# taz.de -- Wiederholungszwang im Weltraum | |
> Dreißig Jahre nach Andrej Tarkowski hat Steven Soderbergh „Solaris“ neu | |
> verfilmt, den Science-Fiction-Klassiker von Stanisław Lem | |
Vom Wiederholungszwang: Einer schneidet sich beim Hacken von Zucchini. Wenn | |
er sich 90 Minuten später in derselben Küche in genau derselben Situation | |
wieder in den Finger schneidet, scheint der Fall erst mal klar: nichts | |
gelernt und aus Schaden nicht klug geworden. Das Dilemma: Weil man sich | |
nicht an den vorherigen Patzer erinnern konnte (sonst hätte man ihn | |
vermieden), gibt es nie ein zweites, sondern immer nur ein erstes Mal. Man | |
konnte demnach gar nichts lernen, denn Fehler sind dazu da, wiederholt zu | |
werden – Erlösung gibt es nur im Märchen. Oder im Science-Fiction. | |
In „Solaris“ darf George Clooney am Ende seine zuerst tote, dann wieder | |
auferstandene Geliebte in den Armen halten, obwohl sie genau genommen | |
nichts anderes ist als die Projektion seiner eigenen fehlerhaften | |
Erinnerungen. Clooney weiß das, darf aber so tun, als wüsste er von nichts. | |
Mit diesem Happy Ending erteilt sich der Regisseur Steven Soderbergh selbst | |
die Absolution. Denn auch er ist ein Wiederholungstäter, der so tut, als | |
hätte es ein erstes Mal nicht schon gegeben. | |
Vom filmischen Wiederholungszwang: Steven Soderbergh hat den | |
Science-Fiction-Klassiker von Stanisław Lem verfilmt, den Andrej Tarkowski | |
bereits 1972 auf die Leinwand brachte. Den Psychologen Kris Kelvin (George | |
Clooney) erreicht ein Hilferuf von der Forschungsstation Prometheus, die | |
fern im Weltall den Planeten Solaris erkundet. Der Kontakt mit der | |
Besatzung ist abgebrochen, was die Erde an entzifferbaren Botschaften | |
erreicht, lässt darauf schließen, dass die Crew paranoid geworden ist. An | |
Bord der Raumstation findet Kelvin denkbar desolate Zustände vor. Von den | |
verbliebenen drei Besatzungsmitgliedern hat sich einer, ausgerechnet der | |
Kommandant Gibarian (Ulrich Tukur), umgebracht, die Physikerin Gordon | |
(Viola Davis) hält ihre Tür fest verschlossen und weigert sich zu erklären, | |
was geschah, und der Wissenschaftler Snow (Jeremy Davies) kann zwar mit dem | |
Reden und der Händefuchtelei gar nicht mehr aufhören, sagt aber genauso | |
wenig. Bald genug findet Kelvin von selbst heraus, dass der Planet in der | |
Lage ist, die Erinnerungen der Besatzung zu materialisieren. Denn er | |
erwacht neben Rheya (Natascha McElhone), die auf der Erde seine Frau war, | |
jedoch vor langer Zeit Selbstmord beging, und daran fühlt sich Kelvin immer | |
noch schuldig. Zuerst ist er entsetzt, dann fasziniert von der Chance, die | |
sich ihm bietet: seinen Fehler wiedergutzumachen, die Beziehung ein | |
erneutes Mal zu leben. | |
Als Manifestationen des Unbewussten sind die Wiedergänger, ganz wie es das | |
psychoanalytische Lehrbuch vorschreibt, ohnehin nicht zu vertreiben. Je | |
weiter man sie verbannen will (etwa mit einer Raumkapsel ins All | |
katapultieren oder mit Antimaterie beschießen), desto sicherer kehren sie | |
zurück. Kreisten die Dialoge zwischen den Wissenschaftlern bei Tarkowski um | |
Metaphysik und die so genannten letzten Dinge: die Grenzen des Wissens, der | |
Kontakt zum ganz Anderen, das Fremde im Eigenen, so hält sich Soderbergh | |
ganz an die irdisch-menschlichen Dinge. | |
Die Liebesgeschichte von der zweiten Chance findet nur zufällig im Weltraum | |
statt, und der geheimnisvolle Planet schrumpft zu nicht viel mehr als einer | |
Begründung dafür, warum der Melancholiker Clooney, wie überhaupt alle in | |
diesem Film, auf der Traum- und Raumstation ständig schlecht schläft, was | |
ihn dann so sexy übermüdet aussehen lässt. DIETMAR KAMMERER | |
„Solaris“. Regie: Steven Soderbergh. Mit George Clooney, Natascha McElhone, | |
Viola Davis u. a. USA 2002, 98 Min. | |
8 Mar 2003 | |
## AUTOREN | |
DIETMAR KAMMERER | |
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