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# taz.de -- Ausstellung zu den Nürnberger Prozessen: Verbrechen und Strafe
> Den Nürnberger Prozessen widmet sich eine Dauerausstellung im
> Oberlandesgericht Nürnberg: das "Memorium Nürnberg". Neues verrät sie
> nicht, wertvoll ist sie dennoch.
Bild: Eröffnung des "Memorium Nürnberger Prozesse" im Sitzungssaal 600.
Dass der Schwurgerichtssaal in Nürnberg eine Weltberühmtheit ist, merkte
man ihm rund 60 Jahre lang kaum an. Direkt nach den Nürnberger Prozessen
(1945-49) mauerte man die Gucklöcher für die Fotografen wieder zu. Seitdem
drückten vor allem Kapitalverbrecher die Anklagebank im Saal 600 des
heutigen Oberlandesgerichts Nürnberg. Doch ab dieser Woche dokumentiert im
Gericht erstmals eine Dauerausstellung die Kriegsverbrecherprozesse. Die
Veranstalter des "Memoriums Nürnberg" erwarten ein internationales
Millionenpublikum.
Die ehemalige Pressetribüne hat man zu diesem Zweck umgebaut. Eine Wand ist
zum Gerichtssaal hin eingezogen. Im Ausstellungsraum sieht man Fotos der
Angeklagten und Kläger aufsummiert wie in einer permanenten Slideshow.
Durch ein Fenster kann man einen Blick nach unten in den Saal werfen,
allerdings nur, wenn keine nichtöffentliche Verhandlung läuft.
Schon in den letzten Jahren vor dem Umbau waren geschichtsinteressierte
Touristen in immer größeren Mengen zum Justizgebäude gekommen, um die
Klagebank Hermann Görings und den Stuhl des Chefanklägers Robert Jackson zu
sehen. "40.000 Besucher hatten wir im Jahr 2008", sagt Oberbürgermeister
Ulrich Maly.
Die mussten zu großen Teilen enttäuscht weggeschickt werden. Und
Gerichtspräsident Stefan Franke staunte, dass damals sogar am Sonntagabend
noch Menschen um Einlass baten, die er manchmal - ausnahmsweise - ins
Zimmer hineinschauen ließ.
Doch erstaunen müsste vielmehr die Tatsache, dass auf die Idee eines
Erinnerungsortes noch niemand früher gekommen ist. Mahnmale für die Opfer
des Nationalsozialismus existieren spätestens seit Errichtung der
Gedenkstätte Berlin-Plötzensee, Anfang der 1950er Jahre.
Eine ausführliche Dokumentation über die Verbrecher erfolgte dagegen mehr
als dreißig Jahre später, etwa mit der "Topografie des Terrors" in Berlin.
Die Ausstellung in Nürnberg ist daher nicht nur überfällig. Sie suggeriert
auch einen Perspektivwechsel, der endlich am Nerv des Schuldproblems rühren
könnte.
Dabei erfährt man in der Ausstellung gar nicht einmal so viel Neues. Eine
Plakat listet die Grundsätze des Londoner Statuts auf, der Prozessordnung
der Nürnberger Prozesse. Stellwand um Stellwand zeigt die Biografien der
Täter, Kläger, Richter und Dolmetscher im Hauptprozess.
Wir lesen zum Beispiel von der Résistance-Kämpferin Marie
Vaillant-Couturier, die in Nürnberg über ihre Internierung im KZ Auschwitz
aussagte. Oder man erfährt von Göring-Verteidiger Otto Stahmer, der
erfolgreich um Überprüfung der sowjetischen Anklage des Katyn-Massakers
bat.
Den ersten Raum verlässt man und geht vorbei an einem bis an die Decke
reichenden Banner, das mit der Aufschrift "Urteile" die Schicksale der
Angeklagten nacheinander besiegelt. Die Nachfolgeprozesse sind eingedampft
auf drei Schautafeln und wirken - das ist dem Raummangel zuzurechnen - ein
bisschen nachgekleckert. Dazwischen durchbrechen einige Originalvideos aus
den Zeugenvernehmungen das Bild.
Es sind keine Informationen, die man sich nicht zu Hause bequemer aus dem
Internet herunterladen könnte. Bemerkenswert ist die Ausstellung deshalb
nicht wegen ihrer Inhalte. Sondern als eine Geste.
Der Besucher sieht die Durchsetzung von Recht dokumentiert. Man wird Zeuge,
dass Täter des Naziregimes für ihre Verbrechen geradestehen mussten. Oder,
so kommentierte Zeitzeuge und ehemaliger Dolmetscher Arno Hamburger
anlässlich der Eröffnung: "Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen
trefflich gut."
Das ist zwar mehr als optimistisch: Denn dass nicht alle Schuldigen ihre
Strafe bekamen, weiß man heute. Die Ausstellung birgt dennoch hier ihren
eigentlichen Sprengstoff. Der fassungslosen Frage: "Wie können Menschen so
etwas tun?", macht eine andere Platz: "Wann ist ein Mensch böse?"
Ein wenig fühlt man sich darum erinnert an die Goldhagen-Debatte der späten
90er Jahre. Dessen Buch "Hitlers willige Vollstrecker" stieß damals auf
heftigen Widerspruch aus den Medien. Seine These: Die Nationalsozialisten
waren nicht einfach Befehlsausübende und Opfer eines verselbstständigten
Machtmechanismus - sie handelten aus Überzeugung.
Auch die Ausstellung suggeriert: Menschen können sehr wohl zur Rechenschaft
gezogen werden, für das, was sie tun. Goldhagens gewagtem Schritt, darum
eine deutsche Kollektivschuld zu unterstellen, geht diese Ausstellung nicht
nach. Fein säuberlich führt sie die Details der individuellen Angeklagten
wie in einer Beweisaufnahme vor. Allerdings dementiert sie eine
Verharmlosung der Gräuel als psychologisch erklärbare Schwäche. Nüchtern
widerlegt sie - wie eine faire Gerichtsverhandlung. Mit der Ausstellung ist
darum eine Lücke geschlossen.
Besonders für Besucher, die persönlich unter dem Nationalsozialismus
gelitten haben, sei der Saal mit starken Emotionen verbunden, erklärt der
Leiter der Ausstellung, Hans-Christian Täubrich. "Manche Touristen weinten,
weil sie nicht reinkamen und wir sie wieder wegschicken mussten", sagt er.
Die Ausstellung gesteht der Verarbeitung von Schuld im Nationalsozialismus
so einen eigenen Raum zu.
23 Nov 2010
## AUTOREN
Isabel Metzger
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