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# taz.de -- Das Meer kämpft zurück
> Wale fangen an, Schiffe anzugreifen, giftige Krabben treiben an Land ihr
> Unwesen und gigantische Flutwellen verheeren ganze Küstenregionen: Heute
> erscheint Frank Schätzings großartiger und beunruhigender
> Endzeit-Thriller „Der Schwarm“
VON TOBIAS RAPP
Es beginnt mit einem Menschenopfer. Vor der peruanischen Küste fährt ein
Fischer auf einem kleinen Boot heraus, sinniert über die lange
Familientradition, die mit ihm nun an ein Ende kommen wird, weil große
Fischereikonzerne seine angestammten Fanggründe leer fischen und er gegen
deren High-Tech-Trawler mit seinen bescheidenen technischen Möglichkeiten
nicht ankommt. Dann zieht es ihn in die Tiefe. Es. Der Schwarm.
Blau blickt er einen vom Buchcover aus an, man glaubt in die Iris eines
Auges zu schauen. Der Fischer bleibt nicht der Einzige, den der Schwarm in
sich hineinzieht, als Leser geht es einem genauso. Hat man sich von dem
augenähnlichen Etwas erst einmal ansaugen lassen, gibt es kein Entkommen
mehr. Dieses Buch will gelesen werden, vom Anfang bis zum Ende, morgens,
abends, nachts. Welten könnten draußen kollabieren, man würde es nicht
bemerken, so sehr zieht einen die kollabierende Welt von Frank Schätzings
Endzeit-Thriller „Der Schwarm“ in ihren Bann.
Irgendetwas tut sich in der Tiefe des Meeres. Wale fangen an, Schiffe
anzugreifen. Giftige Krabben krabbeln an Land. Millionen mutierter Würmer
tauchen in Küstennähe auf und beginnen die Metahydratvorhaben vom
Meeresboden zu fressen. Das leistet der Gefahr riesiger
Unterwasser-Erdrutsche Vorschub, die zu so genannten Tsunamis führen
können, gigantischen Flutwellen, die ganze Küstenregionen verheeren (nur um
ein wenig zu verraten: Halb Nordeuropa fällt in „Der Schwarm“ einem Tsunami
innerhalb weniger Minuten zum Opfer).
Geheimnisvolles Paralleluniversum aber auch an Land, wo Kiepenheuer &
Witsch mit Frank Schätzing einen Autor als Headliner seines
Frühjahrsprogramms auf den Markt schickt, dessen Namen man als Nutzer des
Suhrkamp-Hanser-Rowohlt-Systems noch nie gehört hat, dessen Bücher in den
vergangenen Jahren aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb eine
Viertelmillion Exemplare verkauft haben. So gemein ist das Leben, so dumm
der Dünkel – stünde das Kiepenheuer-&-Witsch-Logo nicht darunter, man hätte
das Buch vielleicht wieder weggelegt. Da kann der Schwarm einen noch so
hypnotisch anschauen. Und Schätzing ist für das Kölner Verlagshaus nicht
irgendein Autor. Die Ankündigung für „Der Schwarm“ kommt einem vor, als
wollte Kiepenheuer & Witsch mit ihm die zweite Stufe seiner mächtigen
Popliteratur-Rakete zünden: Nach den Büchern der Paperbackreihe, die Pop
waren, weil Schallplatten drin vorkamen und die Autoren jung, nun also eine
Literatur, die über ihre schiere ökonomische Größe zu einem Event wird.
Das dickste Buch der Verlagsgeschichte! Bevor es überhaupt im Laden steht,
schon ein Erfolg, denn die Taschenbuchrechte sind für eine höhere,
sechsstellige Summe weggegangen! Die acht größten deutschen
Taschenbuchverlage teilten unsere Begeisterung! Auch die Rechte an der
Audioversion sind bereits verkauft! So verkündet es stolz der Pressezettel,
auf dem normalerweise unter einem Isolde-Ohlbaum-Foto des Autors
aufgelistet wird, welchen Literaturpreis er oder sie schon bekommen hat.
Aufgepasst, denkt man sich, hier will ein Verlag den amerikanischen
Bestsellerautoren auf Augenhöhe entgegentreten.
Überhaupt der Autor. Frank Schätzing, so wird er einem zumindest
vorgestellt und so kann man ihn auch auf seiner Homepage bewundern, müsste
nicht schreiben. Er betreibt eine gut gehende Werbeagentur in Köln und ist
außerdem noch Musiker und „begeisterter Hobbykoch“. Trotzdem hat er
nebenbei bereits mehrere Bücher veröffentlicht, den Mittelalter-Roman „Tod
und Teufel“ etwa und den Politthriller „Lautlos“. Er müsste nicht
schreiben, er kann aber. Dieses Schreiben folgt keiner kunstreligiösen
Berufung, es ist einfach logische Verlängerung einer disziplinierten
Kreativität, die Betätigungsfelder sucht. Manche Unternehmer ziehen sich
aus dem aktiven Geschäft zurück, um fortan in einer Yacht über die sieben
Weltmeere zu segeln und am America’s Cup teilzunehmen. Andere setzen sich
hin und erzählen eine Geschichte über das, was tiefer unten wohl lauern
könnte.
Und „Der Schwarm“ ist ein brillant konstruierter Thriller. Lauter kleine
Beunruhigungen, die ein jeder aus Funk und Fernsehen kennt, werden
zusammengelegt, bis sie eine glaubwürdig bedrohliche Kausalkette bilden.
