# taz.de -- Bespredel heißt Willkür | |
> Ein Jugendlicher wird abgeführt. Sein Vergehen? Er war auf dem Markt. 200 | |
> Männer werden gefoltert. Ihr Vergehen? Ein Mann flüchtete sich in ihr | |
> Dorf | |
aus Grosny KLAUS-HELGE DONATH | |
Eine ahnungsvolle, bedrückende Stille schwebt über der Menge. Kein lautes | |
Schwadronieren wie sonst, keine halblauten Flüche. Hier und da flüstert | |
jemand flüchtig mit seinem Nebenmann. Am Himmel ziehen „Krokodile“, | |
Kampfhubschrauber, ihre Kreise. Langsam, kaum merklich schrauben sie sich | |
hierher, zum Kontrollpunkt an der Petropawlowsker Chaussee in Grosny – | |
angeblich auf der Suche nach Rebellen. Reptilien, die in Fleischklumpen | |
verwandeln, was vor den Lauf gerät. Wenige Minuten zuvor soll irgendwo in | |
der Stadt eine Bombe explodiert oder ein Panzer auf eine Mine gefahren | |
sein. Genau weiß das niemand in Grosny. Es spielt auch keine Rolle – | |
zumindest nicht für die Militärs. Ihnen kommt jeder Anlass gelegen, zu | |
zeigen, wer Herr im Hause ist. Sämtliche Ausfallstraßen sind im | |
Handumdrehen gesperrt. Wer hinauswill, für den beginnt eine Zeit des | |
Ungewissen. Schafft er es noch vor der Sperrstunde oder wird er die Nacht | |
in Grosnys Trümmern verbringen müssen? | |
Am Kontrollpunkt Petropawlowsk holen Soldaten Ruslan Chadschimogamedow aus | |
einem Bus, der seine Insassen in die umliegenden Dörfer bringen sollte. Es | |
ist der 17. Oktober mittags gegen halb zwei. Sie stülpen dem Jugendlichen | |
eine Tüte über den Kopf und verschwinden mit ihm in einem Unterschlupf aus | |
aufgestapelten Betonquadern. Chadschimogamedows Vergehen: Er war auf den | |
Markt in die Stadt gefahren, ohne in Grosny gemeldet zu sein. Wie tausend | |
andere auch, aber ihn hat es erwischt. Gleichwohl gibt es offiziell weder | |
Gesetz noch Verordnung, die eine Fahrt nach Grosny unter Strafe stellen | |
würden. Die Bestimmung stammt aus der Feder der selbst ernannten Herren in | |
Uniform und wird flexibel gehandhabt. Willkür regiert in Tschetschenien. | |
Sanktionen einer höheren Instanz müssen Militärs nicht fürchten, denn sie | |
sind es, die inzwischen faktisch Recht verkörpern. Kein Grund also, das | |
wahre Anliegen zu verbergen: „Geld her“, hat jemand auf die Außenwand des | |
Soldaten-Unterschlupfs gepinselt. Der unglückliche Marktbesucher Ruslan | |
Chadschimogamedow sitzt fest, sein Freund und Begleiter kann die | |
Auslösesumme nicht zahlen. | |
„Wir leben wie im Straflager“, murmelt ein älterer Tschetschene. Er | |
korrigiert sich sogleich: Nein, im Straflager gäbe es immerhin einige | |
verbindliche Regeln. Davon kann in der befreiten Kaukasusrepublik nicht die | |
Rede sein. Statt die „konstitutionelle Ordnung“ wiederherzustellen, | |
verbreiten Armee, die Truppen des Innenministeriums (Omon) und des | |
Inlandsgeheimdienstes FSB ein Regime des Schreckens, die russischen | |
Einheiten brandschatzen und plündern. Was nicht niet- und nagelfest ist, | |
wird aus der geschundenen Republik herausgeschafft. Oftmals geraten sich | |
die „Strukturen“ dabei gegenseitig in die Quere. Auch in diesen Schlachten | |
wird kein Pardon gegeben. Wer seine Haut in Tschetschenien hinhält, will | |
als gemachter Mann heimkehren. Nichts anderes zählt. Vielleicht erklärt das | |
die hemmungslose Brutalität? Alles hat seinen Preis in diesem Krieg. Jeder | |
macht sein kleines Geschäft und hofft, ein Schnäppchen zu ergattern. Und | |
