# taz.de -- Das Bedürfnis zu erinnern | |
> In Blankenese erforscht ein neu gegründeter Verein die Schicksale | |
> ehemaliger jüdischer Nachbarn – aus Interesse an vergangenem Glanz und | |
> zur Aufarbeitung einer unrühmlichen Epoche | |
von CHRISTINE KEILHOLZ | |
Wirklich repräsentativ für das jüdische Leben in der Hansestadt mögen die | |
vier Persönlichkeiten nicht sein – als Vertreter der geistigen oder | |
finanziellen Elite der Stadt. Aber eben weil sie, „zum kulturellen wie | |
ökonomischen Reichtum Hamburgs und Blankeneses beigetragen haben“, wie der | |
Historiker Martin Schmidt sagt, ist viel über sie bekannt. Schmidt, ehemals | |
langjähriger grüner Bürgerschaftsabgeordneter, ist Erster Vorsitzender des | |
„Vereins zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“. Im Verein | |
haben sich zehn Blankeneser zusammengefunden, die an der Aufarbeitung der | |
damaligen Geschehnisse interessiert sind. | |
Ziel des kürzlich gegründeten Vereins war von Anfang an die Ausstellung mit | |
dem Titel „Viermal Leben – Jüdisches Schicksal in Blankenese von 1901 bis | |
1943“. Aus dem vielfältigen Leben Blankeneser Juden wurden vier Schicksale | |
ausgewählt, die mit Lebensweg und Bildern beleuchtet werden. So der | |
Kaufmann Julius Asch. Der Teilhaber der Seidenfirma Charles Lavy & Co. | |
besaß ein Haus an der Elbchaussee und war, weil sehr wohlhabend und | |
charismatisch, angesehen in der ohnehin erlesenen Blankeneser Gesellschaft. | |
Ebenso wie die Schriftstellerin Sophie Jansen, die sich mit der Armenpflege | |
und im „Vaterländischen Frauenverein“ sozial engagierte. Als die 80-Jähri… | |
1942 von ihrer bevorstehenden Deportation erfuhr, nahm sie sich in ihrer | |
Wohnung das Leben. | |
Die Malerin Alma del Banco war erst 1938 nach Blankenese gezogen, fünf | |
Jahre nachdem ihr Werk als „entartete Kunst“ eingestuft worden war. Im März | |
1943 wurde auch ihr der Deportationsbescheid nach Theresienstatt | |
zugestellt. Am folgenden Tag beging sie mit einer Überdosis Morphium | |
Suizid. | |
Ein Star der Hamburger Gesellschaft war Ida Dehmel, Gattin des Lyrikers | |
Richard Dehmel. Das Domizil des Ehepaars wurde ab 1912 von Künstlern aus | |
ganz Deuschland frequentiert. Eine Emigration nach 1933 lehnte sie ab, der | |
Ruhm ihres verstorbenen Mannes bei den Nazis verschaffte ihr einen | |
weitgehenden Schutz, glaubte sie. 1942 wählte auch sie den Freitod durch | |
Tabletten. | |
Anschauliches über die Personen im Kontext ihrer Zeit und des Stadtteils | |
soll ab kommendem Frühjahr die Ausstellung vermitteln. In Zusammenarbeit | |
mit Historikern, Kunsthistorikern und der Ausstellungsagentur Exhibit | |
entstand das Konzept, das der Verein gestern vorstellte. „Wir leisten | |
Erinnerungsarbeit aus einem Bedürfnis heraus“, so Vereinsmitglied Monika | |
Lühmann. Sagt sie und erhofft sich so aktive Mithilfe beim Sammeln von | |
Quellen, Bildern und Zeitzeugen aus dem Stadtteil. | |
„Die Enkelgeneration ist wahrscheinlich die letzte, der noch Zeitzeugen zur | |
Verfügung stehen.“ Allerdings stößt die „Erinnerungsarbeit“ oft dort an | |
Grenzen, wo sie auf Helfer und Nutznießer der Judenverfolgung trifft. Die | |
Schuldfrage kommt schon dann auf, wenn sich die Eigentumsfrage um ein | |
enteignetes Haus stellt. Auch die Parteizugehörigkeit von Eltern und | |
Großeltern werde oftmals tabuisiert. | |
Dennoch zählen die Vereinsmitglieder darauf, dass das Bedürfnis nach | |
Aufarbeitung bei den Nachfahren der „Täter“ mindestens ebenso groß ist wie | |
bei den Angehörigen der jüdischen Familien. „Wir wollen nicht diffamieren�… | |
sagt Schmidt, „es geht nicht um Täter.“ Schon der Titel der Ausstellung | |
„Viermal Leben“, stellt nicht den Tod der Protagonisten in den Vordergrund, | |
sondern soll eine Epoche beleuchten, die glänzend war, bevor sie in den KZs | |
ihr Ende fand. | |
5 Jun 2003 | |
## AUTOREN | |
CHRISTINE KEILHOLZ | |
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