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# taz.de -- Der US-Soldat, der Kommissar Krukow war
> DER SPION 1937 flieht der jüdische Deutsche Günther Stern vor den Nazis.
> 1944 kehrt er als Geheimdienstoffizier nach Europa zurück
INTERVIEW KLAUS HILLENBRAND
taz: Wissen Sie noch, was Sie am 8. Mai 1945 gemacht haben?
Günther Stern: Meine Kriegskameraden und ich waren in Hersfeld. Wir waren
damit beschäftigt, Kriegsgefangene auszufragen. Dann kam jene Nachricht, es
sei endgültig vorbei. Da sind wir in Jubelschreie ausgebrochen.
Wussten Sie damals schon, dass die Nazis Ihre Familie ermordet hatten?
Nein. Ein paar Wochen später bat ich um die Erlaubnis, in meine Heimatstadt
Hildesheim zu fahren, und unser Hauptmann hatte nichts dagegen einzuwenden.
Es war das erste Mal, dass ich nach Hildesheim zurückkehrte. Durch die
Eltern eines Schulkameraden, die im Geheimen zu uns gehalten hatten, erfuhr
ich Details über meine Familie. Er war Zollbeamter. Da erfuhr ich, dass es
hoffnungslos war.
Wie fühlten Sie damals? Wollten Sie Rache an den Deutschen nehmen?
Das ist seltsam. Die einzigen Rachegefühle, die ich verspürte, waren die
gegen einen SS-Offizier, der im Zivilberuf Zahnarzt in Hildesheim war. Der
war meiner Familie auf die Pelle gerückt und hatte sie bedroht. Aber
wirkliche Rachegefühle – nein, ich mochte nie pauschalisieren.
1937 konnten Sie als Einziger aus Ihrer Familie in die USA emigrieren.
Später wurden Sie bei der US-Armee zur Spionage-Ausbildung in das berühmte
Camp Ritchie in Maryland geschickt. Was passierte dort?
Vier von uns wurden kurz vor Ende unserer Grundausbildung ins Hauptquartier
des Lagers befohlen. Dort hieß es: „In einer Stunde verlassen Sie dieses
Lager. Sie sind in ein anders Lager beordert.“ Ich war überrascht. Als ich
fragte, wohin es denn gehen sollte, lautete die Antwort: „Geheimsache. Sie
dürfen Ihre Befehle erst nach drei Stunden im Zug öffnen. Dann werden Sie
die notwendigen Anordnungen finden.“ Wir landeten in einer kleinen Stadt.
In der Nähe standen eine Menge Baracken. Am Eingang stand „MIT“ – Milita…
Intelligence Traing Center.
Was haben Sie gelernt?
Wir wurden darin ausgebildet, Kriegsgefangene zu befragen. Wir mussten alle
Truppenteile deutscher Divisionen, die wir in Frankreich wahrscheinlich
treffen würden, auswendig lernen, sodass ich heute so nutzloses Gedankengut
wie zum Beispiel über die 116. Panzerlehrdivision mit mir herumtrage.
Sie wurden nach England verlegt und betraten kurz nach dem D-Day 1944
französischen Boden. Welche Methoden gab es, um von einem deutschen
Gefangenen Informationen zu erhalten? Sie konnten ihn ja nicht dazu
zwingen, das widerspricht der Genfer Konvention.
Es wurden uns schon im Camp Ritchie vier Befragungsmethoden nahegelegt. Das
eine war, dass man dem Kriegsgefangenen gegenüber seine Überlegenheit
zeigen sollte. Und da sagte man bei einer Befragung so daher: „Ach, wie ist
es dir mit diesem schrecklichen Leutnant Wolf ergangen?“ – „Was, der weiß
von dem Wolf?“, wird sich der Deutsche gedacht haben. „Ja, wissen Sie, der
ist doch bekannt, auch bei uns. Der lässt sich von seinen Männern die
Stiefel so putzen, dass er sein Spiegelbild darin erblicken kann. Das ist
doch eine richtige Schikane.“ Da lachte der Deutsche und wir kamen weiter.
So schufen Sie Vertrauen. Was gab es noch?
Wir gruben ein gemeinsames Interesse aus. Ich befragte einmal einen Mann
aus Düsseldorf. Ich sollte Informationen über die dortigen Industrieanlagen
erkunden. Doch damit fing ich nicht an, sondern erkundigte mich nach dem
Fußballverein. „Ach wissen Sie, ich habe mich immer für Fortuna Düsseldorf
interessiert, die standen doch in der ersten Hälfte der Saison an der
Tabellenspitze. Jetzt seid ihr fast Schlusslicht.“ Daraufhin sagte der: „Ja
wissen Sie, der beste Verteidiger ist eingezogen worden.“ Ganz langsam
führte ich die Unterhaltung darauf, was mich wirklich interessierte. Die
dritte Möglichkeit bestand darin, dass man dem Gefangenen, der oft nicht
viel zu Essen hatte, mit Nachschub oder Zigaretten versorgte.
Und die vierte Methode?
