# taz.de -- Splitter von Wahr- und Unwahrheiten | |
> FILMREIHE „Die Welt in Waffen: Kapitulation“ im Zeughauskino zeigt | |
> Klassiker und weniger bekannte Filme, die das Kriegsende behandeln – wie | |
> die von Humphrey Jennings, der Propaganda und abseitigen Blick | |
> kombinierte | |
VON CAROLIN WEIDNER | |
Seit einigen Jahren bereits tritt das Kuratorenkollektiv The Canine | |
Condition im Zeughauskino mit der Filmreihe „Die Welt in Waffen“ in | |
Erscheinung. Wurde 2013 ein Programm um das Thema „Stalingrad“ | |
zusammengestellt, galt die Aufmerksamkeit im Folgejahr dem D-Day. Anfang | |
dieses Jahres konnte man einer sehr düsteren Schau beiwohnen, die sich der | |
Befreiung der Konzentrationslager widmete. | |
Jetzt, im Mai 2015, wo sich das Kriegsende zum siebzigsten Mal jährt, hat | |
The Canine Condition wieder ein Programm zusammengestellt. Es heißt | |
„Kapitulation“. Dabei ging es bei keinem der bisher gezeigten Programme um | |
ein Geschichtsbild, das zur endgültigen Abspeicherung freigegeben wäre, | |
wenn auch vielleicht dem einen oder anderen Film daran gelegen war. | |
Wahrheit ist als eine Gesamtheit vieler einzelner Splitter von Wahr- und | |
Unwahrheiten zu begreifen. Das ist ein Konzept, das auch filmisch ein | |
gewisses Mehr verspricht. Denn wenn man sich nicht nur am Kanon, nicht an | |
den abgewunkenen Positionen orientieren muss, bleibt Raum für das große, | |
aufregende „und darüber hinaus“. | |
So kann zwischen Rossellinis „Germanina anno zero“ („Deutschland im Jahre | |
Null“, I/BRD 1948) und Berhard Wickis „Die Brücke“ (BRD 1959) eben auch … | |
Block stehen, der Humphrey Jennings gewidmet ist. Drei kurze Filme aus | |
dessen Schaffen werden zu sehen sein, die gemeinsam auch eine Geschichte | |
der britischen GPO Film Unit erzählen, einst zuständig für die Produktion | |
von Informations- und Werbefilmen mit John Grierson als Direktor. Jennings | |
trat ihr 1934 bei. Die GPO Film Unit wurde mit Kriegseintritt jedoch vom | |
britischen Informationsministerium geschluckt und in Crown Film Unit | |
umbenannt; die Aufgabenstellung hier eine klare: Propaganda. Die drei | |
gezeigten Filme Jennings’ – „First Days“ (1939), „London Can Take It!… | |
(1940), „A Diary For Timothy“ (1945) – sind also auch vor jenem Hintergru… | |
zu betrachten. | |
Und was für sich bereits eine interessante Erzählung wäre, gewinnt durch | |
die Personalie Jennings noch hinzu: Als Sohn eines Künstlerpaares geboren, | |
das sich selbst in der Arts-and-Craft-Bewegung engagierte, folgte der junge | |
Jennings ihrem Beispiel. In den zwanziger Jahren gründete er die | |
Literaturzeitschrift Experiment, 1936 organisierte er die erste Ausstellung | |
der Surrealisten in London. Humphrey Jennings war ein Mann der Moderne. | |
Davon ist den GPO-Filmen freilich nicht viel anzumerken. Trotzdem ist etwa | |
„A Diary For Timothy“, der das letzte Kriegsjahr mit dem ersten Lebensjahr | |
des Säuglings Timothy, meist liebevoll auf Tim gekürzt, verwebt, ein | |
besonderes Zeugnis. Der Text zum Film stammt von E. M. Forster, und die | |
Briten loben sich jene halbe Stunde gern als Meisterwerk. Tatsächlich | |
entwickelt sich im Film, wohl auch aufgrund der direkten Ansprache an den | |
Säugling, eine bestimmte Zärtlichkeit. Ein erlesener Baustein, der wiederum | |
Sätze, Bilder und Montagen erlaubt, die so nicht erwartbar gewesen wären. | |
Es ist, guckt man genau hin, eben doch ein abseitiger Blick. | |
## Bellen und Knurren | |
Einen solchen Blick hatte auch Sohrab Shahid Saless, dessen Film „Hans – | |
Ein Junge in Deutschland“ (BRD 1985) Teil von „Kapitulation“ ist. Romuald | |
Karmakar schreibt in seinem Blog: „Saless-Filme sind Gegenmodelle der | |
Zerstreuung.“ Das trifft es sehr gut, denn an „Hans – Ein Junge in | |
Deutschland“ ist wirklich nicht viel, an dem man sich zerstreuen könnte. Es | |
gibt eine kleine Liebesgeschichte, ja, im Grunde aber zeigt Saless in | |
diesem Film das glanzlose Abperlen von diesem Hans, den die Nazis als | |
„Halbjuden“ bezeichnen und der in einer beengten Wohnung mit zwei | |
lebensmüden Frauen lebt, die seine Mutter sind und seine Großmutter. Von | |
der deutschen Normalgesellschaft wird er geschmäht, mit Hitler im | |
Hintergrund lauthals, freimütig. Danach leiser, das Bellen ist zu einem | |
Knurren geworden. | |
Von einem Weiterleben erzählt auch „Es muss ein Stück vom Hitler sein“ (B… | |
1963) von Walter Krüttner. Als Vorfilm zu Karl Gass’ Dokumentarfilm „Das | |
Jahr 1945“ pointiert programmiert, ist dieser kurze, bissige, sehr komische | |
Beitrag um den Massentourismus auf Hitlers Berghof auf dem Obersalzberg | |
unbedingt sehenswert. Die ekelhaft Faszinierten sind ekelhaft faszinierend. | |
Krüttner wendet sich gegen Ende fast freundschaftlich mit einem Rat an | |
jene: „Wer jedoch ernsthaftes Interesse an den Nachbauten von Nazi-Werken | |
hat, der sollte lieber Dachau oder Bergen-Belsen besichtigen. Das Wesen des | |
Nationalsozialismus ist in seinen Konzentrationslagern schneller zu | |
begreifen als im atombombensicheren Zwinger Adolf Hitlers oder im | |
Schlafzimmer der Eva Braun.“ | |
■ „Die Welt in Waffen: Kapitulation“. Zeughauskino, bis 21. Mai, Programm | |
unter [1][www.dhm.de/zeughauskino/filmreihen/die-welt-in-waffen] | |
7 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihen/die-welt-in-waffen | |
## AUTOREN | |
CAROLIN WEIDNER | |
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