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# taz.de -- Das Kinderzimmer der Menschheit
> Sie sind banal und philosophisch zugleich und verlieren dabei nie ihren
> Humor: Peter Fischli und David Weiss spielen, modellieren, schnitzen gern
> – und zerstören nebenbei allerlei Mythen bezüglich Geschichte,
> Wahrnehmung und anderer objektiver Wahrheiten. Jetzt gastieren die beiden
> Schweizer mit einer großen Retrospektive in Hamburg
VON PETRA SCHELLEN
Da steht es also in der Ecke, das Köfferchen in der Hand, und versucht mit
Rauchen aufzuhören. Dass es ihm nicht gelingen wird, ist absehbar; dass die
Reise ins neue Leben an der nächsten Ecke stranden wird. Ein schlichtes,
kleines Ton-Männchen haben Peter Fischli und David Weiss ins Zentrum ihrer
aktuellen Ausstellung gerückt. Das Herrlein steht nicht allein da, sondern
ist Teil einer größeren Installation – und die wiederum Facette einer
Retrospektive des Zürcher Künstlerduos, deren letzte und einzige
Deutschland-Station nun die Hamburger Deichtorhallen sind.
Einerseits wirken die kleinen Figuren und Szenen, sorgsam auf je eigene
kleine Säulen gestellt, wie Miniaturen der berühmten chinesischen
Tonkrieger-Armee. Aber sie erinnern andererseits auch fatal an jene
Schlamm-Kreationen, wie sie Kinder, sagen wir: an der Ostsee, schaffen.
Souverän und so humor- wie lustvoll wandern die beiden Künstler zwischen
Philosophie und Alltag, zwischen Erhabenem und denkbar Gewöhnlichem. Zu
Beginn ihrer Zusammenarbeit, 1979, waren sie deshalb schwer umstritten.
Inzwischen sprechen Fischli und Weiss jederlei Publikum an – gerade weil
sie das Schlichte nicht fürchten.
Die Tonfigürchen offenbaren die Lust am Spiel, die die Arbeit der beiden
prägt. Zudem präsentieren sich die Szenen mit Mensch, Tier und Ding als
schlau durchdachtes Konglomerat aus Alltag und Menschheitsgeschichte. Sie
sind mal banal, mal psychologisch ambitioniert, verschieben schamlos die
Größenverhältnisse und bringen lieb gewonnene Wertungen durcheinander.
„Hirngespinste“ heißt da zum Beispiel eine Szene, deren Schlangen und
Monsterchen an die Höllengestalten von Hieronymus Bosch erinnern. Eine
andere Arbeit des Ensembles haben Fischli und Weiss „Herr und Frau Einstein
kurz nach Zeugung ihres genialen Sohnes“ genannt: Sie zeigt ein Biederpaar
im Ehebett. Und dann erst die martialischen Szenen: In der „Schlacht bei
Moorgarten“ hauen, nun ja, Menschlein einander Geröll und Baumstämme um die
Ohren, und der eine oder andere geht gar übel hopps. Nebenan rudert ein
Männchen im Kajak zwischen riesigen Felsschluchten umher – „Furchtlos“
haben die Künstler drangeschrieben.
Eine Welt im Miniaturformat ist hier aufgebaut worden – aber nicht nur das
macht diese Installation so vielschichtig. Die scheinbar willkürlich
kombinierten Szenen lassen sich auch als Appell, nun ja, zur Dekonstruktion
lesen. Wer sortiert eigentlich die Bedeutung von Ereignissen? Wer
konstruiert Objektivität und historische Wahrheit? Und ist der hier
verwendete Ton nicht eigentlich das Material des Schöpfers? Welchen Nutzen
hat andererseits, eine Axt aus Ton – ist sie Kopie oder die Illustration
eines Begriffs, der Axt „an sich“? Fragen, die auch andere Exponate
stellen, die aus Kunststoff gegossene Kerze zum Beispiel. Oder ein
Besteckkasten. Wie unappetitliche Rohgummi-Gewächse sehen sie aus, die
Gussform des Schönen, das einmal daraus werden soll.
