# taz.de -- Ausstellung: Werktage des Wilhelminismus | |
> Bitter-rauer Blick auf die späten Tagen Preußens: Das Architekturmuseum | |
> der Technischen Universität zeigt "Konstruktionen und Katastrophen. | |
> Architekturphotographie in Preußen 1860 bis 1918" | |
Lange Zeit haben Bilder vom gründerzeitlichen Berlin und Preußen | |
hauptsächlich so etwas wie eine wilhelministische Folklore imaginiert. Da | |
sah man auf den Fotografien das Berliner Stadtschloss mit Herren in Frack | |
und Zylinder. Die Stadt hatte ordentliche Straßen und stuckige Häuser. Vom | |
Land gab es Abbildungen mit tiefem Horizont; davor Bauern oder Militärs. | |
Und selbst Motive vom tristen Alltag jener Zeit - wie etwa Zille sie machte | |
- gelten heute als nostalgische Erinnerungsstücke. | |
Mit der aktuellen Ausstellung "Konstruktion und Katastrophe. Staatliche | |
Architekturphotographie in Preußen 1860 bis 1918" versenkt das | |
Architekturmuseum der TU den Betrachter in eine andere, bitter-raue und | |
stampfende Wirklichkeit der Gründerjahre. Kaum inszenierte, sondern | |
sachliche Schwarzweiß-Dokumente erzählen in einer Art Chronik aus den | |
späten Tagen Preußens: Eisenbahnlinien wurden durch Deutschland gefräst, | |
Bahnhöfe und Dämme gebaut, ganze Stadtteile und Industrien entstanden neu. | |
Maloche allüberall, Schweiß und Tränen, Arbeiter und Bürger, aber wenig | |
Adelige sind zu sehen. Es sind Bilder aus den Werktagen des Wilhelminismus. | |
Werra-Brücke, Bober-Viadukt, Lange Brücke Potsdam, Jossa- und | |
Kaiser-Wilhelm-Brücke lauten die Namen einer Folge von fünf der insgesamt | |
60 Bilddokumente aus den Jahren 1870 bis 1899. Stahl- und | |
Eisenkonstruktionen wie bei Gustav Eiffel türmen sich Riesen gleich hier | |
aus Schluchten auf, um Verbindungen zu schaffen. Es sind Bilder einer | |
Dynamik und Mobilität, die keine Kehrseite kannte. | |
Ostbahnhof, Görlitzer Bahnhof und Stettiner Bahnhof heißt die nächste | |
Reihe, die die Monumente der Beschleunigung Preußens und Berlins aus | |
mächtigen Perspektiven feiert. Schließlich sieht man Aufnahmen der | |
Produzenten: Straßen- und Bauarbeiter, Eisenbahner und Geologen, Militär | |
und Angestellte. Die Kamera hat Augenblicke der Arbeit festgehalten - weil | |
es fast keinen Halt gab. Und wurde einmal Pause gemacht - wie beim | |
Cornberger Tunnelbau -, wird der Arbeiter zum Helden der Arbeit stilisiert. | |
Dass man im damaligen Preußen die Bilder durchaus als Dokumente des | |
radikalen Umbaus und der Modernisierung, aber auch der Gefährdung und | |
Fragilität derselben ernst nahm, gibt die Schau zu bedenken. Seit 1860 ließ | |
der preußische Staat seine Bauwerke von namhaften Fotografen wie den | |
Berlinern Hermann Rückwardt und F. Albert Schwartz dokumentieren. Auf die | |
großformatigen Glasplatten bannten sie tausendfach sowohl die technischen | |
und architektonischen Meisterleistungen als auch deren Schattenseiten: die | |
Zerstörung von Natur und die Anfälligkeit der neuen Konstruktionen | |
gegenüber den Naturgewalten. | |
Doch die Fotos verdeutlichen noch etwas: "Brandstelle Borsig-Mühle" heißt | |
eine Reihe, die das Innere des Berliner Werks nach dem Feuer 1898 zeigt. | |
Man schaut auf düstere Aufnahmen voller Trostlosigkeit aus Schutt und | |
Scherben. Aber wie auf den Rudimenten des World Trade Centers triumphiert | |
auch hier der Heros Mensch über dem Chaos: Ein Feuerwehrmann steht da | |
zwischen Bergen von Eisenträgern als der Bezwinger der Feuersbrunst. Und | |
auch beim wunderbaren Panoramafoto zum Greifswalder Eisenbahnunglück 1872, | |
als alle Waggons entgleisten, gibt es in allem Unglück die Rettung: Während | |
im Hintergrund die Lokomotive versinkt, belebt sich der Vordergrund durch | |
die Helfer. Die Botschaft lautet: für Kaiser, Gott und Vaterland. | |
13 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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