| # taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Das neue Regime von Guinea | |
| > Vor einem Jahr gab sich Hauptmann Camara als Mann des Übergangs, der den | |
| > Weg zu demokratischen Verhältnissen frei machen würde. Doch das war alles | |
| > Theater. Die Chronik einer Machtergreifung | |
| Bild: Seine erste Tat: Die Aufhebung der Verfassung | |
| "Wir wollen nicht ewig an der Macht bleiben. Wir wollen freie und | |
| transparente Wahlen, auf die Guinea und seine Armee stolz sein werden." Mit | |
| diesen Worten beruhigte der Sprecher der Putschisten, Hauptmann Moussa | |
| Dadis Camara, zwei Tage nach dem Staatsstreich vom 23. Dezember 2008 seine | |
| Landsleute und die Weltgemeinschaft. Zehn Monate später ließ er die Maske | |
| fallen: Am 28. September 2009 wurden im Stadion von Conakry mehr als 200 | |
| friedfertige Demonstranten von Soldaten niedergemetzelt. Am nächsten Tag | |
| bahnte sich Camaras Tross hupend einen Weg durch die Menge hysterisierter | |
| Anhänger, und der Hauptmann brüllte, von sich in der dritten Person | |
| sprechend, in die Mikrofone der Fernsehjournalisten: "Das ist der | |
| phänomenale Patriot Dadis. Ein Mythos! Das ist die Macht des Volkes. Nicht | |
| einmal Hauptmann Dadis versteht dieses Phänomen! Ein Phänomen von Gottes | |
| Gnaden!" | |
| Der Juntachef jubelte, denn sein Plan war aufgegangen, den er lange vor dem | |
| Tod von Präsident Lansana Conté am 22. Dezember 2008 geschmiedet hatte. | |
| Schon General Conté hatte sich 1984 nach dem Tod von Ahmed Sékou Touré, dem | |
| Gründervater des unabhängigen Guinea, an die Macht geputscht. Frankreich, | |
| die USA und die meisten afrikanischen Staaten waren erleichtert, als der | |
| grausame "Genosse Sékou Touré"(1) das Zeitliche segnete. Seinem Nachfolger, | |
| der in den folgenden 25 Jahren "Afrikas Perle" an multinationale | |
| Unternehmen verschacherte, begegneten sie hingegen mit Wohlwollen - trotz | |
| dessen offenkundiger Missachtung der Menschenrechte. | |
| Die Guineer sind arm. Von den Einnahmen aus den Exporten (vor allem Bauxit | |
| sowie Gold, Diamanten, Eisen) haben sie nichts. Im Human Development Index | |
| des UN-Entwicklungsprogramms UNDP steht das Land auf Platz 170 von 182 | |
| Staaten. Anders als erhofft kam es nach Sékou Tourés Tod auch nur in | |
| wenigen Wirtschaftsbereichen wie dem Bergbau zum Aufschwung. Und daran | |
| bereicherte sich vor allem die Regierungsclique samt Entourage. | |
| Hauptmann Camara war gut vorbereitet; er ist mitnichten der von den Medien | |
| beschriebene bescheidene, unbekannte Soldat. Als sich zum Beispiel am 22. | |
| Januar 2007 anlässlich der Massenproteste gegen Contés korruptes Regime | |
| auch Soldaten aus der Alpha-Yaga-Kaserne den Demonstranten in den | |
| Hauptstraßen von Conakry anschließen wollten, die das Regime zu stürzen | |
| drohten, sicherte Camara, dem das Treibstofflager der Armee unterstand | |
| (übrigens ein einträglicher Posten), die Waffenlager in der Kaserne und | |
| vereitelte so den Putschversuch. Damit behielt er die Entscheidung über den | |
| Zeitplan in der Hand. | |
| Während der letzten Monate vor dem Tod von Präsident Conté machte er häufig | |
| von sich reden: Mit diplomatischen Geschick einigte er die verschiedenen | |
| Fraktionen innerhalb der Armee, um die Privilegien der Militäroligarchie | |
| über den bevorstehenden Tod des Präsidenten hinaus zu retten. | |
| Jahrzehntelang war die Armee die Stütze des Regimes gewesen. Und aus dem | |
| Hintergrund lenkte Hauptmann Camara Meutereien von Soldaten, die höheren | |
| Sold forderten. Dutzende von Zivilisten - von den Soldaten terrorisiert - | |
| kamen in den Jahren 2007 und 2008 dabei zu Tode. Der letzte Aufstand bot | |
