# taz.de -- Bei den Indianern von Ponca City: Politik ist kein Thema | |
> In Oklahoma leben mehr Indianer als in anderen Bundesstaaten. Viele von | |
> ihnen gehen gar nicht zur Wahl. Aber warum wählen diejenigen, die wählen | |
> gehen, ausgerechnet republikanisch? | |
Bild: Das Rathaus von Ponca City: Viele Ponca-Indianer wählen aus Tradition re… | |
PONCA CITY taz Noch im kleinsten Nest der USA lässt sich normalerweise eine | |
Wahlveranstaltung finden: Demokraten und Republikaner bauen | |
Informationsstände auf, versuchen, Unentschiedene bei Nachbarschaftstreffen | |
zu überzeugen, oder laden zum gemeinsamen Anschauen von Fernsehdebatten | |
ein. In Ponca City ist für den Präsidentschaftswahlkampf nichts geplant. | |
Gar nichts. | |
Ponca City, im Norden von Oklahoma gelegen und benannt nach dem | |
Indianervolk der Ponca, hat immerhin mehr als 25.000 Einwohner. John McCain | |
verfügt in diesem Bundesstaat über eine so komfortable Mehrheit, dass jeder | |
Dollar eine Eule wäre, die nach Athen getragen würde. Aber warum kämpfen | |
die Demokraten nicht? In der Umgebung der Stadt wohnen überdurchschnittlich | |
viele Indianer - eine Bevölkerungsgruppe, die sich stets wenig an Wahlen | |
beteiligt hat. Könnte ein Kampf um deren Stimmen nicht die Trendwende in | |
Oklahoma schaffen? Wen sollten die Ureinwohner der USA mit ihrem hohen | |
Anteil an Arbeitslosen und Armen denn wohl sonst wählen, wenn nicht die | |
Demokraten? Schließlich haben die das Thema Sozialpolitik gepachtet. | |
Jim White, Pastor der Methodistenkirche im Reservat bei Ponca City, lächelt | |
müde. Seine Kirche ist Mitbegründerin der Initiative "Holt die | |
einheimischen Stimmen", die in Oklahoma, Texas und Kansas um die | |
Registrierung indianischer Wähler gekämpft hat. So einfach sei das nicht. | |
"Die Ponca sind loyal ihren Vorfahren gegenüber. Meine Schwiegermutter | |
wählt unbeirrbar republikanisch, weil ihr Vater das auch getan hat. Und | |
meine Schwägerin hat sich gerade für die Wahlen registrieren lassen. Als | |
Republikanerin." | |
Der Pfarrer sagt, ihm selbst sei unbegreiflich, weshalb Indianer | |
republikanisch wählten oder sich freiwillig zum Militärdienst meldeten. | |
Aber auch der 49-Jährige fühlt sich innerlich zerrissen: "Mein Vater war | |
Soldat. Wenn diese Entscheidung für ihn richtig war, dann müsste sie das | |
eigentlich auch für mich sein. Trotzdem habe ich mich nicht zum Militär | |
gemeldet." Er zuckt mit den Schultern. Ratlos. | |
Zum Gottesdienst sind an diesem Sonntag etwa 30 Gläubige gekommen. Unter | |
ihnen: Alan Blueback. Er ist eigentlich das ideale Ziel für eine Kampagne | |
der Demokraten. Der ehemalige Alkoholiker und Junkie - "Das erste Mal war | |
ich im Alter von neun Jahren besoffen" - ist seit 24 Jahren trocken und | |
clean. Aber er ist ein schwer kranker Mann. Früher hat er sich als | |
Gelegenheitsarbeiter durchgeschlagen; das schafft der siebenfache Vater | |
schon lange nicht mehr. Er hat drei Bypässe, ist außerdem Dialysepatient. | |
Der 56-Jährige sieht aus wie ein Greis. Am Leben gehalten wird er von der | |
staatlichen Gesundheitsfürsorge. "Aber wenn meine Frau auch nur vier Dollar | |
zusätzlich verdient, verliere ich diesen Schutz." | |
Daran wollen die Demokraten etwas ändern. Geht Alan Blueback wählen? | |
"Nein." Warum nicht? "Mir ist egal, was passiert. Es ändert sich sowieso | |
nichts." Die Weißen würden die Indianer - den andernorts für politisch | |
korrekt gehaltenen Begriff "amerikanische Ureinwohner" benutzt hier niemand | |
