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# taz.de -- Bitte nicht taggen
> Die Ausstellung „Backjumps – The Live Issue #2“ im Bethanien feiert die
> Vielfalt einer Straßenkunst, die sich von Sprühdose und Jugendzentrum
> emanzipiert hat – und auf dem langen Marsch in die Galerien ein gutes
> Stück vorwärts gekommen ist
VON NINA APIN
„Bitte nicht taggen“ steht auf den Schildern, mit denen das Kunsthaus
Bethanien beklebt ist. Ein freundliches Ersuchen an die zumeist
jugendlichen Besucher der Street-Art-Ausstellung „Backjumps – The Live
Issue“, die am Freitag eröffnet wurde. Statt, wie auf der Straße üblich,
das eigene Markenzeichen (tag) daneben zu setzen, sollen Fans die Werke von
über 40 renommierten Künstlern nur ansehen. Schließlich geht es hier um
Kunst.
Das klarzustellen kostete Kunstraumleiter Stéphane Bauer im Vorfeld einige
Mühe: Graffitigegner warfen ihm vor, aus öffentlichen Mitteln den
Vandalismus an Hauptstadtfassaden zu fördern. Daraufhin fotografierte Bauer
minutiös alle Schmierereien in der Umgebung ab. So will er hinterher
beweisen, dass die Ausstellung keine Schuld trägt an Krakeln wie
„Revolution bedeutet Widerstand“ und „Ahmet liebt Julia“. Die ausgestel…
Street Art, das wird beim Besuch klar, verhält sich zum gemeinen Graffiti
wie das MoMa zum Jugendzentrum.
„Was wir hier machen, ist für einen echten Zugsprüher schwule Kacke“, fas…
Kurator Adrian Nabi bündig zusammen. Der 32-jährige Berliner war früher
selbst in der Sprayerszene unterwegs, als einer von vielen Minderbegabten,
wie er selbst sagt. Als Herausgeber des multimedialen Street-Art-Magazins
Backjumps engagiert sich Nabi für eine qualitative Weiterentwicklung der
Kunst, die er „urbane Kalligraphie“ nennt. 2003 lud er zum ersten Mal
Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt dazu ein, die Stadt zum Magazin
zu machen: Vor zwei Jahren schon wurden mit großem Erfolg Fassaden
gestaltet, Stadtspaziergänge veranstaltet und die Galerieräume der
Hauptstadt erobert. Nabis Ziel ist es, urbane Kultur in ihrem ganzen
Formenreichtum zu zeigen: „Es wird längst nicht mehr nur gesprüht, sondern
geklebt, gemalt und installiert. Auch die Aussagen werden differenzierter.
Mit dem Frust von benachteiligten Jugendlichen hat das nichts mehr zu tun.“
Wie erwachsen die Wandkunst geworden ist, zeigt die aktuelle Ausgabe der
Ausstellung. Die meisten Künstler haben das Teenageralter längst hinter
sich. Viele haben Kunst studiert, wie die New Yorkerin Swoon, die ihre
filigranen, aus Papier geschnittenen Figuren im Raum verteilt hat. Seit
Jahren kleistert sie ihre realistisch gemalten Durchschnittsmenschen – Seil
springende Mädchen, Großväter, obdachlose Männer – in die Leerstellen der
Großstadt. Gebilde von flüchtiger Schönheit, die schon der nächste Regen
wieder auslöschen kann.
Zwischen der Subversion eines Darius Jones, der mit küssenden
Straßenlaternen und irritierenden Reklamebotschaften in den öffentlichen
Raum eingreift und den dekorativen Gemälden des Parisers Ash liegen Glanz
und Banalität der Street Art. Mit der Gefahr des Ausverkaufs kokettiert die
Berliner Crew „Neon“: Sie bietet ihr dreidimensionales „N“, einzeln
verpackt und mit Strichcode versehen, als überteuerten Wandschmuck in einer
Vitrine feil.
„Die Szene macht gerade einen Sprung von der Straße in die Galerie“, meint
Zast, der am Eingang des Bethanien in die Sonne blinzelt. „Manchmal gehen
auf dem Weg die Inhalte verloren.“ Der 28-Jährige gilt als Urgestein der
Berliner Street Art. Als Schüler taggte und besprühte er Fassaden,
studierte später an der Kunsthochschule. Auf der diesjährigen
„Backjumps“-Ausstellung ist er mit der „City of Names“ vertreten. Die
kleine Stadt vor dem Bethanien besteht aus begehbaren Signaturen: Writers
haben ihre Schriftzüge bewohnbar gemacht. „Es gibt seit Jahren eine Tendenz
zur Verräumlichung“, erklärt Zast, der selbst Skulpturen aus genagelten
Holzbalken auf Fassaden montiert. „Man begnügt sich nicht mehr damit, auf
der Wand die Illusion von Dreidimensionalität zu erzeugen. Street Art löst
sich von der Oberfläche und greift in den Raum aus. Mit der Stadt will ich
diese Entwicklung auf die Spitze treiben.“
Die „City of Names“ ist urbanes Heimwerken: Zelte und Häuschen laden zum
Wohnen, mannshohe Buchstabenketten aus lackiertem Sperrholz zum Klettern
ein, ein U-Bahnhof und eine Kapelle machen das Dorf komplett. Drei Wochen
lang leben die Erbauer in ihren Räumen – ein soziales Experiment: Wie
reagiert ein Writer, wenn er selbst Hauseigentümer ist? Wie alle
Häuslebauer: Die CAF-Crew reinigt ihren Turm jeden Morgen säuberlich von
Spuren nächtlichen „Vandalismus“ durch die Kollegen. Aber auch mit anderen
Herausforderungen müssen die Bewohner fertig werden: Während die
arrivierten Street Artists den Journalisten ihre Kunst erklären, hat sich
schon der Gangsta-Rap-geschulte Nachwuchs breit gemacht: Am Eingang zum
Zelt nutzen ein paar Möchtegern-Pimps den Raum fürs eigene Geschäft:
„Einmal Ficken 25 Euro, und mein Kumpel passt auf.“ Welche „urbane
Kalligraphie“ diese Jungs wohl beherrschen? Wahrscheinlich hängen auch in
der „City of Names“ bald diese Schilder: „Bitte nicht taggen“.
„Backjumps - The Live Issue #2“. Ausstellung im Kunstraum
Kreuzberg/Bethanien bis 16. Oktober, Di.–So.12–19 Uhr. „City of Names“ …
demMariannenplatz bis 8. September. Infos, Workshops und Stadtspaziergänge:
[1][www.backjumps.org]
23 Aug 2005
## LINKS
[1] http://www.backjumps.org
## AUTOREN
NINA APIN
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