# taz.de -- Casting wie beim „Superstar“ | |
> NACHWUCHS Der Kinder- und Jugendchor des Opernhauses Kiel inszeniert mit | |
> „Pit und Paula“ ein Musiktheaterstück im Schauspielhaus der | |
> Landeshauptstadt. Das Interesse junger SängerInnen ist in den vergangenen | |
> Jahren gestiegen | |
VON SEBASTIAN SCHULTEN | |
Vor dem Haupteingang des Schauspielhauses in Kiel hat sich bereits eine | |
Handvoll junger Mädchen im Alter von vierzehn bis achtzehn Jahren | |
versammelt, die gemeinsam zur Probe gekommen sind. „Wo können wir uns denn | |
umziehen?“, fragt eine der Darstellerinnen aufgeregt in die Runde. Im Foyer | |
begrüßt sie Regisseurin Nele Tippelmann und führt sie zur Garderobe. Es ist | |
die erste Probe zum Musiktheaterstück „Pit und Paula – Frisch versalzen“… | |
neuer Spielstätte. Viel Zeit zum Üben bleibt nicht bis zur Premiere am | |
Sonntag. | |
Über 200 Kinder und Jugendliche singen in verschiedenen Altersklassen | |
bereits ab fünf Jahren in insgesamt sieben Chören der Oper Kiel. Nahezu | |
wöchentlich stellen sich neue Gesangstalente beim musikalischen Leiter des | |
Kinder- und Jugendchors der Oper Kiel, Michael Nündel, vor. Wenn die Kinder | |
nach einer Schnupperstunde weiterhin Interesse zeigen, in einem der Chöre | |
zu singen, wird ein sogenannter „Gehörcheck“ durchgeführt – eine | |
Gesangsübung, bei der die Kinder eine Melodie nachsingen sollten. Je jünger | |
die Kinder sind, desto geringer sind auch die Anforderungen. „Wenn ein | |
fünfzehnjähriges Mädchen zu uns kommt, sollte sie wesentlich mehr | |
draufhaben als eine Zehnjährige, damit sie das Level halten kann“, sagt | |
Nündel. Die jüngeren SängerInnen sollen in erster Linie etwas lernen. | |
Über zu wenig Nachwuchs kann sich die musikalische Leitung der Oper nicht | |
beklagen. „Diejenigen, die bereits bei uns singen, erzählen in der Schule | |
davon und bringen weitere interessierte Mädchen und Jungen zu den Proben | |
mit“, sagt Nündel. „Für Kiel ist es absolut ungewöhnlich, dass wir so vi… | |
gesangsinteressierte Kinder und Jugendliche haben.“ In den letzten Jahren | |
seien die Klassen sehr stark angewachsen. Die Jugendarbeit spielt dabei | |
eine zentrale Rolle: Nündel und seine Kollegen besuchen regelmäßig Kieler | |
Schulen, singen dort mit den Kindern und lassen Einladungen zu | |
Schnupperstunden in den Schulen. Daraufhin melden sich viele Interessenten. | |
In der Schule hat auch Johanna Kahlcke vom Kinder- und Jugendchor der Oper | |
erfahren. Sie spielt die Rolle des „Pit“ in dem Stück. Ihre Freundin Mae | |
Dettenborn, die „Paula“ darstellt, kennt Johanna seit der fünften Klasse. | |
„Ich habe schon als kleines Kind im Kirchenchor gesungen“, sagt Johanna. | |
„Als ich Mae kennenlernte, hat sie mich zu einer Probe des Opernchors | |
mitgenommen und seitdem bin ich dabei.“ | |
Für Produktionen wie „Pit und Paula“ finden Castings statt, um die Rollen | |
der Solisten – also der Hauptdarsteller – zu besetzen. Mitglieder des | |
Chors, die Interesse an einer Solistenrolle haben, kommen freiwillig zum | |
Vorsingen oder werden gegebenenfalls eingeladen. „Das ist ein bisschen wie | |
bei Deutschland sucht den Superstar“, sagt Mae. „Man bereitet einen kleinen | |
Teil aus dem Stück vor, Michael Nündel und sein Team sitzen dann vor uns | |
und hören zu.“ | |
Für Mae hat es bereits vor zwei Jahren mit der tragenden Rolle der Paula | |
zur Uraufführung im Kieler Werftpark geklappt. Die Rolle des Pit musste für | |
die kommenden Spieltermine neu besetzt werden. „Wenn die Mädchen volljährig | |
sind, Abitur machen und woanders studieren, dann rücken die Jüngeren nach“, | |
sagt Regisseurin Nele Tippelmann. „Im Fall des Pit war es so, dass Johannas | |
Vorgängerin mittlerweile in Dresden Gesang studiert.“ Für Tippelmann, die | |
seit 2011 freie Projektleiterin ist und mit den Chören des Opernhauses | |
zusammenarbeitet, ist besonders die Entwicklung der jungen Gesangstalente | |
von Bedeutung. „Einige Leute kenne ich, seitdem sie mit zehn Jahren zu uns | |
gekommen sind“, sagt sie. „Die gleichen Mädchen und Jungen vier Jahre | |