sei es nur eine Leiche, die sich verhökern lässt. Der Krieg trägt sich | |
selbst. Warum also sollte man das einträgliche Geschäft beenden? | |
Der Feind, die tschetschenischen Rebellen, sind unterdessen nur noch | |
seltene Zaungäste. Eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Sie wird von den | |
Militärs auf ihre Weise gehätschelt. Man lässt sie abziehen, einziehen – | |
gerade wie es passt. Man ist abhängig vom Gegner. Zieht er sich gänzlich | |
zurück, muss auch das Militär das Feld räumen. Gefahrenzulage und Beutezüge | |
wären da perdu. Einige „Zwischenfälle“ pro Woche sichern dagegen den Stat… | |
quo. „Passiert nichts, legt die Armee selbst die Lunte“, meint ein | |
Mitarbeiter der moskautreuen Verwaltung in Gudermes. Und in der Tat: Bilder | |
des mittäglichen Vorfalls in Grosny, die das staatliche Fernsehen am Abend | |
sendet, nähren Zweifel an ihrer Authentizität. Die Kampfhandlung ist | |
eindeutig gestellt, die Monteure haben sich nicht einmal Mühe gemacht, | |
verräterische Momente herauszuschneiden. Warum auch? In Russland muss | |
niemand und in Tschentschenien kann niemand mehr – selbst der Gutgläubigste | |
– von der Friedensmission überzeugt werden. Was gedeiht, ist Zynismus. | |
Ein Netz von rund 250 Kontrollposten, über das besetzte Territorium | |
Tschetscheniens verteilt – mit Ausnahme der Berge also –, bildet die | |
Lebensader der Militärs. Auf der kurzen 25-Kilometer-Strecke von der | |
dagestanischen Grenze bis Gudermes sind es allein fünf, Grenze und | |
Stadtgebiet nicht mitgerechnet. Hier wird der Kontrolleur zum Blutsauger. | |
Die Posten sind die Ganglien eines korrupten Systems, das nur noch eines zu | |
kennen scheint: Bakschisch. Ein leichtes Spiel für die Rebellen – fatal für | |
die Bürger. Die „Bojewiki“, wie die Rebellen hier heißen, werden | |
schließlich finanzkräftig etwa von Saudi-Arabien oder Pakistan unterstützt. | |
Wer keinen Tribut leistet, läuft Gefahr, misshandelt oder als Handelsware | |
zum Rückkauf feilgeboten zu werden. | |
In der notdürftig hergerichteten tschetschenischen Übergangsverwaltung in | |
Gudermes sitzt Alin Sultan Werdikajew über einem Stoß von Akten. Jeder | |
Hefter ein ungeklärtes Schicksal. Werdikajew registriert die | |
Vermisstenmeldungen. Zwei Helferinnen aus Grosny verteilen die Vermissten | |
des Tages auf einem meterlangen Tisch. Anfang Oktober wurde das | |
Vermissten-Komitee gegen den Widerstand der Russen gegründet. 672 Fälle | |
sind inzwischen aktenkundig. „Nur die Spitze des Eisbergs“, meint | |
Werdikajew. Die Dunkelziffer liege zwischen sechs- und siebentausend. Viele | |
Angehörige legen den weiten Weg nach Gudermes gar nicht erst zurück, weil | |
sie keine gültigen Papiere haben oder das Geld fehlt. Und damit erhöht sich | |
das Risiko, selbst gekidnappt zu werden. Werdikajews Bericht ist ein | |
Aufschrei. Er zögerte anfangs, Informationen herauszugeben. Als | |
Tschetschene einerseits und Mitarbeiter einer von Moskau eingesetzten | |
Regierung andererseits steckt er in einem Loyalitätskonflikt. Bedenken | |
schwinden indes, je mehr Gräueltaten er schildert. Mehr als erzählen dürfe | |
er nicht, sagt er später mit versteinerter schamroter Miene: „Oben“ hatte | |
verfügt: Beweisfähige Dokumente verlassen nicht das Haus! | |
Es reicht auch so. In einem Schreiben schildert Aset Musajewa eine | |
„Säuberung“ in Gechi am 8. August. Seitdem sind ihre beiden Söhne Ali und | |