| Camara schließlich die Gelegenheit, hochrangige Offiziere kaltzustellen, | |
| die seine Pläne zu durchkreuzen drohten. | |
| Derweil fetzten sich in aller Öffentlichkeit die Familienmitglieder des | |
| sterbenden Generals, weil sie Angst hatten, ihre Privilegien zu verlieren. | |
| Das Ganze hatte etwas Surreales: So verkündeten die staatlichen Sender | |
| täglich neue Beschlüsse und Gegenbeschlüsse über die Besetzung hoher | |
| Posten. Am Bett des Todkranken wurden hastig Verträge unterschrieben, die | |
| über die Zukunft des Landes entschieden. | |
| ## Ein Phänomen von Gottes Gnaden | |
| Nach dem Staatsstreich am 23. Dezember 2008 zog Camara, in die | |
| Nationalflagge gehüllt und von der Menge umjubelt wie ein römischer | |
| Feldherr nach siegreicher Schlacht an der Spitze seiner Armee durch | |
| Conakry. Man staunt über die Bilder der Volksfreude, die in allen Medien | |
| gezeigt wurden. Hatte man den Soldaten verziehen, dass sie auf | |
| Demonstranten geschossen hatten und marodierend durch die Straßen gezogen | |
| waren? War die Militärrevolte vom Februar 1996 vergessen, die das Land zwei | |
| Tage lang in Atem gehalten hatte? Sicher nicht. | |
| Die Bevölkerung war einfach nur erleichtert, dass der Machtwechsel ohne | |
| einen einzigen Schuss vonstatten gegangen war. Seit Jahren hatten Gerüchte | |
| über den Tod von Präsident Conté die Leute in Angst und Schrecken versetzt. | |
| Wäre es zwischen den rivalisierenden Lagern innerhalb des Militärs nämlich | |
| zu Kämpfen gekommen - die Kasernen Samory Touré und Alpha Yaya Diallo | |
| liegen mitten in der Stadt -, hätte zumindest ganz Conakry darunter | |
| gelitten. Und viele machten sich Sorgen, dass die kriminelle Kaste, die | |
| sich schon seit Jahrzehnten an der Macht hielt, sich während eines | |
| verfassungsrechtlichen Vakuums in der Übergangsphase endgültig festsetzen | |
| könnte. | |
| Camara, ein einfacher Hauptmann, der wortgewandt ist und wie ein Popstar | |
| auftritt, begeisterte die Leute, als er die Bonzen des Regimes vom Sockel | |
| stürzte. In flammenden Reden, die auf allen Kanälen ausgestrahlt wurden, | |
| versprach er, Ungerechtigkeit, Korruption und den Drogenhandel zu | |
| bekämpfen. War da ein neuer Jerry Rawlings(2) geboren? Einige träumten | |
| sogar von einer Reinkarnation des legendären Thomas Sankara(.3 )Umso | |
| brutaler war das Erwachen. | |
| Als Erstes hob die Junta die Verfassung auf und schaffte die staatlichen | |
| Institutionen ab. Der Präsident der Nationalversammlung Aboubacar Somparé | |
| wartete am 24. Dezember 2008 vergebens darauf, dass man ihn aufforderte, | |
| dem Verstorbenen als Interimspräsident zu folgen, wie es die Verfassung | |
| vorsah. Mouctar Diallo, jüngster und radikalster Führer der Opposition und | |
| Gründer der Nouvelles forces démocratiques (Neue demokratische Kräfte), | |
| prangerte als Einziger den Verfassungsbruch an: "Lieber eine schwache | |
| Institution an der Macht als die Armee." | |
| Der seit 2007 vorbereitete demokratische Übergang war damit de facto | |
| abgebrochen. Die Parlamentswahlen, die mit 8 Millionen Euro von der EU | |
| finanziert werden sollten, waren bereits dreimal verschoben worden. | |
| Eigentlich war geplant, dass ein neu gewähltes Parlament den todkranken | |
| Präsidenten Conté für regierungsunfähig erklären und so entmachten würde. | |
| Doch die von internen Auseinandersetzungen zerriebene Opposition und die | |
| Bürgerrechtsgruppen konnten den Verwaltungsapparat nicht dazu bewegen, die | |
| vorgesehenen Wahlen auszurichten, zumal die Beamten verdächtigt wurden, das | |
| Ganze ohnehin zu sabotieren. | |
