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> MALEREI Eine Schau in der Berliner Alten Nationalgalerie zeigt, dass die | |
> Unterschiede zwischen den Sinneseindrücken der Impressionisten und den | |
> Ausdruckswerten der Expressionisten erstaunlicherweise oft gar nicht so | |
> groß sind | |
VON RONALD BERG | |
BERLIN taz | Die Kurzformel „ImEx“ als Titel für die Ausstellung in der | |
Alten Nationalgalerie meint natürlich nicht Import-Export, sondern steht | |
für Impressionismus und Expressionismus. Beide Kunststile treffen hier | |
erstaunlicherweise erstmals überhaupt direkt aufeinander. Das museale | |
Vorhaben ist auch der Tatsache geschuldet, dass die bislang in der Neuen | |
Nationalgalerie am Kulturforum gezeigten Expressionisten wegen | |
Restaurationsmaßnahmen am Gebäude auf Jahre drohten im Depot zu | |
verschwinden. Stattdessen besuchen sie jetzt erst mal bis September ihre | |
älteren Kollegen auf der Museumsinsel. | |
Das Kürzel „ImEx“ mit Import-Export zu übersetzen, wäre allerdings auch … | |
nicht so falsch. Der Impressionismus ist ja eine französische Erfindung der | |
1870er Jahre, und der Expressionismus gilt überall auf der Welt als | |
urdeutsches Idiom, das seine Hochphase in den Jahren vor dem Ersten | |
Weltkrieg hatte. Für Frankreich genau wie für Deutschland wurden diese | |
Klischees Exportschlager. | |
Umgekehrt haben die jeweiligen Museen die Bilder aus dem Nachbarland | |
importiert. Noch vor den Franzosen – darauf ist man in Berlin heute sehr | |
stolz – war es Hugo von Tschudi, der den impressionistischen Künstlern | |
weltweit zum ersten Mal Museumsweihen verschaffte. 1896, gerade Direktor | |
der Berliner Nationalgalerie geworden, kaufte Tschudi in Paris ein und | |
stellte die Franzosen in seinem Museum aus. Der Skandal war perfekt, die | |
Ablehnung von Tschudis Kunstrevoluzzern durch den deutschen Kaiser als | |
obersten Dienstherren war alsbald nicht mehr zu überhören. | |
## Antiakademischer Furor | |
Der Impressionismus kreierte mit seinem antiakademischen Furor vielleicht | |
das erste Mal eine wirklich moderne Malerei in Stil und Motivik. Der | |
Impressionismus stellte dar, was er von der Wirklichkeit sah, nicht das, | |
was die konventionellen Regeln der Akademie im Bilde sehen wollten. Maler | |
wie Edouard Manet wurden eben deshalb zu Skandalkünstlern, weil sie genau | |
das zeigten, was jeder im Alltag auch sehen konnte – ohne dass es den | |
meisten Zeitgenossen damals eingefallen wäre, dies als kunstwürdig zu | |
erachten. | |
Ein Paar, Mann und Frau, allein in der schwülen Atmosphäre eines mit | |
wuchernden Pflanzen gefüllten „Treibhauses“ – so etwas galt 1879 noch als | |
degoutant. Wer das Bild heute sieht, ahnt nicht, welch offenbar frivole bis | |
anstößige Assoziationen dem Kunstpublikum seinerzeit dazu einfielen. Heute | |
heißt das Bild weniger verfänglich „Im Wintergarten“, und man wird | |
vielleicht eher die Distanz beider Menschen als eine Verführung auf dem | |
Bild entdecken. | |
Eine ähnlich ablehnende Aufnahme neuer Bilderfindungen wiederholte sich | |
später beim Expressionismus, nur dass jetzt unter den Kritikern auch so | |
geschätzte Impressionisten wie Max Liebermann waren. Seine Einschätzung der | |
Expressionisten lautete schlicht: „Existenzen jenseits der Zivilisation“. | |
Doch damit hätte er wohl vielen der expressionistischen Künstler sogar | |
geschmeichelt. Denn was den Impressionisten der Alltag war, der mit neuen | |
Augen wahrgenommen wurde, das bedeutete dem Expressionismus die Ferne der | |
Südsee oder das Tier in seiner kreatürlichen Existenz. Am wichtigsten war | |
