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# taz.de -- Skandal: Puppe will Superstar werden
> Erstmals schafft die Sängerin Françoise Cactus bildende Kunst, schon
> landet ihr Häkelwerk auf dem Titel der Boulevardpresse. Der Sexskandal
> beruht auf einem Missverständnis. Doch nun will die Puppe Wollita selber
> singen und den „B. Z.“-Kulturpreis
VON WOLFGANG MÜLLER
So hat sich die französische Sängerin und Autorin Françoise Cactus (Stereo
Total) ihren Einstieg in die Welt der Kunst wohl nicht vorgestellt. In
wochenlanger Arbeit häkelte sie die 1,74 große Puppe „Wollita“ für eine
Ausstellung mit dem Titel „When Love Turns to Poison“ im Kunstraum
Kreuzberg. Und schon ist Wollita auf den Titelseiten von B. Z. und Bild
gelandet: als Aufmacher, beschimpft als „nackte Puppe“, die mit
„gespreizten Beinen auf einem Stuhl posiert“ und angeblich „Kinderschütz…
schockiert“.
Die „Künstlerin“ Françoise Cactus versteht die Welt nicht mehr. Sie habe
Wollita genau nach dem Vorbild einer gewerblichen Sexanzeige in der B. Z.
gehäkelt: „Scharfe Wollmaus, 18 Jahre jung, will dich verwöhnen. Immer
bereit.“
Doch nicht nur das. Ihr Häkelgeschöpf will sich jetzt selbstständig machen
und strebt eine Solo-Karriere an. Cactus: „Ich habe Berge von Schurwolle
verhäkelt. Mindestens 300 Euro habe ich dafür im Kreuzberger Wollgeschäft
‚Fadeninsel‘ gelassen. Und nun haut Wollita einfach ab, um Fotomodell zu
werden.“ Mit einem Seufzer fügt die charmante Sängerin hinzu: „Undank ist
der Welt Lohn.“
Wollita hat in der Tat große Pläne. Nachdem sie auf den Titelseiten der
Boulevardblätter gelandet ist, möchte sie ganz hoch hinaus. Wollita (18):
„Das ist die Chance meines Lebens. Ich wäre ja schön dumm, wenn ich diese
jetzt nicht ergreifen würde.“
Besonders dankbar scheint Wollita ihrer Schöpferin aber nicht zu sein: „O.
k., sie hat mich in die Welt gesetzt. Aber ich finde, Françoise Cactus hat
sich bei meiner Herstellung einfach nicht die Mühe gegeben, die sie hätte
aufbringen können – schauen Sie, mein Körper besteht aus der gleichen
Häkeltechnik wie der von Topflappen – nicht gerade sexy.“ Und dann hebt
Wollita mit einer lässigen Bewegung den rechten Arm und klopft
triumphierend auf den Tisch: „Und trotzdem habe ich alle Fotonacktmodelle
aus dem Feld geschlagen. Wollsex ist nämlich im Kommen, das hat Madame
Cactus wohl nicht geahnt.“
Françoise gönnt Wollita ihren Erfolg: „Es stimmt schon.
Topflappenhäkelmuster finde ich eigentlich unerotisch.“ Wollita habe
ursprünglich ein kritischer Kommentar zur Degradierung von Frauen zum
Sexsymbol sein sollen. Nie im Leben wäre ihr in den Sinn gekommen, dass
Wollita so einen Riesenerfolg als Erotik-Model haben könnte. Zudem die in
der B. Z. als „nackt“ bezeichnete Puppe ja eigentlich völlig angezogen sei.
Es funktioniere ähnlich wie bei Marlene Dietrich, ihrem berühmten
Bühnenkleid, das so wirkte, als sei sie eigentlich nackt. Auch Wollitas
raffiniertes Strickkleid täuscht Nacktheit vor.
Doch die Kontrolle über Wollita ist Françoise Cactus längst aus den Händen
geglitten. Ihre Kreation hat sich bereits auf eigene Kosten einige neue,
weniger aufreizende Kleider häkeln lassen und ist auf dem Sprung ins
Showbusiness. Wollita: „Ich nehme jetzt Gesangsstunden und möchte eine CD
mit selbst komponierten, anspruchsvollen Chansons aufnehmen.“
Und dann hebt sie ihren Blick und lächelt freundlich in die Frühjahrssonne:
„Wissen Sie, Helmut Newton und Vivianne Westwood, alles früher höchst
umstrittene Künstler, haben bereits den B. Z.-Kulturpreis bekommen. Jetzt
wird es Zeit, auch jungen Talenten mal eine Chance zu geben. Ich möchte die
nächste sein.“ Dabei sieht die Topflappenhäkelpuppe mir fest in die Augen
und wiederholt: „Ja, Sie haben ganz richtig verstanden, ich fordere den B.
Z.-Kulturpreis!“
16 Apr 2004
## AUTOREN
WOLFGANG MÜLLER
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