| Die bisherige Regierung beschwerte sich zwar pro forma über die Illegalität | |
| des Militärputschs. Gleich darauf stellte sie sich dem "Präsidenten" aber | |
| "vollständig zur Verfügung" und dankte ihm für seine "Weisheit". Sogar die | |
| Anführer der Protestbewegung, die das Conté-Regime Anfang 2007 fast | |
| gestürzt hätte, schienen sich nicht mehr an die Verbrechen der Armee zu | |
| erinnern und bescheinigten Hauptmann Camaras neu installiertem Nationalrat | |
| für Demokratie und Entwicklung (Conseil national pour la démocratie et le | |
| développement, CNDD) "Aufrichtigkeit, Entschlossenheit und eine freundliche | |
| Gesinnung".(4) Auch die Gewerkschaften gratulierten zwei Tage nach dem | |
| Putsch "der guineischen Armee zu ihrem Beitrag zum politischen Wandel",(5) | |
| nachdem der neue Staatschef verkündete hatte, er wolle "im Land aufräumen". | |
| Die Opposition freute sich ihrerseits über die öffentliche Würdigung durch | |
| den Juntachef ("Ich ziehe den Hut vor euch") - und die ihnen in Aussicht | |
| gestellten Ministerposten. | |
| Während die USA den Staatsstreich umgehend verurteilten, nahmen ihn die EU | |
| und Frankreich lediglich "zur Kenntnis", um hinzuzufügen, dass die Junta | |
| doch fast landesweiten Zuspruch erhalten habe. Sie stellten nur eine | |
| Forderung: die schnellstmögliche Rückkehr zur verfassungsgemäßen Ordnung. | |
| Der französische Staatssekretär für Zusammenarbeit war der erste westliche | |
| Diplomat, der im Januar 2009 Conakry einen Besuch abstattete. Im Namen von | |
| Präsident Sarkozy äußerte er seine große Besorgnis über die Situation - | |
| zumal man dem französischen Großindustriellen und Sarkozy-Intimus Vincent | |
| Bolloré den Auftrag für die Modernisierung des Hafens von Conakry entzogen | |
| hatte.(6) In seinen ersten öffentlichen Verlautbarungen hatte der CNDD-Chef | |
| dies als sein zunächst wichtigstes Projekt bezeichnet. | |
| Die Junta auf der einen und die Parteien, Gewerkschaften und Verbände auf | |
| der anderen Seite einigten sich schnell auf eine Übergangsphase, die Ende | |
| 2009 in "freie, glaubwürdige und transparente" Parlaments- und | |
| Präsidentschaftswahlen münden sollte. Der CNDD verpflichtete sich, keinen | |
| eigenen Kandidaten aufzustellen. "Die Putschisten haben Glück gehabt", | |
| schrieb damals die Wochenzeitschrift Jeune Afrique, "denn mit ihrem | |
| Staatsstreich haben sie nur umgesetzt, was der UN-Sonderbeauftragte der | |
| Vereinten Nationen in Westafrika, Ahmedou Ould-Abdullah, für Guinea bereits | |
| im Jahr 2003 empfohlen hatte: einen Militärputsch und eine Übergangszeit | |
| zur Vorbereitung von freien Wahlen - also das ,Szenario für einen radikalen | |
| Neuanfang', wie es unter UN-Diplomaten heißt."(7) | |
| Die Schonfrist war nur von kurzer Dauer. Die allabendlich vom | |
| Staatsfernsehen übertragenen Shows mit Hauptmann Camara amüsierten die | |
| Zuschauer zwar eine Weile, aber sie verrieten auch sein impulsives, | |
| cholerisches und gewalttätiges Wesen. Und seine Lügen: Der neue starke Mann | |
| hatte erklärt, er wolle den Ethnozentrismus bekämpfen, ernannte allerdings | |
| ausschließlich Guérzé, also Leute seiner Ethnie, zu hohen Beamten. Er | |
| setzte sie an die Spitze von Ministerien, privaten Unternehmen und | |
| natürlich der Armee. Alle Gouverneurs- und Präfektenposten wurden von | |
| Offizieren besetzt, sogar die Direktionen der Goldminen. | |
| Camara hatte Sicherheit versprochen: Doch seit seinem Machtantritt treiben | |
| Bewaffnete, die meistens in Uniform auftreten, ungestört und zu jeder | |
| Tages- und Nachtzeit ihr Unwesen. Oft geht es um politisch motivierte | |
| Abrechnungen. Und Verhöre, die vermeintlich Korruption aufdecken sollen, | |