den Expressionisten wohl die unsichtbare Welt des Gefühlten und Erdachten, | |
die sich von der äußeren Realität total unterschied. In den Jahren vor dem | |
Ersten Weltkrieg war die sichtbare Welt allerdings ohnehin schon als | |
Trugbild entzaubert: Röntgenstrahlen und Radiowellen verwiesen auf | |
verborgene Wirklichkeiten. | |
Die expressionistische Welt ist eine Welt der Symbole und der Visionen. | |
Ihre bunten Farben sind nicht gesehen, sondern erdacht. Es sind | |
Symbolfarben, wie es sie im Mittelalter schon einmal gab. Ebenso sind die | |
spitzzackigen und dürren Kokotten vom Potsdamer Platz bei Ernst Ludwig | |
Kirchner deshalb so deformiert, weil die Figuren etwas ausdrücken wollen – | |
daher der Name Expressionismus –, was eher unsichtbarer Natur ist, etwas | |
Geistiges oder Affektives. Bei Kirchner sind die verschrobenen, ja | |
hässlichen Formen direkter Kommentar auf die Widrigkeit der | |
zivilisatorischen Verhältnisse, wie Kirchner sie 1914 sah. | |
Nebeneinander gehängt, wie jetzt in der Berliner Alten Nationalgalerie, | |
sind die Unterschiede zwischen den Sinneseindrücken der Impressionisten und | |
den Ausdruckswerten der Expressionisten aber erstaunlicherweise oft gar | |
nicht so groß. Natürlich fehlt der Vergleich mit anderen Vertretern der | |
Kunstgeschichte, also etwa dem von beiden Stilen abgelehnten Akademismus | |
mit seiner rembrandtbraunen Soße auf allen Bildern. Auch beschränkt sich | |
der Vergleich ausschließlich auf das Medium der Malerei. | |
Aber schon in der Gliederung der Ausstellung nach Motiven zeigt sich, dass | |
die jüngeren Expressionisten kaum etwas Neues dazu erfunden haben. Die | |
Freiluftmalerei als Gegenentwurf zur akademischen Ateliermalerei, die sich | |
eher an kunsthistorischen Vorbildern orientierte, ist zum Beispiel eine | |
Haltung, die Expressionisten wie die Dresdner Künstlervereinigung „Brücke“ | |
mitnichten neu zu ersinnen brauchte. | |
In der Berliner Schau mit ihren 160 Meisterwerken konzentriert man sich am | |
liebsten auf sich selbst. Etwa beim Thema „Stadt“: Das ist natürlich vor | |
allem Berlin und seine Bewohner. Paris ist Vergleichsmoment. Ein | |
expressionistisches Paris gibt es allerdings nicht, dafür aber ein | |
impressionistisches Berlin, und zwar gut und reichlich, auch wenn die Schau | |
nur Lesser Ury, Max Slevogt und Hans Hermann vorstellt. | |
## Publikumslieblinge | |
Viele der bekannten Publikumslieblinge und großen Namen stammen aus der | |
Sammlung der Nationalgalerie. Rund 60 Leihgaben bereichern die Auswahl und | |
machen das vergleichende Sehen als Methode der Ausstellung anschaulich. | |
Vieles erhellt sich so auf einfache wie schlagende Weise, etwa beim Thema | |
„Stillleben“. Hier wirkt der Expressionismus im Grunde nur wie eine | |
Vergröberung der Formen, was ja ohnehin beim Expressionismus als Mode immer | |
schon eine Gefahr darstellte. | |
Man kann sich aber schon fragen, ob die andere, die durchseelte Welt, die | |
der Expressionismus im Bilde vorwegnehmen wollte und die jene alte des | |
Impressionismus mit seinen Cancan-Tänzerinnen, seinen Seerosenteichen und | |
bürgerlichen Familienidyllen ablösen sollte, ob also der im Weltkrieg dann | |
wirklich vollzogene Epochenbruch nicht eher die Vereitelung der | |
expressionistischen Vision war. Untergegangen sind jedenfalls beide Welten. | |
Heute scheinen sie uns im Bilde der Kunst nicht mehr so verschieden, wie es | |
damals wohl aufgefasst werden musste. | |
21 May 2015 | |
## AUTOREN | |
RONALD BERG | |
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