Das Alltägliche abzubilden und philosophisch aufzuladen: Fischli und Weiss
schaffen es und bewegen sich dabei spielerisch zwischen Skulptur, Foto und
Film, um ja auch bloß keine Grenzen zu setzen. Und dann ist da noch das
große Spiel mit dem Trompe l’oeil: Eine ganze Museumswerkstatt haben die
Künstler aus Polyurethan geschnitzt. Ready-Mades im Sinne Marcel Duchamps
auf den ersten Blick, auf den zweiten das genaue Gegenteil: Fischli und
Weiss haben eben keine realen Gegenstände ins Museum verfrachtet, sondern
nachgemachte, gut getarnte. Aber für den Betrachter, der ohnehin nur hinter
dem musealem Absperrband stehen und schauen darf: Ist es für den nicht
egal, ob das Ding da drüben wirklich echt ist?
Konsequent nehmen die Künstler Originalitätswahn und Pathos aufs Korn,
untergraben systematisch all die großen Mythen, die sich die Menschheit
zimmerte. Sie leugnen, dass Wahrnehmung Wahrheit bedeutet, und zwingen dem
Betrachter die Erkenntnis auf, dass seine Augen lügen. Sogar, was
wissenschaftlich wasserdicht scheint, kann da Lecks offenbaren. Der Film
„Der Lauf der Dinge“, eine 30-Minuten-Kettenreaktion fallender und
brennender Schnüre, Kolben und Bälle, mit der Fischli und Weiss auf der
Documenta 8 im Jahr 1987 auf einen Schlag berühmt wurden, ist
durchkonstruiert bis in die letzte Fiber hinein. Das kann aber so ganz
sicher nur wissen, wer jetzt in dieser Retrospektive die „Rückseite“ sieht:
ein „Making of“, ein Streifen, den ein Freund des Künstlerduos während der
Vorbereitungen zum „Lauf der Dinge“ drehte. Die Hamburger Kuratoren haben
ihn nun auf die Rückwand von „Der Lauf der Dinge“ projiziert. Was er zeigt:
die Mühsal der Experimente, die Widerspenstigkeit der Gegenstände, die
keineswegs so rollen wollen, wie es die beabsichtigte „Kettenreaktion“
erfordert. Gelächter wird laut, wenn der Tischtennisball zum fünften Mal
nicht tut, was er soll. Das Schöpfen, das Sicht-Zurechtstricken, das
Zurechtbiegen der scheinbaren Kausalität zeigen diese Sequenzen. Dabei
attackiert der Film nicht nur die Medien: Auch die Arbeit jedes einzelnen
an seinem Konstrukt von Welt scheint hier auf.
„Habe ich warm?“, oder „Wann kommt der Bus“, lauten die Sentenzen im
„Großen Fragetopf“ aus Polyurethan. Mit ähnlichen, an die Wand geworfenen
Fragen waren die beiden Künstler 2003 auf der Venezianer Biennale mit dem
Goldenen Löwen ausgezeichnet worden. Fischli und Weiss zerlegen alles –
auch unsere Illusion von Ästhetik. Etwa mit ihrem psychedelischen,
vielleicht nach Sonnenfinsternis aussehenden Video, das eigentlich eine
Fahrt durch Zürcher Abwasserkanäle ist. Sie erschaffen und zerschlagen
Illusion fast im selben Augenblick. Und rechnen nebenbei, stets gutmütig,
mit der Menschheit ab. Was hat die da bloß mitgenommen auf ihr Floß, das –
ebenfalls aus Polyurethan geschnitzt – zwischen Nilpferden und Krokodilen
schwimmt: ein Schwein, einen Stuhl, einen Motor, einen Pinsel, einen Pfahl
– alles ein bisschen unaufgeräumt. Müsste die Menschheit überstürzt von d…
Erde flüchten, so ließe sie vermutlich ihr Kinderzimmer zurück.
Peter Fischli/David Weiss: „Fragen & Blumen“ ist bis zum 31. 8. in den
Hamburger Deichtorhallen zu sehen
21 Apr 2008
## AUTOREN
PETRA SCHELLEN
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