| arten darin aus, dass die Opfer erpresst werden. Und das Geld daraus fließt | |
| direkt in die Kassen des CNDD in der Alpha-Yaya-Kaserne. Die | |
| einträglichsten Sektoren wurden direkt dem Präsidenten unterstellt: die | |
| Ministerien für Bergbau, Zoll und Steuern, der Hafen von Conakry und die | |
| Einnahmen durch die Sozialversicherung. Das ganze Geschäftsgebaren des | |
| neuen Regimes ist völlig undurchsichtig. Wer bereit war zu zahlen, konnte | |
| seinen unter Conté geschlossenen Vertrag verlängern, andere Abkommen wurden | |
| gleich gekündigt, um sie neu zu verhandeln und dabei ordentlich | |
| abzukassieren. | |
| Und der angekündigte Kampf gegen den Drogenhandel existiert nur als | |
| Medienshow für die internationale Presse - mit lächerlichen Ergebnissen: | |
| Nach neun Monaten an der Spitze einer Brigade aus 600 Polizisten, die eine | |
| "Spezialausbildung" haben, wurden unter Kommandant Moussa Tiegboro 22 | |
| Kilogramm Kokain und anderthalb Tonnen Marihuana sichergestellt. Dabei gilt | |
| Guinea gilt als Drehscheibe des Drogenhandels in Westafrika, Kokain wird | |
| hier tonnenweise verschoben. Die Drogenjagd dient vor allem als Vorwand, um | |
| die Armee und die Polizei von höheren Chargen zu säubern, die Camara | |
| loswerden will. Sie werden gefoltert und sind unmenschlichen | |
| Haftbedingungen ausgesetzt. | |
| In zehn Monaten hat Camaras CNDD seine Macht gefestigt. Das Conté-System | |
| blieb bestehen. Jüngere Darsteller spielen die Hauptrollen, aber die | |
| Szenerie ist unverändert - bis zum Massaker vom 28. September. Der | |
| Demokratisierungsprozess wird zur Farce: Im Januar 2009 sollte ein | |
| Nationalkomitee für den Übergang als Zusammenschluss von CNDD, Parteien, | |
| Gewerkschaften und Verbänden geschaffen werden. Ende Juli wurde es per | |
| Präsidentendekret gegründet, ist jedoch immer noch nicht handlungsfähig. | |
| Das für die Vorbereitung der Wahlen nötige Geld wurde erst im August | |
| freigegeben; und jetzt ist es natürlich zu spät, die für das Jahresende | |
| vorgesehenen Wahlen auszurichten. Es heißt, Ende Januar 2010 sei es so | |
| weit. Und schon zieht der Juntachef seinen Joker: Er hatte "auf Bibel und | |
| Koran" vor der ganzen Welt geschworen, dass er bei den Wahlen Ende 2009 | |
| nicht kandidieren werde. Nichts aber hindert ihn daran, 2010 zu | |
| kandidieren, "wenn das Volk es verlangt!" | |
| Fußnoten: | |
| (1) Der Hoffnungsträger der Unabhängigkeitsbewegung Ahmed Sékou Touré | |
| entpuppte sich als gnadenloser Diktator; zum Symbol seiner | |
| Schreckensherrschaft wurde das berüchtigte Lager Boiro, in dem Zehntausende | |
| zu Tode kamen. | |
| (2) Jerry Rawlings putschte sich 1981 in Ghana an die Macht und führte | |
| danach ein Mehrparteiensystem ein. Schon zu Beginn seiner politischen | |
| Laufbahn hatte er der Korruption den Kampf angesagt. | |
| (3) Thomas Sankara, Präsident von Burkina Faso von 1983 und 1987, war ein | |
| populärer Vertreter des Panafrikanismus. Er wurde am 15. Oktober 1987 bei | |
| einem vom heutigen Staatschef Blaise Compaoré angeführten Staatsstreich | |
| ermordet. | |
| (4) [1][www.africaguinee.com], 6. Januar 2009. | |
| (5) [2][www.infosud.org], 13. Januar 2009. | |
| (6) Thomas Deltombe, "Les guerres africaines de Vincent Bolloré", "Le Monde | |
| diplomatique, April 2009. (7) "Jeune Afrique, Paris, 11. Januar 2009. | |
| Aus dem Französischen von Claudia Steinitz | |
| Le Monde diplomatique Nr. 9038 vom 13.11.2009 | |
| 26 Nov 2009 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.africaguinee.com/ | |
| [2] http://www.infosud.org/ | |
| ## AUTOREN | |
| Gilles Nivet | |
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