- ohnehin nicht als gleichberechtigt akzeptieren, egal, wer Präsident sei. | |
"Ich habe gesehen, wie Indianer mit Hunden aus der Stadt gejagt wurden." | |
Sein Cousin sei nach der Verhaftung von oben in den Kopf geschossen worden. | |
"Die Polizei kommt hier mit Mord davon." Nein, Alan Blueback wäre wohl von | |
keinem politischen Lager zu erreichen. "Die Einzigen, die Menschen trösten | |
können, sind Gott und Jesus Christus." | |
Die Rentnerin Mona Reed sitzt im Kirchenvorstand. Als sie mit ihrem weißen | |
Ehemann, einem Sozialarbeiter, vor der Kirche vorfuhr, hat sie Alan | |
Blueback herzlich begrüßt. Die Wärme wirkte ehrlich - aber ehrlich wirkt | |
sie auch, wenn sie, die selbst längst in der Stadt wohnt, später im Café | |
verächtlich über Indianer redet, die vom Staat leben. Pastor White hatte | |
zuvor erklärt, ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit in den Reservaten | |
sei unter anderem darin zu sehen, dass sich indianische Traditionen nur | |
schwer mit der Moderne vereinbaren ließen: "Eine Beerdigung dauert vier | |
Tage, und es wird selbst von entfernten Verwandten erwartet, dass sie daran | |
teilnehmen. Es gehört sich, die Familie wichtiger zu nehmen als den Job. | |
Welcher Arbeitgeber akzeptiert das?" | |
Die ehemalige Krankenschwester Mona Reed winkt ungeduldig ab: "Faule | |
Ausreden. Die Familien wollen einfach nicht, dass die Jungen sich einen | |
Arbeitsplatz suchen und in die Stadt ziehen. Je weniger Mitglieder in einem | |
Haushalt leben, desto weniger Sozialhilfe gibt es." Sie selbst sei im | |
Reservat aufgewachsen und habe als kleines Kind noch im Zelt gelebt. | |
"Able to accomplish" | |
Warum hat sie es geschafft? Die gepflegte ältere Dame mit dem dezenten | |
Goldschmuck richtet sich hoch auf. Groß wirkt sie plötzlich. "Weil ich es | |
wollte." Dann fügt sie hinzu: "Wir haben 1960 einen Club gegründet. Wir | |
nannten ihn "able to accomplish" - "fähig, es zu schaffen". Den Club gebe | |
es heute noch. "Wir", damit sind indianische Collegestudenten gemeint. "Ein | |
Richter, mehrere Rechtsanwälte, Krankenschwestern und ein - inzwischen | |
verstorbener - Harvard-Dozent gehören zu unseren Mitgliedern." | |
"Fähig, es zu schaffen" - das hört sich fast so an wie der Wahlslogan von | |
Barack Obama: "Ja, wir können." Wird er die Stimme von Mona Reed bekommen? | |
Immerhin stammt sie aus einer Familie von Demokraten. "Seit wir das | |
Wahlrecht haben, haben wir immer gewählt", erzählt die 63-Jährige stolz. | |
Sie selbst ist seit Jahrzehnten eingeschriebene Demokratin. Die Betonung | |
liegt auf "eingeschrieben". Denn seit 1980, als Ronald Reagan erfolgreich | |
gegen Jimmy Carter antrat, hat sie stets für die Republikaner gestimmt. | |
Warum sie trotzdem Demokratin bleibt? Familientradition. So kann man sie | |
also auch auslegen. | |
Obama kann nicht auf die Stimme von Mona Reed hoffen. "Er ist eine Taube", | |
sagt sie missbilligend. "Würden Sie Ihr Haus in einer feindseligen Umgebung | |
ohne Türen und Fenster bauen? Wir brauchen ein starkes Militär." "Wir", das | |
sind die USA in ihrer heutigen gesellschaftlichen Ordnung. "Es ist unser | |
Land. Die US-Flagge ist das Symbol unseres Landes. Deshalb dienen auch | |
viele von uns stolz in der Armee." Da hätte Pfarrer White die Antwort auf | |
seine Frage, egal ob er sie nun überzeugend fände oder nicht. Aber wie | |
sagte er doch? "Über Politik wird in der Gemeinde praktisch nie | |
gesprochen." | |
Die Geschichte von Oklahoma lässt sich auf sehr verschiedene Weisen | |