später zu sehen, ist toll, weil riesige Entwicklungssprünge stattfinden – | |
gesanglich und auch darstellerisch.“ | |
Noch etwa eine halbe Stunde bleibt den 45 Mitgliedern des Chors bis zum | |
angesetzten Start der Probe um achtzehn Uhr. Einige Mädchen ziehen ihre | |
Kostüme im Umkleideraum des Schauspielhauses an, andere nur ihre | |
Bühnenschuhe, um später sicheren Halt auf dem Parkett zu haben. | |
Nicht nur der neue Spielort im großen Saal des Schauspielhauses ist etwas | |
Besonderes für den ganzen Chor. Auch die Tatsache, dass „Pit und Paula“ von | |
Komponist Bernd Wilden eigens für den Kinder- und Jugendchor der Oper Kiel | |
geschrieben wurde, begeistert alle Beteiligten. „Die Intensität, mit der | |
die Jugendlichen arbeiten und ein Stück dieser Größe an einem | |
professionellen Theater anbieten, ist schon etwas Tolles“, sagt Nündel. | |
Alle Rollen werden vom Chor selbst besetzt. Es sind keine Profis, die die | |
Hauptrollen spielen beziehungsweise singen, sondern die Kinder und | |
Jugendlichen selbst. | |
Die Bühne im Saal des Theaters ist hell beleuchtet. Einige Requisiten | |
müssen noch repariert werden, während der Chor eine Führung durch die Räume | |
hinter der Bühne bekommt. Schließlich soll am Sonntag jeder wissen, wo er | |
oder sie zu sein hat und was auf gar keinen Fall passieren darf – etwa | |
hinter der beleuchteten Leinwand am Bühnenende umherlaufen. Mit einem | |
Mikrofon an der Wange verkabelt, können die ersten Solisten ihre Mikrofone | |
testen. Einige singen etwas, andere sprechen einen kurzen Teil ihres | |
Textes. Mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung findet dann ein kompletter | |
Durchlauf des Stückes statt. Die Musik setzt ein und die ersten | |
Darstellerinnen betreten singend die Bühne. Es ist erstaunlich, mit welcher | |
gesanglichen Stabilität und Sicherheit die Teenager ihren Text vortragen. | |
Doch nicht alle Mitglieder des Chors haben eine Rolle, in der sie einen | |
Text sprechen. Der sechzehnjährige Clemens ist einer von drei Jungen, die | |
eine Statistenrolle besetzen. Als Clemens vor zehn Jahren durch einen | |
Freund auf den Kinder- und Jugendchor aufmerksam wurde, ging er zu einem | |
Vorsingen und wurde später Teil der Gruppe. „Vor meinem Stimmbruch habe ich | |
eine Sopranstimme übernommen“, sagt Clemens in einer Pause der Probe. „Das | |
geht mittlerweile nicht mehr, aber ich bin trotzdem sehr gerne dabei“. | |
Das Verhältnis von Mädchen und Jungen, die als SängerInnen anfangen, sei im | |
Alter von sechs Jahren noch sehr ausgeglichen, sagt Michael Nündel. Das | |
Interesse in einem Chor zu singen, halte sich bei beiden Geschlechtern etwa | |
die Waage. „Mit dem Einsetzen des Stimmbruchs müssen einige Rollen jedoch | |
neu besetzt werden“, sagt Nündel. „Nicht alle Jungs sind in Lage, höhere | |
Stimmen zu singen.“ Für Jungen, die trotz ihrer tieferen Stimme | |
weitermachen möchten, werden eigene Projekte realisiert. | |
Der erste von fünf aufeinanderfolgenden Probetagen bis zur Premiere von | |
„Pit und Paula“ im Schauspielhaus, neigt sich gegen halb zehn am Abend dem | |
Ende entgegen. Das Stück, in dem es einerseits um eine Liebesgeschichte | |
geht, übt andererseits Kritik an der Konsum- und Überflussgesellschaft. Pit | |
und Paula, die aus einer Bauern- beziehungsweise Königsfamilie stammen, | |
lernen sich durch die gegenseitige Abhängigkeit der Stände und den Handel | |
mit Salz kennen. Ein Produkt, das zunächst als völlig trivial wahrgenommen, | |
später als essenziell sowohl für die Königsfamilie, als auch für die Bauern | |
erkannt wird. | |
Eine gelungene Probe geht zu Ende. Größere Schwierigkeiten gab es nicht. | |
Gleich nach der letzten Vorstellung von „Pit und Paula“ am 28. April macht | |
sich der Kinder- und Jugendchor an die nächste Opernproduktion – bestimmt | |
wieder mit frischen Gesichtern junger Talente. | |
12., 23., 26. und 28. April, 18 Uhr; 14. April, 11 Uhr, Schauspielhaus | |
11 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
SEBASTIAN SCHULTEN | |
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