Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ausstellung Geschichte der Fotografie: Fotos made in Leipzig
> Die drei größten Leipziger Museen zeigen 172 Jahre Leipziger
> Fotografiegeschichte. Die Ausstellungen klotzen mit Material - erklären
> aber zu wenig.
Bild: Zu sehen im Stadtgeschichtlichen Museum in Leipzig: Die "Kinderwagenparad…
LEIPZIG taz | Ein Mann mit Zylinder hält einen Auslöser in der Hand,
konzentriert schaut er in die Augen des imaginären Betrachters ihm
gegenüber. Darunter liegt ein Teil von einem Vogelflügel, die Federn
hochaufgelöst bis ins letzte Detail: Mit dieser Collage aus Porträt und
Stillleben wirbt die Mammut-Ausstellung "Leipzig. Fotografie seit 1839" für
sich.
Die drei größten Leipziger Museen unternehmen mit der Schau einen
Parforce-Ritt durch 172 Jahre Leipziger Fotografiegeschichte. Das
Werbemotiv vollzieht diese Geschichte sinnfällig nach: Der Mann mit Hut ist
der Berufsfotograf Eduard Wehner, der sich in den 1840er Jahren selbst
porträtiert hat, gerade fünf mal sechs Zentimeter ist das Bild groß.
Die Vogelfedern stammen vom 1977 geborenen Edgar Leciejewski, der eine der
größten Fotografien beigesteuert hat. Von klein nach groß: Die Geschichte
der technischen Reproduzierbarkeit, das Selbstbewusstsein des Fotografen
als Künstler und die Formate, sie gingen Hand in Hand.
Das historische Feld der Fotografie teilen sich das Grassimuseum für
Angewandte Kunst und das Stadtgeschichtliche Museum. Sie setzen die
Fotografie als Handwerk und die Etappen Leipzigs auf dem Weg zur Fotostadt
ins Bild: erste Daguerreotypien im Oktober 1839, 1914 die weltweit erste
Fotografie-Professur, 1940 Gründung eines Instituts für Farbfotografie.
Die Museen dokumentieren, wie die Fotografie zum Chronistenmedium wird,
zunächst in den sich rasant verändernden Industriestädten, später im Krieg:
Robert Capa schießt sein Foto "Der letzte Tote des Krieges" im Frühjahr
1945 in Leipzig. Die Bauhaus-Fotografie, die klassenkämpferische Arbeiter-
und die nationalsozialistische Propagandafotografie blicken da schon auf
eigene Traditionen zurück. Die Zeit ab 1961 übernimmt das Museum der
bildenden Künste.
Christoph Tannert, Hauptkurator der gesamten Ausstellung, hat hier das
inszeniert, was er als Schnitt durch einen Baumkuchen verstanden wissen
will: Einblicke in die Schichten einer hauptsächlich dokumentarischen
Fotografie, die sich in ihren Aufträgen unterschied. Auf der einen Seite
der Staatsauftrag, der von den Fünfziger- bis Achtzigerjahren zwar nicht
immer dasselbe von den Fotografen forderte, aber doch immer bestimmte
Bildsprachen aussortierte. Auf der anderen Seite die Fotografie im
Eigenauftrag, mit einem ähnlichen Hang zum Realismus.
## Skeptische Tradition
Zwei Begriffe fallen im Zusammenhang mit Christoph Tannerts Teil der
Ausstellung. Der eine, "verdienstvoll", ist anerkennend gemeint: Den
enormen Fundus und den Pionierstatus sichtbar zu machen, den Fotografie
made in Leipzig immer wieder eingenommen hat, ist überfällig gewesen. Der
andere - vergiftete - Begriff lautet "Leistungsschau" und klingt nach
"Unsere Besten"-Wandzeitung.
Kontingenz statt Konsistenz, beliebig sortierte Baumscheiben statt
Vivisektion am Baumkuchen: Die Fülle der Fotografennamen suggeriert
Vollständigkeit, von wichtigen Serien aber sind nur Einzelbilder zu sehen,
und das Nebeneinander der Fotografien macht eine Lesbarkeit ihrer
Entstehenszusammenhänge streckenweise unmöglich.
Diese Zusammenhänge zu zeigen, wäre wünschenswert gewesen in einem Feld, in
dem es nie nur um das schöne Bild ging, sondern in dem stets Bildpolitik
gemacht wurde. Die Arbeiten der jüngeren Fotografen inszeniert Tannert
erhaben, statt zu zeigen, welche Skepsis viele der jüngeren Fotografen
ihrem Medium gegenüber haben und was diese Skepsis mit einer ganz
speziellen Leipziger Tradition zu tun hat.
Die Ausstellung präsentiert auch die Fotografenlehrer, die nach 1990 neu an
die Akademie kamen: Timm Rautert, Joachim Brohm, Heidi Specker und andere.
Ihre produktiven Nachkommenschaften aber inszeniert die Schau nicht. Die
Rautert-Schüler hängen unlesbar weit weg von ihrem Lehrer.
Dabei gehört es zu den interessantesten Volten an der Leipziger Hochschule,
dass die DDR-Dokumentaristen in den Neunzigern abgewickelt wurden und mit
Timm Rautert wiederum ein Dokumentarist aus dem Westen an die Schule kam,
der das funktionierende Markenzeichen "Rautert-Klasse" geprägt hat. Seine
Schüler arbeiten heute in einer großen Bandbreite, vom sozialdokumentarisch
arbeitenden Tobias Zielony über den mit fiktionalen Elementen
pseudodokumentarisch fotografierenden Sven Johne bis hin zu Künstlern, die
installativ arbeiten.
## Selbstbefragung
Viel weiter als Tannert ging die gerade in Leipzig zu Ende gegangene
Ausstellung "Auslöser. Fotografie-Konzepte aus Leipzig - eine Auswahl". In
der Kunsthalle der Sparkasse war zu sehen, wie einig sich die jüngeren
Leipziger Fotografen im Ringen um Konzepte sind.
Carsten Tabel und Florian Rossmanith treiben das Thema inszenierte
Fotografie so weit, dass sie hinter der Kamera hervortreten und Objekte
bauen. Falk Messerschmidt befragt die Fähigkeit seines Mediums,
Repräsentationen zu liefern, indem er ein Foto vom Letzten Abendmahl aus
einem Buch abfotografiert. Jesus befindet sich an der Stelle, wo das Buch
zusammengeheftet wurde - das Bildzentrum verschwindet im Knick.
Die Schöpfer dieser oft genug aus Skepsis entstandenen Bilder stellen das
Autorenfoto in Frage - etwas, das "Leipzig. Fotografie seit 1839" nicht
tut. Der Autor dort bleibt weitgehend erhaben. Rahmung, Hängung und viel
gediegenes Schwarzweiß reihen die Gegenwart der Leipziger Fotografie ein in
die Gemütlichkeit gewohnter Rezeptionsmuster.
16 Mar 2011
## AUTOREN
Robert Schimke
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.