Umar verschwunden. Militärs waren einem unbekannten Mann auf der Spur, der | |
sich auf ihren Hof geflüchtet hatte. Die Soldaten stießen das Tor auf und | |
eröffneten Feuer aus zwei Panzerspähwagen mit unleserlichen Kennzeichen. | |
Nach zwei Stunden liegt das Haus in Schutt und Asche. Der Flüchtige ist | |
tot. Dennoch verschleppen die Militärs beide Söhne und überziehen das Dorf | |
mit einer Racheaktion. Zweihundert Männer werden auf einem Feld | |
zusammengetrieben und zwei Tage lang gefoltert, zwei sterben auf der | |
Stelle, einige Dutzend nehmen sie mit. Ihr Aufenthaltsort ist bis heute | |
unbekannt. | |
„Das sind keine Einzelfälle“, meint Werdikajew, „im Gegenteil. Alle Spur… | |
werden bewusst verwischt.“ Wem sich keine Teilnahme an einer | |
„terroristischen Vereinigung“ nachweisen lässt, dem schieben die Häscher | |
Waffen oder Rauschgift unter. Gefangene Tschetschenen, gestanden russische | |
Soldaten einer amerikanischen Journalistin, haben kein Pardon zu erwarten. | |
Ob Rebell oder nicht, ist dabei nebensächlich: „Sobald sie den ersten | |
Kratzer abbekommen haben, wissen sie, dass sie so gut wie tot sind. Man | |
kann das an ihren Augen ablesen.“ Die Gewalt ist gegenseitig. | |
Tschetschenische Rebellen richten ihrerseits russische „Kontraktniki“, | |
Vertragssoldaten, auf der Stelle hin. Bestialisch, Kehlen werden | |
aufgeschnitten, Körper so lange malträtiert, bis kein Leben mehr in ihnen | |
ist. | |
Im Juni entdecken Bewohner von Stari Atagi die geschändeten Leichen von | |
vier Männern. Es sind die Überreste von Arbi, Said und Hussein Gerijew und | |
Musa Sugaipow. Sie wurden am 27. Januar festgenommen und verschwanden. | |
Ihren Wagen, einen Volvo, entdeckte die Familie in der Nachbarrepublik | |
Inguschetien. Soldaten hatten ihn verkauft. „Untersuchungen werden nicht | |
eingeleitet, obwohl die Familie Mordanklage erhoben hat“, sagt Werdikajew. | |
„Nachdem die Angehörigen ihre Toten bestattet haben, ist auch die Sache | |
gestorben.“ Eingaben der Übergangsverwaltung, Anfragen und Klagen verlaufen | |
im Sande. | |
Perfides Unwesen treibt eine Einheit von etwa fünfzehn maskierten | |
Marodeuren seit zwei Monaten auf dem gesamten Gebiet der Republik. Sie | |
rücken nachts in zwei gepanzerten Fahrzeugen ohne Kennzeichen an. So auch | |
am 5. Oktober gegen 4 Uhr in Suworow-Jurt am Ortsrand von Gudermes. Sie | |
nehmen Sultan Baiturkajew, Assap Mamadijew, Schamil Chadschijew und Hussein | |
Adamow mit. Ihre Frauen protestestieren tagelang vor der Dorfverwaltung. | |
Mit Erfolg, zwei von ihnen tauchen wieder auf. Sie saßen in der russischen | |
Kommandozentrale in Chankala ein. Einsitzen? Die Armee hält die Geiseln in | |
Erdlöchern gefangen. Bevorzugte Behandlung erfährt, wer immerhin im eigenen | |
Dreck stehen darf. Die übrigen liegen zusammengeschnürt ohne Wasser und | |
Brot in den Fäkalien. Zwei der Entführten sind bis heute verschollen. | |
Diese Löcher bekommen die Delegationen des Europarates, die Tschetschenien | |
regelmäßig Besuch abstatten, nicht zu Gesicht. Sie führt man in das einzige | |
offizielle Lager Tschernokosowo. Dort wird angeblich nur geprüft, ob jemand | |
mit den Rebellen kooperiert hat. Überfüllung? Unmenschliche Enge? Nicht | |
doch hier. Vor dem letzten Besuch aus Straßburg im September wurden die | |
überzähligen Gefangenen in Eisenbahnwaggons verfrachtet und mehrere Tage | |
