# taz.de -- Ausstellung über DDR-Punk in Halle: Wie die Landung Außerirdischer | |
> Die Ausstellung "Too much future" widmet sich der Punk-Szene in der | |
> ehemaligen DDR - umfassend, aufwändig und originell. Nur eines fehlt: Die | |
> Musik. | |
Bild: Rebellen mit Lederjacke: Punks in der ehemaligen DDR. | |
Zu den Wurzeln des Punks in der BRD scheint eigentlich alles gesagt. | |
Zahlreiche Bücher, Compilations und Filme haben diese einstige | |
Jugendbewegung akribisch vermessen und ihr einen würdigen Platz im Pantheon | |
der Popkultur zugewiesen. Übersehen wird dabei gerne, dass es auch auf der | |
anderen deutschen Seite des Eisernen Vorhangs eine aufsässige Jugend gab, | |
die unter ganz anderen Ausgangsbedingungen die westliche Rebellion nach | |
ihren Gesichtspunkten umformte und auszuleben versuchte. | |
Hier setzt die Arbeit von Michael "Pankow" Boehlke und Henryk Gericke an. | |
Mit dem Film "Ostpunk", zahlreichen Publikationen und ihren Ausstellungen | |
in Berlin (2005), Dresden (2006) und jetzt Halle zeigen die beiden | |
(Ost-)Berliner Altpunks, dass es um den authentischen Zugang geht. Anstatt | |
also ein Heer von Historikern, Soziologen und Jugendforschern an "ihre" | |
Zeit zu lassen, gestalten sie ihr Erbe nach dem Motto "Do it yourself" | |
selbst. Halle ist dabei nicht zufällig als Ort ausgewählt: Neben der | |
Tatsache, dass hier am 30. April 1983 in der Christuskirche das erste | |
Punk-Festival der DDR stattfand, war Halle immer auch Ausdruck für die | |
Möglichkeit von Punk in der Provinz, also jenseits der urbanen Zentren | |
Berlin und Leipzig, den Hauptstädten der Rebellen mit Nietengürtel in der | |
DDR. | |
"In den Jahren 1979 bis 82", schreibt Gericke in seinem einleitenden Text | |
zum Katalog, "ist die Wirkung der Punks nur mit der Landung von | |
Außerirdischen zu vergleichen." Aber wie präsentiert man Außerirdische im | |
Museum, das ja immer von dieser Welt ist und von den meisten Jugendbewegten | |
eher gemieden wird? Das Stadtmuseum Halle hat dafür einen kongenialen Ort | |
zur Verfügung gestellt: das Stockwerk einer alten Druckerei, das nach der | |
Zurichtung durch die Ausstellungskuratoren wie der Ausgangspunkt einer | |
wilden Party wirkt. Auf großen Schwarzweißbildern blicken Jugendliche in | |
Turnschuhen und zerfetzten Klamotten in den bunt, aber schwach beleuchteten | |
Raum. Drei Plattenspieler dudeln im Loop immer wieder dieselben | |
Stückfetzen: Kakofonie. | |
In der Mitte sechs aufgerissene Aktenschränke, aus denen Papier quillt. | |
Papier, das den eklatanten Ost-West-Unterschied zwischen den Punk-Bewegten | |
zeigt, denn dabei handelt es sich um Kopien von Unterlagen der | |
Staatssicherheit, welche die anders eingestellten Jugendlichen sehr schnell | |
in den Fokus genommen hat. Liedtexte, Verhörprotokolle oder allgemeine | |
Lageeinschätzungen, wer hier sucht, wird fündig - eine Menge Stoff für | |
zukünftige Historiker. Im Jahr 1984 gelang dem Staat der große repressive | |
Schlag. Mittels Einberufungsbescheiden, Verhaftungen und Ausreisen wurde | |
der Kern der ersten Generation, der freilich viele weitere folgen sollten, | |
nachhaltig zerstreut. Zuvor hatte die Stasi die Szene mit informellen | |
Mitarbeitern infiltriert, wie es am Beispiel des Gitarristen "Ima" Abdul | |
Jamid der Gruppe LAttentat aus Leipzig dokumentiert ist. | |
Erst ein Studium des Katalogs klärt über solche verbindenden Details auf, | |
die in der Ausstellung nur schlaglichtartig und versteckt auftauchen. Auch | |
wer explizit etwas über die Hallenser Szene erfahren will, wird auf ein | |
Büchlein verwiesen, das zur Ausstellung erschienen ist. In "Von Wutanfall | |
bis Müllstation" nehmen sich der Kulturhistoriker Bernd Lindner und der | |
Erste-Stunde-Punk Mark M. Westhusen die Verhältnisse in der Saalestadt vor. | |
Ob Konzerte in Kirchen oder die zahlreichen Besetzungen von Abbruchhäusern | |
- es findet hier und nicht in der Ausstellung seine Würdigung. | |
Diese funktioniert eher als Punk-Installation, die den Geist der Zeit über | |
verschiedene Medien wiederauferstehen lässt, aber ansonsten in keiner Weise | |
historisch oder gar historisierend sein will. Die Nähe zu Künstlern und | |
Kirche wird beleuchtet und bizarre Kurzfilmchen werden gezeigt. Selbst die | |
Tatsache, dass Punk den Weg für die rechtsradikale Skinhead-Szene | |
bereitete, die sich beide nach kurzer Zeit in gegenseitigem Hass verbunden | |
waren, der am 17. Oktober 1987 in dem Angriff der Rechten auf die Berliner | |
Zionskirche mündete, findet ihren Platz - in den ehemaligen Sanitärräumen | |
der Fabriketage. | |
Zu wenig Raum aber widmen die Ausstellungsmacher dem gerade für den Punk so | |
wichtigen Moment der Musik. Zwar wird mittels einer Installation die | |
Bedeutung der Kassettenkultur dargestellt, ohne aber die Möglichkeit zu | |
gewähren, Musik jener Zeit zu hören. Auch das mit zwei CDs bestückte Buch | |
"Spannung. Leistung. Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979-1990", ein | |
Produkt des Gesamtprojekts, kann da nur bedingt weiterhelfen, da es sich | |
vor allem mit der Entwicklung der elektro-experimentellen Szene ab Mitte | |
der 1980er beschäftigt. Zumindest ein paar wenige, wenn auch sicherlich | |
aufgrund der technischen Möglichkeiten miserabel aufgenommene Stücke der | |
1980er Punks wären hier wünschenswert gewesen. | |
Heute sind die Außerirdischen von damals in der Gesellschaft angekommen. | |
Oppositionelle Haltungen werden produktiv genutzt. Sie haben irgendwie | |
ihren Weg gemacht und ihren Beitrag zur (sub)kulturellen Bereicherung | |
zweier deutscher Staaten geleistet. Mal sehen, was man in 25 Jahren von den | |
jetzigen Subkulturen sagen kann. | |
4 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Torben Ibs | |
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