erzählen. Als das Gebiet 1903 im Zuge des Louisiana Purchase Act - des | |
Erwerbs einer gigantischen Menge Land, das vorher Frankreich gehörte - an | |
die Vereinigten Staaten fiel, war das Interesse an dieser Region nicht sehr | |
groß. Was lag näher, als sie den Indianern zu geben, die anderswo den | |
Neuankömmlingen aus der "Alten Welt" im Wege waren? Viele tausende | |
Indianer, die vorher östlich des Mississippi gelebt hatten, wurden dorthin | |
in die Emigration gezwungen. Tausende starben auch auf diesem "Pfad der | |
Tränen". Als der Bevölkerungsdruck wuchs, wurden Ende des 19. Jahrhunderts | |
weite Teile dieses ehemaligen Indianerlandes auch für weiße Siedler | |
freigegeben. | |
1907 wurde dieses Gebiet dann offiziell zum 46. Bundesstaat der USA | |
erklärt, dem heutigen Oklahoma. Pech für die Indianer? Einerseits schon. | |
Andererseits sind die Verträge eben nicht gänzlich null und nichtig - es | |
gibt durchaus unabhängige Richter in den Vereinigten Staaten. "Wir bekommen | |
Überweisungen aus Einnahmen aus Ölquellen auf unserem Land", erklärt Mona | |
Reed und hört sich an wie die Kleinaktionärin eines Großkonzerns. Obwohl | |
sie klagt, dass die Überweisungen zuletzt immer geringer ausfielen. | |
Wer ist denn nun eigentlich Indianer: Wer bekommt Geld? Andrew Willey zuckt | |
die Schultern und deutet auf die Landkarte hinter seinem Schreibtisch. Sie | |
sieht aus wie ein Flickenteppich. "Es gibt hier keine großen, klar | |
abgegrenzten Reservate wie in anderen Bundesstaaten." Indianerland, das | |
kann auch mal ein Gebiet sein, das nicht größer als ein kleiner Bauernhof | |
ist. Und wer dazugehört, darüber bestimmen die Völker selbst. Die Ponca | |
haben entschieden, dass wenigstens ein Großelternteil vollständig Indianer | |
sein muss. | |
Angst vor Überflutung | |
Andrew Willey ist im Büro für indianische Angelegenheiten als Polizist für | |
Gesetzesübertretungen in den Reservaten zuständig. Seit über 20 Jahren | |
schon. Ihn kann nicht mehr viel überraschen. Was sagt er zu Beschuldigungen | |
wie denen von Alan Blueback? Der 49-jährige Indianer lächelt. | |
"Wahrscheinlich ist ein Körnchen Wahrheit darin. Kann passieren, dass die | |
Polizei auf Beschwerden mal nicht reagiert. Aber dass sie mit Mord | |
davonkommt? Nein." | |
Auch Andrew Willey wird zur Wahl gehen. Und für die Republikaner stimmen. | |
Obama sei nicht erfahren genug. Warum wählen überhaupt so wenige Indianer? | |
"Sie haben das Gefühl, dass sie nicht zur Gesellschaft gehören. Dass die | |
Regierung keinen Rattenarsch dafür gibt, wie es ihnen geht. Aber sie sind | |
auch selber schuld. Vor allem selber schuld. Sie kämpfen nicht. Sie müssten | |
langfristig planen, um einen Fuß in die Tür der US-Politik zu bekommen. Die | |
ganze Sozialfürsorge ist doch nichts als Almosen." | |
Andrew Willey und Mona Reed müssten sich eigentlich gut verstehen. | |
Vielleicht würden sie sich sogar mit Pastor Jim White gut verstehen, wenn | |
sie denn mal über Politik reden würden. Die Furcht vor dem Missbrauch des | |
Solzialsystems ist ja auch ihm nicht fremd. Bei den Cherokee werde | |
praktisch jeder aufgenommen, der auch nur ein Tausendstel indianisches Blut | |
in sich trage, sagt der Pfarrer. "Wenn das andere auch machen, werden wir | |
überflutet, und der Damm bricht. Die Cherokee ruinieren das System." | |
Vielleicht sind die Demokraten ganz gut beraten, wenn sie in Ponca City | |
keinen Wahlkampf machen. | |
18 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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