# taz.de -- Woher sie kamen | |
> REIMPORT Tobias Zielony hat Flüchtlinge in Berlin fotografiert und die | |
> Bilder in ihren Herkunftsländern publiziert. Seine Arbeit wird bei der | |
> Biennale von Venedig gezeigt | |
VON ROMAN DECKERT UND JULIA JOERIN | |
Am 23. Februar erschien die sudanesische Zeitung The Citizen mit der | |
Schlagzeile „Occupy Berlin: Flüchtlinge aus dem Sudan kapern eine Kamera“. | |
Ein paar Tage später brachte Al Ayaam die Story auf Arabisch: ein Fotoessay | |
über die Migranten, die sich im Sommer 2014 neun Tage lang auf dem Dach der | |
früheren Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg Hunderten Polizisten | |
widersetzt hatten. Viele von ihnen stammten aus dem nordostafrikanischen | |
Land. | |
Die Porträts hat der Fotokünstler Tobias Zielony für die „Fabrik“ | |
produziert, die seit Donnerstag im Deutschen Pavillon der Biennale in | |
Venedig in Betrieb ist. Zielony, Jahrgang 1973, hat sich schon in früheren | |
Werken mit denen befasst, die als Verlierer des Kapitalismus gelten. Für | |
die Hamburger Kunsthalle erstellte er 2014 eine Videoinstallation über die | |
Flucht eines Sudanesen nach Lampedusa und erkannte, dass die Flüchtlinge | |
ihr Dasein hier in den Herkunftsländern thematisieren wollten. Also | |
fotografierte er sie und veröffentlichte die Bilder in Nigeria, Kamerun und | |
dem Sudan: „Es ging mir darum, die klassische Richtung westlicher | |
journalistischer Arbeitsweisen umzukehren.“ Unter dem Dach des | |
Biennale-Pavillons zeigt er nun die migrierten Bilder. Das Projekt nennt er | |
„The Citizen“, wie jene Zeitung, die die Bilder im Sudan zeigte. Es ist ihm | |
Chiffre für die bürgerrechtliche Revolte in Kreuzberg – gegen | |
Residenzpflicht und Arbeitsverbot und für politische Teilhabe. | |
Im kriegszerütteten Sudan, der seit 1989 vom international geächteten | |
Islamisten Omar al-Baschir regiert wird, war die Veröffentlichung der | |
Protestbilder ein Tabubruch. Nur eine Woche zuvor hatte der Geheimdienst | |
ohne Angabe von Gründen die Auflagen von 14 Zeitungen konfisziert. Zielonys | |
Doppelseite war umso gewagter, als er für den Begleittext den prominenten | |
Kommunisten Magdi Elgizouli in seinem Freiburger Exil engagierte. Die | |
Dialektik der Geschichte: Elgizoulis Vater begleitete 1975 Leni Riefenstahl | |
auf ihrer letzten Expedition zu den Nuba und studierte an der Essener | |
Folkwang-Schule Fotografie. Elgizouli wurde in Essen geboren, wo der | |
Kurator des Biennale-Pavillons Florian Ebner die fotografische Sammlung des | |
Museum Folkwang leitet. | |
1.000 Exemplare von Elgizoulis Kapitalismuskritik aus The Citizen wurden | |
von Sudans Hauptstadt Khartum nach Venedig verschifft. Elgizoulis Schrift | |
gegen die Festung Europa, Ungleichheit und den Westen schont auch die | |
Flüchtlinge nicht, deren Forderungen ihm zu wenig revolutionär sind. Dem | |
hielt der aus Kamerun stammende Berliner Ausstellungsmacher Bonaventure | |
Ndikung im Citizen entgegen, die angedrohte Selbsttötung der Flüchtlinge | |
auf dem Dach der Hauptmann-Schule sei an sich ein revolutionärer Akt | |
gewesen, mittels der (Selbst-)Inszenierung vor der westlichen Kamera. So | |
hätten sich die Machtverhältnisse für einen Moment umgekehrt. | |
Bei sudanesischen Lesern stieß die Debatte auf Applaus. Stellvertretend für | |
viele junge Stimmen zeigte sich eine populäre Bloggerin schockiert: „Diese | |
Menschen sind geflüchtet, weil sie hier unterdrückt wurden, doch selbst im | |
reichen Deutschland spricht man ihnen ein menschenwürdiges Leben ab. Aber | |
immerhin können sie dort protestieren.“ Ein Intellektueller aus der | |
Peripherie stimmte dem zu, was der der Berliner Flüchtlingsaktivist Adam | |
Bahar im Blog „Africa Is A Country“ anprangert: dass sich Deutschland über | |
Kriege und Flüchtlinge nicht wundern dürfe, weil es einst den Sudan mit | |
Waffen vollgepumpt habe. Ungeplant korrespondiert Elgizoulis marxistische | |
Analyse für Zielonys „The Citizen“ auch mit dem Hauptthema von | |
Biennale-Gesamtkurator Okwui Enwezor: Er lässt im Sinne einer radikalen | |
Auseinandersetzung mit den globalen Krisen sieben Monate lang das Kapital | |
von Karl Marx im zentralen Pavillon vorlesen. | |
■ Die Autoren: Julia Joerin ist Journalistin, Roman Deckert Sudanexperte. | |
Sie sind Kooperationspartner von Tobias Zielonys Projekt „The Citizen“ | |
9 May 2015 | |
## AUTOREN | |
ROMAN DECKERT / JULIA JOERIN | |
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