# taz.de -- Auf schwankendem Boden | |
> Balanceakt: Jüdische ehemalige Hamburger besuchen die Stadt ■ Von | |
> Stefanie Winter | |
Wenn die Elbschiffe ablegen oder anlegen, schält sich ein Drehorgelspieler | |
aus dem überdachten Platz an Brücke 3. Bevor er zu spielen beginnt, fragt | |
er: Hochzeit oder Geburtstag? Die Gruppe, die an diesem Abend an Bord der | |
„Jan Molsen“ geht, feiert – so antwortet einer – weder das eine noch das | |
andere. Ein passendes Lied fehlt im Repertoire des Leierkastenmannes. | |
Ein Teil der Gruppe hat eine Reiseleiterin dabei und Fotoapparate; Stadt- | |
und Hafenrundfahrt liegen bereits hinter den Frauen und Männern. Sie suchen | |
nicht nach Rathaus, Shopping, Souvenirs. Ihre Erinnerungen an Hamburg haben | |
sie bereits mitgebracht. Es sind keine schönen und guten. Sie haben in | |
Hamburg gelebt und mußten – als sich die Nazis ins Land fraßen – die Stadt | |
und Deutschland verlassen, um zu überleben. Die meisten von ihnen waren | |
Kinder. | |
Bis zum letzten Tag, sagt Elisabeth Bauer, habe sie die Israelitische | |
Töchterschule in der Karolinenstraße besucht. Ihre Eltern wollten ein | |
normales Leben aufrecht erhalten, solange es ging. Am Tag, bevor sie | |
Hamburg verlassen mußten, sei sie dann einkaufen gewesen mit ihrer Mutter – | |
Kleidung für die Reise. In einem Café machten sie Pause, bestellten etwas | |
zu trinken. Als ihre Tante hinzukam, die „aus religiösen Gründen“ eine | |
Perücke trug, mußten sie alle das Café verlassen – Juden wurden hier nicht | |
bedient. „Das habe ich mitgenommen“, sagt Elisabeth Bauer, die in den USA | |
lebt. Nach Deutschland, nach Hamburg wollte sie nie wieder. | |
„Aber wir sind zurückgekehrt“, sagt ihr Mann Kurt, der bei Frankfurt | |
aufgewachsen ist. Nicht ihr erster Besuch in Deutschland, der bereits | |
einige Jahre zurückliegt, ist mit „Rückkehr“ gemeint. Sondern der jetzige, | |
zweite – die Bereitschaft, sich ein weiteres Mal den Erinnerungen | |
auszusetzen. Warum genau, wissen sie auch heute noch nicht. Und begleitet | |
werden sie auch jetzt von „gemischten Gefühlen“. Die Hamburgerinnen und | |
Hamburger, die sie an diesem Abend begleiten, können ihnen diese Gefühle | |
nicht nehmen. Schon ins Gespräch zu kommen, ist schwierig: Die beiden Decks | |
an Bord unterteilen sich in zahlreiche Nischen, ein Mann mit Gitarre singt | |
Hamburger Lieder, heischt laut nach Beifall, fordert zum Mitsingen auf, | |
vergeblich. | |
„Sind Sie Gäste?“, fragt ein weibliches Mitglied der Jüdischen Gemeinde | |
zwei Frauen, die verneinen. Und zieht weiter, weil sie doch gekommen ist, | |
um mit den Gästen zu sprechen. Einzig eine Hamburgerin trägt ein | |
Namensschild. Viele der Gäste würden eher ihren Besuch absagen, als ein | |
Kennzeichen zu tragen, weiß Carola Meinhardt, die das Besuchsprogramm in | |
der Senatskanzlei betreut. | |
Von „gemischten, unguten Gefühlen“ spricht auch die in Hamburg geborene New | |
Yorkerin Clare Mayer und davon, daß eine Annäherung letztlich nicht möglich | |
ist. Bei Menschen der älteren Generation frage sie sich stets, was sie | |
gewußt und getan haben. 1939 ist sie ausgereist, jetzt erst habe sie das | |
Grab ihrer Eltern besuchen können. Der Senat versuche, eine Verbindung zu | |
halten, schickt – meist zum Jahreswechsel – Pakete. Ein Kalender sei immer | |
darin, oft auch Broschüren, Bücher – eines darunter mit den Namen aller | |
Juden Hamburgs, die gestorben sind. Clare Mayer schwankt, als sie das sagt. | |
Es ist kein Seegang zu spüren. | |
16 Jul 1996 | |
## AUTOREN | |
Stefanie Winter | |
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