mal unter der | |
> künstlerischen Leitung von Albert Mangelsdorff. Im Programm sind | |
> besonders viele englische Musiker ■ Von Maxi Sickert | |
Flowers For Albert“ war in den 70ern ein Tributalbum des Tenorsaxophonisten | |
David Murray für Albert Ayler. Albert Mangelsdorff kennt man. Er ist seit | |
mehr als 50 Jahren der deutsche Vorzeigejazzer, dem Oskar Lafontaine noch | |
im letzten Jahr beim Kulturfest der SPD im Berliner Willy-Brandt-Haus ein | |
Geburtstagsständchen sang. Und während alle noch über den Euro | |
diskutierten, hatte das JazzFest schon längst auf Europa gesetzt. Geradezu | |
visionär hatte man dort bereits die Zeichen der Zeit erkannt. So gibt man | |
sich auch in diesem Jahr jenseits von Wechsel und Reformstau und setzt beim | |
ersten Festival post Kohl auf Kontinuität. | |
Blumen für Albert! Es ist das vierte Jahr des JazzFests unter der | |
künstlerischen Leitung von Albert Mangelsdorff, der gerade seiner | |
Vertragsverlängerung bis zum Jahr 2000 zugestimmt hat. Bisher hatte der | |
Posaunist, der gerade seinen 70. Geburtstag feierte, die Eckpfeiler seiner | |
persönlichen Vita auf „sein“ Festival übertragen: „Jazz in Deutschland�… | |
„Jazz in Frankreich“ und „Posaune“. | |
Doch Schwerpunktfestivals haben ihre Tücken – irgendwer fehlt immer. Und | |
ihre unvorhergesehenen Zwischenfälle – irgendwer wird immer krank. Jetzt | |
reagiert Mangelsdorff gelassen: mit Verzicht. Schwerpunkte seien sowieso | |
nicht wichtig. Daß in diesem Jahr viele englische Musiker auftreten, läge | |
hauptsächlich an dem „Überhang“ des London Jazz Composers Orchestra, dem | |
man eigentlich schon für letztes Jahr zugesagt hatte. Er meint, sich nicht | |
mit großen Namen schmücken zu müssen. | |
Genervt von Fragen nach Sonny Rollins und Oscar Peterson setzt Mangelsdorff | |
auf Kontinentales und Regionales. Er habe es schon immer als ungerecht | |
empfunden, oft der einzige deutsche Musiker auf Festivals zu sein, und sich | |
von Anfang an vorgenommen, diesen Zustand zu ändern. So hat in diesem Jahr | |
auch der Berliner Jazz die Möglichkeit, ganz groß rauszukommen. Zumindest | |
diejenigen, die es laut Mangelsdorff „verdient“ haben, durch einen Auftritt | |
beim JazzFest einem größeren Publikum bekannt zu werden. | |
Die Berliner Jazzszene präsentierte sich vor einem halben Jahr bei ihrem | |
eigenen Festival, dem „Jazz Marathon“, zwar engagiert, aber nur mäßig | |
besucht. Als die „Schuldfrage“ diskutiert wurde, lag es schließlich an | |
zuwenig Presse. Jetzt gibt Mangelsdorff den von der Kritik Übersehenen die | |
Chance der verpaßten Titelseiten zurück. | |
Ansonsten zeigt sich das diesjährige JazzFest großformatig. Während in den | |
letzten Jahren die Anhäufung hiesiger Rundfunk- Big-Bands (NDR, WDR, RIAS) | |
trotz guter Solisten und aufwendiger Arrangements in Langeweile | |
steckenblieb, widmet sich diesmal David Murray mit seiner Big Band den | |
„obskuren Werken von Duke Ellington und Billy Strayhorn“. Ein Beweis dafür, | |
daß es auch eine Ellington-Interpretation jenseits von Wynton Marsalis | |
gibt. Eingeleitet wird dieses Konzert durch die dunkle warme Stimme des | |
über 70jährigen Oscar Brown Jr., der sich mit seinen sozialkritischen, | |
kabarettistischen Texten immer für die schwarze Unterschicht Amerikas | |
eingesetzt hat und der nach über zwanzig Jahren aus dem Off wieder auf die | |
Bühne zurückkehrt. | |
Am Rande finden sich wie immer kleine Seltsamkeiten, wie die Fagottistin | |
Karen Borca oder das Quintett von Sylvie Courvoisier um den Drehorgler | |
Pierre Charial. Außerdem Gospel, freie Improvisation und Weltmusik, wie bei | |
der „Banglore“-Reunion von Charlie Mariano als Würdigung seines | |
Lebenswerkes anläßlich seines 75. Geburtstages. Das Programm soll die | |
„Vielfalt kreativer eigenständiger Jazzmusiker“ aufzeigen. Aber wem? | |
Bislang bezog ein Festival seinen nationalen Stellenwert durch das | |
Publikumsinteresse, das sich vornehmlich an Stars orientierte. Hier fällt | |
die Einbindung in zugkräftige Namen weg, und es zeigt sich, daß das | |
JazzFest mittlerweile ein Selbstläufer zu sein scheint. Eine Institution, | |
der die Leute vertrauen, auch wenn ihnen die Programminhalte nicht viel | |
sagen. | |
Letztlich haben die teuren Stars nur Frust gebracht. So tat noch im letzten | |
Jahr ein unmotivierter Herbie Hancock kund, Berlin wäre zum Glück die | |
letzte Stadt auf seinem Tourneeplan und er sei froh, am nächsten Tag | |
endlich nach Hause zu fliegen. In diesem Jahr ist ein neuer Faktor zu den | |
Überlegungen der JazzFest-Macher dazugekommen: das privat gesponserte | |
JVC-Festival mit dem amerikanischen Festivalproduzenten George Wein im | |
Hintergrund. Eigentlich waren die deutschen Festivalmacher froh, George | |
Wein in den 70er Jahren endlich losgeworden zu sein, und auch Albert | |
Mangelsdorff erinnert sich, daß man sich damals das Programm von Wein nicht | |
mehr „aufdrücken“ lassen wollte. | |
Jetzt ist George Wein wieder da und möchte JVC mit kommerziellen | |
amerikanischen Stars in Berlin etablieren. Das bietet dem JazzFest nach | |
anfänglichen Verlustängsten bezüglich der jährlich 400.000 Mark | |
Senatssubventionen (Gesamtetat 800.000 Mark inklusive Sponsoren und | |
kalkulierter Eintrittsgelder) jetzt die willkommene Möglichkeit, nicht | |
länger auf Popularität setzen zu müssen, sondern mehr auf „künstlerisch | |
wertvolle Inhalte“. Dadurch setzt sich das JazzFest zwar sowohl von JVC als | |
auch von den übrigen Festivals in Deutschland ab, rutscht aber gleichzeitig | |
in die Sparte „Achtung Kunst! Wir dürfen draußen bleiben“. | |
Novemberblues und eine letzte Blume für Albert. Albert Ayler würde heute | |
sicher beim parallel zum JazzFest stattfindenden Total Music Meeting | |
auftreten – wenn seine Leiche nicht im November 1970 im East River gefunden | |
worden wäre. Von ihm stammt der Ausspruch, den Albert Mangelsdorff bei der | |
Pressekonferenz abgewandelt zitierte: „All we want is not just to die and | |
somebody, just somebody, please, listen!“ | |
5 Nov 1998 | |
## AUTOREN | |
Maxi Sickert | |
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