Das war Furcht. „Findet heraus, was der deutsche Landser am meisten
fürchtet“, hatte man uns schon im Camp Ritchie gesagt. Das war, wie wir
rasch herausfanden, die russische Gefangenschaft. Darauf bauten wir unsere
Technik auf. Mein Kamerad Fred Howard – er war 1939 aus Berlin in die USA
gekommen – spielte den naiven, freundlichen und herzensguten Amerikaner.
Ich war der bösartige Russe namens Kommissar Krukow. Obwohl ich kein
Russisch sprach, hatte ich gelernt, einen entsprechenden Akzent in mein
Deutsch einzuflechten. Ich hatte deutschen Kriegsgefangenen sowjetische
Medaillen abgenommen, die sie als Trophäen von der Ostfront mitgenommen
hatten. Ich weiß, dass niemals ein russischer Soldat so ausgesehen hat wie
ich.
Und wie ging das dann vor sich?
Wenn Freds Gefangener bei seiner Befragung nicht mitwirkte, dann sagte der
etwa: „Ach wissen Sie, das tut mir so leid, Sie sind 18 Jahre alt, und die
ganze Zukunft liegt vor Ihnen. Wenn Sie mit mir arbeiten – gut. Wenn nicht,
dann habe ich Anordnung, Sie dem russischen Kommissar Krukow zu übergeben,
der Sie in Gefangenschaft nach Russland führen wird.“ Es gab zwei Zelte,
die sich gegenüberstanden. Fred brachte den Gefangenen herein. Ich hatte
ein Stalin-Foto an der Zeltwand hängen und ein dreisprachiges Schild
„Kommissar Krukow – Verbindungsoffizier“ und dann natürlich meine komisc…
Uniform, teilweise von befreiten russischen Gefangenen erstellt. So kam es,
dass Kommissar Krukow der Auslöser von Furcht und Grauen wurde. Ich sagte
dann: „Was ist das denn für ein untergewichtiger Soldat – der schafft es ja
gar nicht bis nach Russland!“
Und das hat funktioniert?
Nicht bei allen. Aber etwa 80 bis 85 Prozent ließen sich ins Bockshorn
jagen. Es war eine gestaffelte Furchteinflößung. Das konnte bis zu einer
psychologischen Bedrohung werden. Da kam etwa der gutmütige Fred wieder zu
Kommissar Krukow herein und sagte: „Ich kann nichts weiter für Sie tun,
aber Sie tun mir aufrichtig leid. Sie wissen, die Russen haben keine
Verbindung zum Roten Kreuz, Sie können keine Briefe an Ihre Familie
schreiben. Aber, wissen Sie, ich will etwas für Sie tun. Setzen Sie sich
hin, schreiben Sie einen Brief an jemanden, der Ihnen wirklich nahesteht,
und dann werde ich dafür sorgen, dass er befördert wird.“ Das schien dem
Gefangenen der letzte Brief seines Lebens zu werden, sodass auch die
Hartnäckigsten Aussagen machten.
Haben Sie noch weiter gefragt, als der Krieg beendet war?
Ich wurde dem Geheimdienst CIC zugeteilt, wo man nach deutschem Widerstand
gegen die US-Besatzung fahndete. Das erwies sich als irrige Annahme. Dann
war ich bei der Militärregierung in Karlsruhe. Dort wurde uns zugemutet,
mit Kriegsverbrechern und anderem Geschmeiß zusammenzuarbeiten.
Personen, die wichtig für Amerika waren?
Richtig. Der Kalte Krieg hatte begonnen.
Haben Sie diese Leute befragt?
Ein Beispiel: Es war mir aufgetragen worden, einen hohen SS-Hauptmann
festzunehmen. Ich habe irgendwie seine Adresse herausgefunden und ihn
geschnappt. Ein paar Tage später ging ich in Karlsruhe spazieren, und wer
begegnet mir? Dieser SS-Mann! Im Hauptquartier fragte ich: „Was ist denn da
los? Den habe ich doch gerade erst eingesperrt.“ Da hieß es: „Ja, aber
weißt du, was der von Beruf ist? Der war früher der Chef der Wasserwerke in
Karlsruhe.“ Das war also eine wichtige Person, die man angeblich nicht
ersetzen konnte. Ich meine, dass dieser Mann später ein nutzloser Spion für
uns gewesen ist. Diese kalten Krieger, die dann für uns – in
Anführungsstrichen – gekämpft haben, haben nichts geleistet.
Sie sind später Professor für Germanistik geworden – beschäftigen sich also
wieder mit deutscher Sprache und Kultur. Hatten Sie Berührungsängste?
Ich hatte anfangs weder den Gedanken, nach Deutschland zurückzukehren, noch
jemals einen Beruf zu ergreifen, der mich mit Deutschen in Berührung
bringen würde. An der Fakultät meinte man aber, ich hätte ein besonderes
Talent für Germanistik. Ich habe einige schlaflose, aber nicht gedankenlose
Nächte verbracht und kam zu einem Schluss: Wenn ich jetzt wegen der
Vergangenheit Nein sage, wäre es genau das, was die Nazis sich gewünscht
hätten.
8 May 2015
## AUTOREN
KLAUS HILLENBRAND
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