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# taz.de -- Beim Abbau von Manganknollen drohen großflächige Zerstörungen
> ■ Die Folgen des Meeresbergbaus werden im Vorfeld geklärt
Die Expedition des deutschen Forschungsschiffes „Sonne“ begann im Sinne des
Wortes stürmisch. Als Ende 1989 Kapitän Papenhagen in Panama den Befehl
„Leine los“ gab, steuerte das Schiff zunächst einmal in schweres Wetter:
Weißgesichtig lagen die Wissenschaftler in ihren Kojen, und der Bordarzt
verteilte seine Pillen mit vollen Händen. „Ohne bedeutenden Erfolg“, wie
ein Mitarbeiter einräumte, die Arbeit war „die reine Qual.“ Erst im
Zielgebiet, siebenhundert Kilometer westlich von Peru, besserten sich
Wetter und Arbeitsmoral: Die Meeresbiologen konnten ihr zerstörerisches
Werk beginnen.
„Was passiert eigentlich mit der marinen Umwelt, wenn beim kommerziellen
Manganknollenabbau viele Tausend Quadratkilometer Meeresboden zerstört
werden?“ fragte sich der Hamburger Hydrobiologe Hjalmar Thiel. Weil das
Ökosystem Tiefsee damals wie heute erst in Ansätzen erforscht ist,
initiierte er einen einmaligen Großversuch: Hjalmar Thiel und seine
Mitarbeiter verwüsteten bei den Galapagos-Inseln, genau hier beginnt in
vielleicht fünfzehn Jahren die kommerzielle Manganknollenernte, elf
Quadratkilometer Meeresboden. Anschließend beobachteten und dokumentierten
sie im jährlichen Rhythmus, wie sich das Ökosystem regenerierte.
Für ihr Zerstörungswerk nutzten die Wissenschaftler eine acht Meter breite
und drei Meter lange Pflugegge, die sie insgesamt achtundsiebzig Mal durch
den viertausend Meter tiefen Meeresboden zogen. Das Experiment fand in
einem ökologisch intakten Areal statt: In dem sauberen und klaren Wasser
registrierten Meeresbiologen dreiundzwanzig verschiedene Seegurkenarten,
viele Krebse, Hohl- und Manteltiere, Tiefsee- Plankton, Schlangensterne und
Würmer, dazu unterschiedliche Bakterienkulturen. Nach der Zerstörung
lieferten Kameras ein geradezu grauenhaftes Bild. Der einst ebene Boden war
zwölf Zentimeter tief zerfurcht; ähnlich frisch gepflügten Feldern reihte
sich Furche neben Furche. Alle Manganknollen, fünf bis zehn Kilogramm pro
Quadratmeter, lagen begraben unter dem Sediment, das zudem als mächtige
Wolke hundert Meter über dem Meeresgrund stand.
Unmittelbar nach „gesetzter Störung“, so heißt das lokale Ökodesaster
offiziell, zogen Kastengreifer erste Proben – eine Prozedur, die jedesmal
drei Stunden dauerte. Zunächst untersuchten die Biologen Bakterienkulturen.
Im ungestörten Sediment verteilen sie sich nach einer typischen Kurve: An
der Oberfläche leben viele, tiefer im Boden nimmt ihre Zahl ab. Direkt nach
der Störung stieg die Bakterien-Zahl stark an – teilweise verdrei- bis
vervierfachte sie sich. Grund für diesen Schub: Die Pflugegge – respektive
der mächtige Manganknollen-Saugkollektor – hatte fast alle Tiere und
Pflanzen zerstückelt, die jetzt als zusätzliche Nahrung den Bakterien zur
Verfügung standen. Erst ein Jahr später normalisierte sich die Verteilung
innerhalb des Sedimentes; die Gesamtzahl von Mikroben lag aber weit über
dem Normalniveau. Biologen deuten dies als Hinweis auf die Langsamkeit und
Empfindlichkeit biologischer Prozesse in der Tiefsee: Der Abbau von
Biomaterial dauert hier um ein Vielfaches länger als in niedrigeren
Meerestiefen.
Im nächsten Untersuchungsschritt schließlich wurden Kleintiere gezählt,
ihre Größe schwankt zwischen 0,04 und einem Millimeter, und mit den Werten
beim intakten Ökosystem verglichen. „Wir haben“, so Gerd Schriewer vom
Institut für Hydrobiologie der Universität Hamburg, „zum Beispiel für
mikroskopisch kleine Krebse, sogenannte Kopepoden, und für Fadenwürmer eine
Abnahme von bis zu fünfundachtzig Prozent gegenüber der Basisuntersuchung
festgestellt.“ Bei einer zweiten Probe stieg der Wert sogar auf über
fünfundneunzig Prozent an. „Die Pflugegge“, so Schriewer, „hat fast alle
Kleinlebewesen getötet beziehungsweise in die Wassersäule aufgewirbelt, wo
sie mit der Strömung in andere Seebereiche verdrifteten.
Dieser Effekt hat besondere Bedeutung, zeigt er doch, daß Störungen auf dem
Meeresboden niemals nur lokale Bedeutung besitzen, sondern weit darüber
hinaus reichen: Steigt beispielsweise die Zahl von Tieren in anderen
Tiefseebereichen, erhöht sich sofort der Freßdruck mit dem Ergebnis, daß
die fein aufeinander abgestimmte Nahrungskette aus dem Gleichgewicht gerät.
Bei den regelmäßigen Proben, die letzte zogen Hamburgs Hydrobiologen vor
wenigen Monaten, zeigen sich erst jetzt erste Ansätze von Rückbesiedelung.
Dieser schleppende Prozeß ist um so bedenklicher, da der Großversuch,
übrigens der erste seiner Art, noch gar nicht alle Störungen erfaßt hat.
Beim industriellen Manganknollenabbau beispielsweise regnen ständig
Sedimentreste, sogenannte Tailings, zurück auf den Meeresboden, hinzu
kommen Öle und Chemikalien von den Arbeitsschiffen, außerdem werden die
tatsächlich gestörten Areale weit größer sein: Ein Fördersystem bearbeitet
pro Tag einen Quadratkilometer Meeresboden, bei dreihundert Betriebstagen
im Jahr also dreihundert Quadratkilometer. Um größere Klarheit zu gewinnen,
fordern die Wissenschaftler weitere Großversuche. Sie sollen schon im
Vorfeld abklären, was beim Meeresbergbau tatsächlich passiert. Hjalmar
Thiel: „Wenn der kommerzielle Meeresbergbau beginnt, haben wir keine Chance
mehr, auf die Technik einzuwirken. Wir müssen schneller sein!“ Mirko
Smiljanic
11 Oct 1993
## AUTOREN
mirko smiljanic
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