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# taz.de -- Lob des Mittagsschläfchens
> PAUSE Leistungsträger sollten wissen: Am Arbeitsplatz für 5 bis 20
> Minuten die Augen zu schließen, steigert die Produktivität. Selbst das
> Passivnickerchen stärkt die Konzentration
VON MARTIN KALUZA
Ein Kollege verriet mir einmal, warum er freiberuflicher Journalist
geworden sei: Er wollte sich einfach nie wieder im Leben einen Wecker
stellen. Die Haltung nötigte mir einigen Respekt ab. Der Beruf des
Journalisten ist mit wenig Prestige behaftet, und in der freiberuflichen
Variante kommt hinzu, dass man (die wenigen Stars der Szene ausgenommen)
erschreckend wenig verdient, insbesondere wenn man zu oft für die taz
schreibt. Die Freiheit zu schlafen, bis einen Vogelgezwitscher, die
Morgensonne oder einfach der eigene Biorhythmus sanft an der Schulter
rütteln, erscheint mir seither als angemessene Kompensation für das
erlittene Ungemach.
Ich persönlich habe zwar keine Issues mit Weckern. Allerdings lege ich mich
ganz gern nach dem Mittagsessen für ein Viertelstündchen hin, um – so
drückte mein Großvater es aus – ein wenig die Augen zu schonen. Die
Selbstausbeutung fällt gleich viel leichter, wenn man weiß, dass man ihr
jederzeit für ein paar Minuten entfliehen kann.
Zu diesem Zwecke steht in meinem Büro eine Liege. Weil die Kollegin, mit
der ich das Büro teile, ein Auge für Einrichtungsfragen besitzt und
generell auf ästhetische Details Wert legt, haben wir uns das Ding bauen
lassen. Ein venezolanischer Designer, mit dem sie befreundet ist, aus
rohen, zwei Finger dicken Massivholzbrettern eine Liege zusammengezimmert,
schick in Weiß gewachst und viel geflucht, als er das sargschwere Ding
durch die Bürotür wuchtete. Gesunder Schlaf braucht ein solides Fundament.
Ich kann mir als Selbstständiger eingestehen, was in Unternehmen nur Häme
hervorrufen würde. Gerade in stressigen Phasen, wenn ein größeres Projekt
dem Ende entgegen geht, wenn die Deadline drückt und das Licht im Büro viel
länger an bleibt als geplant, dann weiß ich: Nur mit Kaffee und Zähne
zusammenbeißen komme ich hier nicht weiter. Die Konzentration lässt nach,
Fehler häufen sich. Es gibt zwei wirksame Methoden, sich aus solchen
Löchern herauszuwinden: Man macht einen kleinen Spaziergang. Oder man legt
sich kurz hin. Beides ist in Unternehmen ungern gesehen. Der Chef und die
gestressten Kollegen sehen nur zu oft im Spaziergang eine Entfernung vom
Arbeitsplatz und im Nickerchen eine Unterbrechung der Arbeit – aber nicht
die geistige Frische, mit der man hinterher die Aufgaben vom Tisch schafft.
Die Vorteile des Mittagsschlafes sind schon lange wissenschaftlich belegt.
Die Schlafforscherin Sara Mednick nennt eine ihrer Studien recht
euphorisch: „A Nap is as Good as a Night“ – Ein Nickerchen ist so viel we…
wie eine Nacht. Sie zitiert eine Forschungsarbeit der Nasa, der zufolge ein
Nickerchen die Aufmerksamkeit um 100 Prozent erhöhe. Außerdem verbessere
der Mittagsschlaf die motorische Koordination, baue Stress ab, beuge
Herzinfarkten wie Schlaganfällen vor, bewahre ein jugendliches Aussehen,
hebe allgemein die Stimmung und verbessere das Liebesleben. Das ist gelebte
Burn-out-Prophylaxe.
Gründe für das Schläfchen am Arbeitsplatz sind überall anschlussfähig: in
der modernen Verwertungslogik von Produktivitätssteigerung und
Arbeitspsychologie, bei Medizinern und Gesundheitsberatern, in der
Eso-Ecke, bei den Aufmerksamkeitsleuten – you name it!
Damit das Nickerchen all seine positiven Effekte entfalten kann, muss man
eigentlich nur die Augen zumachen. Es ist aber nützlich, ein paar Eckpunkte
zu beachten: Die beste Zeit ist zwischen 13 und 15 Uhr, denn in dieser
Phase des Tages ereilt die meisten Menschen ohnehin ein Leistungsloch. Das
kurze Nickerchen – auch „Power-Nap“ genannt – dauert zwischen 5 und 20
Minuten. Wer dann wieder an die Arbeit springt, wird mit erhöhter
Aufmerksamkeit und geschmeidiger Motorik belohnt. Der klassische
Mittagsschlaf von rund 30 Minuten bewirkt noch ein wenig mehr: Die Zeit
reicht meist, um die Tiefschlafphase zu erreichen. Das fördert die geistige
Erholung und steigert die mentale Leistungsfähigkeit. Allerdings kann es
sein, dass man sich erst einmal ein wenig berappeln muss.
Im vergangenen Jahr habe ich zudem eine Beobachtung gemacht, die meines
Wissen von der Forschung noch nicht näher untersucht wurde: Wenn man am
Schreibtisch sitzt und über Texten grübelt, recherchiert oder Sachverhalte
zu verstehen versucht, übt die Anwesenheit einer besuchsweise im Büro
schlafenden schwangeren Kollegin eine deutlich entspannende Wirkung aus.
Nickerchen entspannen also nicht nur die Person, die schläft! Den vielen
Studien über die positiven Auswirkungen des Mittagsschlafes möchte ich
deshalb ein Lob des Passivnickerchens hinzufügen!
30 May 2015
## AUTOREN
MARTIN KALUZA
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