Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Das Antiquariat der Äpfel
> Das reife Gelb der Birnen und das Vergilben des Beuys-Raums im Museum:
> Den Spuren der Zeit ist die britische Künstlerin Tacita Dean auf den
> Fersen, mit neuen Arbeiten in der Villa Oppenheim
VON BRIGITTE WERNEBURG
Tacita Dean ist von den Furien des Verschwindens fasziniert. Vielleicht hat
die britische Künstlerin, die 1998 für den Turner Preis nominiert war,
deshalb im Jahr 2000 Berlin als ihren Wohnsitz gewählt. Denn Berlin ist nun
wirklich von den Furien des Verschwindens heimgesucht. Gerade eben sind die
letzten Betonreste des Palasts der Republik abgeräumt worden.
Selbstverständlich hat Tacita Dean dem „Palast“ und dem gegenüberliegenden
Dom, der sich in ihm kupferrot spiegelt, einen ihrer wundersamen
16-mm-Filme gewidmet. Wie der jetzt in der Villa Oppenheim gezeigte
elfminütige Loop „Prisoner Pair“ sind sie stets von beglückender
Einfachheit. Und daher besteht das aktuelle Schauspiel aus nichts weiter
als dem Bild reifen Gelbs und darin eingelassenen dunkelbraunen Flecken,
eingehüllt in schimmernde Transparenz. Natürlich stammen die Farben von
realen Körpern, und damit wird die Angelegenheit so vertrackt wie ihr
Titel, der die französische „Poire Prisonnière“ in ein doppeldeutiges
englisches „Prisoner Pair“ statt „Prisoner Pear“ übersetzt. Denn was w…
sehen, ist tatsächlich gleich ein Paar in der Flasche herangereifter
Birnen.
Eigentlich wollte die Künstlerin die herbstliche Birnenernte im Elsass
filmen. Doch dann kam sie zu spät und deshalb stecken die Birnen jetzt im
Glas. Anders die Äpfel, die Michael Hamburger ihr entgegenhält. Sie sind
frisch vom Baum pflückt. Tacita Dean hat den Übersetzer und Dichter 2007 in
Suffolk besucht. Statt in seine Bibliothek, führte sie der alte Mann in
seinen Apfelgarten, eine Art Naturantiquariat, zu dem die Furien des
Verschwindens keinen Zutritt haben. Denn hier wachsen noch Apfelsorten, die
andernorts längst ausgestorben sind. Wie Michael Hamburger, der später in
diesem Jahr starb, nun die verschiedenen Äpfel behutsam in seine
gichtgekrümmten Hände nimmt, um auf ebenso behutsame Weise ihre jeweiligen
Eigenschaften zu erklären, das ist selbst schon wieder ein Gedicht.
Dass Tacita Dean Michael Hamburger in England besucht und nicht in Berlin,
hat seinen Grund in der Zeit des Nationalsozialismus, denn Hamburger kam
1924 in Charlottenburg zur Welt. In dem Kiez, in dem heute die Künstlerin
wohnt und wo auch die Villa Oppenheim zu finden ist. Es scheint also eine
gewisse Richtigkeit zu haben, dass die erste Berliner Einzelausstellung der
in aller Welt gefeierten 43-jährigen Engländerin, die erst letztes Jahr mit
dem Hugo-Boss-Preis und einer Einzelausstellung im New Yorker Guggenheim
Museum geehrt wurde, nicht in einem der großen Berliner Museen, sondern
ausgerechnet in der vom Bezirk eingerichteten Galerie für zeitgenössische
Kunst stattfindet. Zumindest weist darauf der Titel „In My Manor“ hin, den
Tacita Dean ihrer Ausstellung gab. Denn Manor meint sowohl das Manor House,
das Landhaus oder die Villa, wie Manor daneben auch umgangssprachlich den
Kiez meint.
Gleichzeitig kann man aber den Titel obendrein als ein Insistieren der
Künstlerin darauf verstehen, die Dinge eben auf ihre Art und Weise zu
regeln, „In My Manner“.
Auf ihre Manier hat sie auch den misslichen Umstand, dass sie die
Beuys-Arbeiten im Hessischen Landesmuseum Darmstadt aus Copyright-Gründen
nicht filmen durfte – obwohl sie extra eingeladen worden war, den dortigen
Beuys-Raum vor seiner Renovierung zu dokumentieren – in einen Glücksfall
verwandelt. Denn die vergilbten Wandbespannungen mit ihren Flecken und
Rissen, die Türgriffe, Hinweisschilder, Feuerlöscher und Schattenspiele,
die Tacita Dean für ihren „Darmstädter Werkblock“ aufnahm, formulieren so
einen großartigen kritischen Kommentar zum Streit um die Konservierung der
Beuys’schen Arbeiten, der die Renovierung so lange verzögert hatte.
Ein weiterer Glücksfall war es nun, dass die Kita, mit der sich die Galerie
für zeitgenössische Kunst das Haus in der Schlossstraße bislang teilte,
gerade jetzt auszog. Damit standen Matthias Niehoff, dem Leiter der Villa
Oppenheim, weitere große, bislang unrestaurierte Räume für die Ausstellung
zur Verfügung. Das ermöglichte es, den wichtigen Werkblock von Tacita Deans
aktuellen Filmen vorzustellen. In den bisherigen Galerieräumen zeigt die
Künstlerin Fundstücke, die sie künstlerisch bearbeitet und damit ihrem
Verschwinden entrissen hat.
Hinter „Die Regimentstochter“ verbirgt sich etwa eine Serie von
Programmheften der Berliner Opern aus den Jahren 1942 bis 1945, die Tacita
Dean auf dem Flohmarkt fand. Zwar hat sie die Programme gerahmt, aber der
rechteckige Ausschnitt auf dem Deckblatt, der den Blick auf die
dahinterliegende Seite freigibt, den muss der Vorbesitzer so fein
säuberlich ausgeschnitten haben: Hier prangte nämlich einmal das
Hakenkreuz.
Besonders schön sind aber die „Painted Kotzsch Trees I–VI“. Alfred Kotzs…
war ein in der Nähe von Dresden beheimateter Weinbauer und früher Fotograf,
dessen Werk, besonders die Naturstudien, seit der Mitte der 1880er Jahre
infolge wichtiger Ausstellungen auch internationales Ansehen errang. Tacita
Dean übermalte nun einige seiner (beschädigten) Albuminabzüge aus dieser
Zeit derart mit Deckweiß, bis jeweils nur noch ein einzelner
Caspar-David-Friedrich-Baum aus dem weißen Nebel ragt; wie mit letzter Not
herausgerissen aus dem Schattenreich, in dem die Furien des Verschwindens
zu Hause sind.
Bis 15. Februar, Villa Oppenheim, Schlossstraße 55, Di.–So. 11 bis 17 Uhr
17 Dec 2008
## AUTOREN
BRIGITTE WERNEBURG
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.