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# taz.de -- „Jeder träumt von Amerika“
> Dušan Makavejevs „W. R. – Die Mysterien des Organismus“ von 1971 kommt
> wieder ins Kino. Er geht um die Lehren des Sexologen Wilhelm Reich. Ein
> Gespräch mit dem Regisseur über Sex und Suppe
INTERVIEW SVEN VON REDEN
taz: Herr Makavejev, Ihre Werke haben wenig gemein mit den Traditionen des
klassischen Erzählfilms. Halten Sie die konventionellen Mittel filmischer
Narration für nicht brauchbar?
Dušan Makavejev: Ich halte Konventionen für sehr wichtig. Aber sie sind nur
gut als Rahmen oder Gerüst, etwa für den Anfang und das Ende. Das
kommerzielle Kino braucht den Erfolg so sehr, dass es versucht, es allen
recht zu machen. Dadurch werden Filme pathetisch und langweilig statisch,
sie verlieren ihre Verspieltheit und ihr Überraschungspotenzial. Ich habe
mindestens 7.000 Szenen gesehen, in dem Leute Mittag essen, kann mich aber
nicht daran erinnern, dass einer mal, statt den Löffel zu benutzen, die
Suppe aus dem Teller getrunken hätte. Ich habe Kinder von Freunden dabei
beobachtet, wie sie mit Strohhalmen Blasen auf eine Hühnersuppe machen. Die
normalen Mahlzeiten in Filmen werden immer in „Missionarsstellung“
eingenommen. In Blake Edwards „Ten“ servieren alte Frauen den Tee und
furzen dabei. Das gibt dem Film einen wunderbaren, liebenswürdigen Touch.
Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass Sie die Überraschung als
„psychologische Waffe“ einsetzen. Wie hat Ihr Psychologiestudium Ihre
Arbeit als Filmemacher beeinflusst?
In vielerlei Hinsicht. Die Psychologie als Wissenschaft wird
ungerechterweise vernachlässigt. Ich hatte mehrere brillante Professoren an
der Belgrader Universität. Als wichtige Inspirationsquelle würde ich auch
die Studien über kulturelle Unterschiede des amerikanischen Anthropologen
Edward Hall nennen. Ich habe mich sehr gefreut, als 2002 der Nobelpreis für
Wirtschaft dem Psychologen Daniel Kahneman verliehen wurde, und zwar für
die beängstigende Erkenntnis, dass es Menschen vorziehen, in ernsten
Angelegenheit irrationale Entscheidungen zu treffen. Von der Theorie
scheint kaum jemand Notiz genommen zu haben.
Besonders in „W. R.“ propagieren Sie, dass sexuelle und politische
Befreiung nicht voneinander getrennt werden können. Heutzutage würde jemand
wie Michel Houellebecq widersprechen und sagen, dass die sexuelle
Revolution kapitalistische Prinzipien in die intimsten menschlichen
Beziehungen hineingetragen hat.
Ich habe Houellebecq nicht gelesen. Wenn ich nicht in den USA gelehrt habe,
war ich in den letzten Jahren in Belgrad. Dort schien das intellektuelle
Leben Europas Lichtjahre entfernt – durch die Inflation in Serbien haben
Leute mit Millionen in den Taschen aus Mülltonnen gegessen! Aber wenn man
von Befreiung spricht: Die Wahrheit ist, dass Männer und Frauen, die
Menschheit, für jeden Schritt in Richtung persönlicher Freiheit, wieder
irgendetwas erfindet, um diesen Schritt rückgängig zu machen.
Sie haben die Verbindung zwischen Hollywood und dem Pentagon schon während
des Vietnamkriegs kritisiert. Seit den Anschlägen auf das World Trade
Center scheint diese Verbindung noch offensichtlicher.
Es gibt keine „Verbindung“ zwischen Hollywood und dem Pentagon – es ist d…
gleiche Körper und die gleiche Seele. Die Traumfabrik ist das archaische
Hirn eines Giganten, dessen Arme und Beine – der militärische Komplex –
sich wie schlafwandelnd bewegen. George Lucas’ „Star Wars“ wurde von Rona…
Reagan als Anleitung für das Pentagon benutzt, wie jeder weiß. Es geht nur
darum, herumzufliegen, Knöpfe zu drücken und sich allmächtig zu fühlen. Die
Welt als Flipper. Ich bewundere Amerika. Amerika war immer mein Traum, wie
es jedermanns Traum ist. Die USA sind, was immer auch falsch läuft, ein
Land der Freiheit und des Respekts vor dem Individuum.
Worin liegt das Problem?
Das Problem sind die gehemmten Leute. Leute, die niemals lachen und tanzen.
Leute, die eine Fernsteuerung brauchen, um sich zu bewegen. Jetzt zetteln
diese Widerlinge Kriege an, in denen Soldaten aus kilometerweiter
Entfernung kämpfen und killen. Wie kann man jemandem auf die Nase hauen mit
Fernglas und Digitalkamera? Es ist nicht unmöglich! Man konnte das in der
Belgrader Knez-Miloša-Straße sehen. Es heißt „chirurgisches Bombardieren�…
Riesige Gebäude wurden zerstört, und die Blätter an den Bäumen drum herum
blieben an den Ästen. Es ist fast perfekt, aber sehr teuer. Milliarden von
Dollars. Man könnte ein ganzes Land kaufen für die Hälfte des Geldes, das
es kostet, es zu zerstören.
Neben dem Hurra-Patriotismus einiger neuerer Kriegsfilme aus Hollywood gibt
es auch eine Menge kritische Beiträge zur Politik der Regierung Bush.
Könnte es zu einem Comeback des Guerrilla-Films kommen in Zeiten des „War
Against Terror“?
Ja, aber man sollte vorsichtig mit Worten sein. Echte Guerrilleros
marschieren bei Nacht, ohne Laute, und wir dürfen nicht viel von ihnen
wissen. In den europäischen Urheberschutzgesetzen besagt einer der ersten
Artikel in etwa: Der Autor ist die Person, die ein Werk geschaffen hat. Am
Ende von amerikanischen Filmen kann man klein lesen: Die Rechte liegen bei
Warner Brothers. Der Konzern ist der Schöpfer. Das ist, als ob man an den
Grand Canyon ein Schild heftet: Der Schöpfer dieses Naturdenkmals ist der
Staat von Arizona.
„W. R. – Die Mysterien des Organismus“. Regie: Dušan Makavejev. Mit Mile…
Dravić, Jagoda Kaloper u. a. Jugoslawien/Bundesrepublik Deutschland 1971,
84 Minuten
Fotohinweis:Dušan Makavejev wurde 1932 in Belgrad geboren. Er studierte
Psychologie und Film. 1973 verließ er Jugoslawien, seitdem lebt er in den
USA
6 Nov 2008
## AUTOREN
SVEN VON REDEN
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