Wer hätte sich nicht schon einmal gefragt, was eigentlich aus Bohrinseln
wird, wenn sich aus dem Meeresboden kein Öl mehr pumpen lässt? Wurde nicht
gestern erst ein Piranha aus der Themse gefischt? Sitzen nicht wirklich
ständig irgendwelche Minister zusammen und können sich nicht über die
Absenkung von Fischfangquoten einigen, obwohl die Meere längst vollkommen
überfischt sind? Haben die Meereslebewesen nicht allen Grund zu schlechter
Laune?
Und ist unser Wissen über die Tiefsee nicht tatsächlich äußerst
eingeschränkt? Jene unwirtlichen Gegenden tausende von Metern unter der
Wasseroberfläche, wo der Druck unerträglich hoch ist und in die kein
Sonnenstrahl je seinen Weg fand, aus denen ab und an riesige Augen
hochgespült werden, von denen es dann heißt, sie kämen von gigantischen
Kraken, die so groß seien, dass sie Pottwale angriffen? Schätzing schichtet
Meldung auf Meldung und lässt die Protagonisten seines Romans ähnlich lange
ratlos reagieren, wie er die Leser über den Grund all dieser Vorkommnisse
im Unklaren lässt.
Analog zu dem großen Realitätenkuddelmuddel, in das einen die Medien
tagtäglich werfen, jene Mischung aus Katastrophenmeldungen und obskuren
Entdeckungen amerikanischer Wissenschaftler, das man jeden Abend hinnimmt,
ohne sich groß etwas dabei zu denken, schickt einen „Der Schwarm“ in eine
wohlig gruselnde Paranoia. Wenn doch alles zusammenhängt, nicht alles
Zufall ist? Steckt am Ende ein Schurkenstaat hinter all diesen
Vorkommnissen, werden mutierte Organismen einsetzt, um den Westen zu
erpressen? Sind bisher unbekannte weapons of mass destruction im Spiel? Wer
steuert all das?
Die Zivilgesellschaft reagiert durch gesteigerte Forschungstätigkeit. An
der Uni Trondheim werden Organismen analysiert, kanadische Walforscher
fangen an Daten zu vergleichen, am Geomar, dem Institut für maritime
Geologie in Kiel, beginnen Wissenschaftler Modelle durchzurechnen,
Forschungsschiffe laufen aus. Beim CIA und dem Central Command der US-Army
rüstet man zum großen Gegenschlag. Und hier liegt tatsächlich das einzige
Problem dieses ansonsten großartigen Buchs. Es ist very old europe. Äußerst
gründlich hat Schätzing sich bei Wissenschaftlern umgetan, um sein Szenario
einer fremden Intelligenz aus der Tiefe des Meeres zu gestalten, die keine
Dünnsäure mehr in ihrer Biosphäre verklappt haben möchte. Doch die
erzählerische Konstruktion, durch die Schätzing die Menschheit dann
schließlich mit der Bedrohung fertig werden lässt, wird von einfachsten
ideologischen Momenten getragen. In einer erstaunlichen Wendung findet sich
hier genau jene Konstellation wieder, die sich in der realen Welt vor
kurzem erst formierte. Da ging es nicht um ein Wesen aus dem Meer, sondern
um Saddam Hussein.
Die US-Army möchte am liebsten alles wegbomben, was ihr nicht passt, und so
die weltweite Vormachtstellung der Vereinigten Staaten sichern. Eine
deutsch-französisch-kanadisch-skandinavische Wissenschaftler-Allianz
dagegen will den diplomatischen Weg gehen. Erst mal schauen, was Sache ist,
dann reden, dann weitersehen. „Ehrlicher Makler“ wird diese Sicht auf die
Dinge in Deutschland auch gerne genannt, dann geht es meist um die deutsche
Haltung zum Israel-Palästina-Konflikt.
Doch so geht es nicht. Nicht so sehr, weil die Welt so einfach nicht ist.
Es geht so nicht, weil die ganze Erzählung so in eine grandiose Schieflage
gerät. Auch hier sind die Parallelen zur weltweiten Antikriegsbewegung
erstaunlich: Die Vereinigten Staaten stellen sich in „Der Schwarm“ über den
Rest der Welt, europäische Regierungen und ihre nationalen Interessen
kommen nicht vor. Für Europa steht die engagierte Zivilgesellschaft.
Amerikaner, so sie nicht der US-Administration zuarbeiten, sind bei
Schätzing ausschließlich Opfer der üblen Machenschaften ihrer Regierung –
das ist in Anbetracht der sonstigen argumentativen Vielschichtigkeit des
Romans doch ein wenig zu einfach gestrickt. Wobei das Buch in der
Konsequenz seiner ideologisch-narrativen Schieflage schon fast wieder Größe
beweist. Da wird der UNO-Sicherheitsrat hinters Licht geführt und die
Weltöffentlichkeit belogen, dass es eine Freude ist.
Doch denkt man diese Schwäche des Buchs weiter, so hat sie fast schon
tragische Züge: Da will ein Verlag den amerikanischen Thrillerautoren ein
Produkt aus eigener Produktion entgegensetzen. Und hat dafür auch einen
Autor an der Hand, der wie gecastet zu sein scheint für diesen Job. Sogar
die Marketingkampagne folgt den amerikanischen Vorbildern. Und dann ist der
einzige Vorwurf, den man diesem Buch machen kann, ausgerechnet der, den
Europäer sonst bevorzugt Amerikanern machen: ideologisch zu einfach
gestrickt zu sein.
Frank Schätzing: „Der Schwarm“. Roman, Kiepenheuer und Witsch, Köln 2004,
1008 Seiten, 24,90 €
21 Feb 2004
## AUTOREN
TOBIAS RAPP
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