auf totem Gleis in Gudermes abgestellt, berichten Augenzeugen. Alles sollte | |
schließlich seine Ordnung haben. | |
„Hunderte von Lagern gibt es, jede Einheit hat einen Kerker“, erzählt | |
Sazita Nurmogamedowa aus der Stadtverwaltung Grosnys. Die Psychologin hat | |
tausend Dollar gezahlt, um ihren Sohn aus den Fängen der uniformierten | |
Kidnapper zu befreien. Er wurde mit Stromstößen gefoltert und mit | |
Fußtritten in Leber und Nieren traktiert. Wegen starker Beschwerden an der | |
Wirbelsäule hat sie ihn in einer Moskauer Klinik untergebracht. „In | |
Sicherheit, weit weg von hier.“ Die Professorin gehört zur | |
tschetschenischen Intelligenz, die nach dem gescheiterten | |
Unabhängigkeitsexperiment die Rückkehr der Russen begrüßte. „Wir haben | |
Putin gewählt, damit er Ordnung schafft“, sagt sie. Und heute? Die Brigade | |
des berüchtigten Generals Schamanow in Urus Martan „wütet schlimmer als die | |
Wachhabiten“. „Schamanow“ meint sie, „ist ein Generalanarchist.“ Die | |
Professorin ist empört: „Gibt es sowas überhaupt, dass ein Militär Bürger | |
in der Kaserne einsperrt und sich zum Polizisten und Richter aufspielt?“ | |
Schamanow bereitet sich mittlerweile auf die Rückkehr ins bürgerliche Leben | |
vor. Die Wahl zum Gouverneur in Uljanowsk in Zentralrussland, weit weg von | |
Tschetschenien, soll ihm die Wiedereingliederung erleichtern. | |
Aus welcher Einheit die motorisierten Marodeure stammen, konnten oder | |
wollten die russischen Sicherheitskräfte nicht ermitteln. Auf die gleichen | |
Täter deutet ein ähnlicher Vorfall vom September in Dschalka hin. Damals | |
verschwanden bei einem Raubzug neun Personen. Zwei fand man Tage später | |
verscharrt und verbrannt an der Straße nach Chankala. Drei Leichen mit | |
Foltermalen wurden in einem Waldstück in der Nähe des Dorfes entdeckt. „Das | |
Gebiet ist abgesperrt, keiner wird mehr hingelassen“, sagt ein Mitarbeiter | |
der Übergangsregierung. Vermutlich ist dort noch mehr geschehen ... | |
Inzwischen befasst sich Staatsanwalt Nikolai Saizew mit den Vorfällen in | |
Dschalka. Er nennt sie beim Namen: „Mord und Menschenraub“. Der | |
„Prokurator“, von Moskau eingesetzt, arbeitet seit Januar vor Ort. Obwohl | |
„Ziviler“, steckt er in der Uniform eines Obersten. Die Militärs nehmen | |
einen bürgerlichen Gehrock nicht ernst. Am Vortag hatten sie ihm den | |
Zutritt in die Kommandantur in Chankala verweigert. Solange der rechtliche | |
Rahmen nicht geklärt sei, könne er nicht viel ausrichten, gesteht der Russe | |
offen. „Keiner weiß hier: Herrscht nun Krieg, Ausnahmezustand oder greift | |
die allgemeine russische Gesetzgebung?“ | |
Armee, Miliz, die Truppen des Innenministeriums und des Geheimdienstes | |
hätten jeweils ihre eigenen Ordnungsvorstellungen. Sie konkurrieren | |
miteinander und verweigern sich einer klaren Befehlsstruktur. Saizew | |
scheint einer der wenigen Russen zu sein, die ihre Aufgabe ernst nehmen. | |
Einige Fälle hat er an die Militärjustiz weitergeleitet. Ob sie allerdings | |
vor Gericht landen, weiß auch er nicht. Dennoch wartet vor seinem Büro | |
immer eine Traube Hilfesuchender. Aus blechernen Lautsprechern auf dem | |
zentralen Platz in Gudermes versorgt der Propagandasender „Radio Freies | |
Tschetschenien“ die Wartenden mit Kurzweil. Eine kratzende scheppernde | |
Stimme erzählt kaukasische Märchen – ganz nach sowjetischem Vorbild.Von | |
welchem glücklichen Land mag da die Rede sein? | |
Gegen die systematische Plünderung der industriellen Ressourcen kann die | |
Staatsanwaltschaft auch nichts ausrichten. Die Abteilung für | |
Verbrechensbekämpfung Rubop in Gudermes, die schon vor dem krieg | |
existierte, hat einige Lkws mit Buntmetallen zwar konfisziert. Die Täter, | |
die der Miltärgerichtsbarkeit unterstehen, musste sie aber laufen lassen. | |
„Alles von oben gedeckt“, gesteht ein Mitarbeiter, der anonym bleiben | |
möchte. Was er mit „oben“ meint? Die russische Militärführung. Das Gleic… | |
berichtet auch Said Sutalin, einer der Direktoren der Elektrizitätswerke | |
von Grosny. „Was wir tagsüber an Leitungen legen, rollen sie nachts wieder | |
auf“, klagt er. Eine Tonne Aluminium kostet 5.000 Mark. Das Beutegut wird | |
nach Russland verschoben. Dreimal ist die Südtrasse in Grosny abmontiert | |
worden. „Wir haben es aufgegeben“, sagt Sutalin, der um sein Leben | |
fürchtet. Milizionäre, die dem Raub auf der Fährte waren, sind spurlos | |
verschwunden. „Wie gelangt das Diebesgut außer Landes, wenn die Täter nicht | |
ein schützendes Dach haben?“, fragt er. Auch wir werden Zeuge eines | |
Transportes aus Grosny, der verdächtig den Beschreibungen der Rubop ähnelt. | |
Ein FSB-Jeep vorneweg, in der Mitte ein Lkw mit Röhren aus einer | |
Ölraffinerie, hintendran ein bemanntes Panzerfahrzeug. Die Kolonne rast, | |
als fliehe sie vor dem Feind. Buntmetalle und Rohöl sind als Beutegut | |
besonders beliebt. Rohölquellen, die noch nicht erschlossen sind und damit | |
nicht geplündert werden können, schießt die Armee in Brand. | |
„Lasst uns Tschetschenien wieder aufbauen“, fordert ein Kalender mit dem | |
Konterfei Putins auf dem Schreibtisch des Vizebürgermeisters von Grosny. | |
Umalatow Saidalin zweifelt nicht daran. Darf er auch nicht, sonst wäre er | |
nicht auf diesem Posten. Geld hat er aus Moskau indes für den Wiederaufbau | |
nicht erhalten. Seit die Armee die Stadt im März einnahm, hat sich dort | |
kaum etwas getan. Nicht einmal die Fensterhöhlen der Bürgermeisterei sind | |
inzwischen verglast. Wiederaufbau, Neubeginn? Im Krankenhaus Nummer 9 | |
siechen die täglichen Minenopfer zwischen blutstarrenden Laken. Geld fehlt | |
sogar für schmerzstillende Mittel, Amputationen werden folglich ohne | |
durchgeführt. | |
Sollte all das reiner Zufall sein? | |
Der russische Militärjargon hat dafür ein Wort: Bespredel. Es bezeichnet | |
die grenzenlose und brutale Willkür, die Rekruten in der Armee erleiden. | |
Nur dass hier die Rekruten die Menschen Tschetscheniens sind. Nicht mehr | |
allein die militärischen Strukturen sind dafür verantwortlich. Bespredel | |
bedeutet, dass die politische Führung in Moskau die Grausamkeiten bewusst | |
duldet. | |
Hoffnungen auf Frieden hegen nur noch wenige. Der Student Ramsan (28) aus | |
Gudermes richtet sein zerstörtes Haus nur noch behelfsmäßig her. | |
Stattdessen hat er unter einer meterdicken Betondecke im Keller einen | |
wohnlichen Bunker gebaut. „Hier unten können wir Monate aushalten“, lacht | |
er. | |
Auf dem Rückweg nach Dagestan fragt der Kommandant, der uns trotz gültiger | |
Papiere die Einreise verweigert hatte. „Wie habt ihr’s geschafft, bei mir | |
oder woanders?“ Auch er lacht, allerdings aus einem anderen Grund. | |
Krieg ist eben ein verdammt gutes Geschäft. | |
30 Oct 2000 | |
## AUTOREN | |
KLAUS-HELGE DONATH | |
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