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# taz.de -- Der Homer der Konsole
> Die Game-Serie „The Legend of Zelda“ ist die „Ilias“ des Computerspie…
> sie hat die grundlegenden narrativen Strukturen des Mediums geschaffen.
> Ihrem Schöpfer Shigeru Miyamoto werden im Internet Schreine errichtet.
> Das „Zelda“-Sequel „The Wind Waker“ ist nun auch in Deutschland
> erschienen
von TILMAN BAUMGÄRTEL
Was? Mehr Leute als bei Britney Spears? Das Management des Virgin Megastore
in London hatte Bedenken gehabt, dass das ganze Event peinlich leer werden
würde. Doch bei der Autogrammstunde standen neulich zur allgemeinen
Überraschung mehr als 1.000 Fans geduldig an, um sich von einem
unauffälligen Japaner mit einem Beatles-Topfschnitt CD-ROMs und
Spielkonsolen signieren zu lassen.
Der Mann heißt Shigeru Miyamoto und gilt unter Computerspielfans als einer
der ersten Autoren des Genres, manchen gar als der „Spielberg unter den
Game-Designern“. Miyamotos Spiele haben aus der japanischen Spielzeugfirma
Nintendo einen international agierenden Entertainmentkonzern gemacht. Er
ist der Kopf hinter sechs der zehn bestverkauften Konsolenspiele aller
Zeiten.
Mehr als 300-Millionen-mal setzte Nintendo seine Spiele wie „Donkey Kong“
oder „Super Mario Brothers“ ab. Allein mit der „Super Mario“-Serie hat …
Unternehmen 7 Milliarden Dollar verdient. (Zum Vergleich: Die „Star
Wars“-Serie hat an der Kinokasse 3,5 Milliarden Dollar erlöst.) Deren Held
Mario, ein schnauzbärtiger Klempner, ist bei amerikanischen Schulkindern
inzwischen bekannter als Mickey Mouse. Und von Miyamoto stammt die
Spielserie „The Legend of Zelda“, die viele Fans als eine Art „Ilias“ d…
Computerspiels betrachten: eine epische Erzählung, die komplett eigene und
ihrem Medium entsprechende narrative Strukturen geschaffen hat.
Schon die erste „Legend of Zelda“, die 1986 erschien, war kein Spiel, das
an einem Abend durchgespielt war. Vorher endeten die meisten Konsolenspiele
nach einem Fehltritt – „Game Over“. „Zelda“ mit seinem Speichermechan…
erlaubte es, den Spieler auf der Suche nach den „verloren gegangenen
Bruchstücken der dreifachen Macht“ durch nicht enden wollende Wälder, Berge
und Kellerlabyrinthe eines imaginären Landes namens „Hyrule“ zu schicken,
ihn gegen Kreaturen mit Namen wie Tektiten und Wizzroben kämpfen zu lassen
und dabei Schwerter, Schlüssel und Schätze zu sammeln. Man kann sich wohl
nicht ausmalen, durch wie viele Kinderträume der kleine Held Link mit
seiner grünen Zipfelmütze und den spitzen Ohren gehuscht ist.
Der märchenhafte Plot der „Zelda“-Spiele steckt voll surrealem Aberwitz:
Man muss Tausendfüßler fangen, um mit ihnen magische Feuer zu löschen, oder
Licht über einen Spiegel umleiten, damit sich lila Schleimmonster zu Stein
verwandeln. Es ist ein Kinderspiel, ganz klar, aber „Zelda“ war auch der
Wegbereiter der heutigen Computerspiele für Erwachsene mit ihren
gigantischen Spielwelten – wie etwa das Mafiaspiel „Grand Theft Auto“ oder
der Krimi „Max Payne“.
„The Wind Waker“, der neueste Teil der inzwischen auf ein knappes Dutzend
angewachsenen Spielserie, macht schnell klar, warum die „Zelda“-Spiele ihre
Anhänger für Wochen, wenn nicht gar für Monate vor die Spielkonsole
zwingen, bis das letzte Rätsel gelöst und das allerletzte Labyrinth
durchmessen ist. Das Spiel, das jetzt in Deutschland erschienen ist, ist
ungeschlagen in dem Bemühen, seinen Usern wieder eine kindliche
Entdeckungsfreude zu vermitteln. Eifrig wie ein Sechsjähriger, der den
Garten oder den Dachboden seiner Eltern erforscht, wieselt man durch Burgen
und Tempel, über Inseln und Schiffe, sammelt Ferngläser und Rubine,
schwingt sich an der Deckenlampe von einer Galerie zur anderen oder
versteckt sich auf der Flucht aus der Gefägniszelle vor dem Wächter unter
einem Fass. „Zelda“ bietet eine Welt, in der man Abenteuer erleben kann,
aber es ist eine kontrollierbare Welt, in der man seine Initiation als
Weltenentdecker und Abenteurer erleben kann.
Wenn man den Geschichten aus der bunten Welt der Computerspielfolklore
glauben will, war es Shigeru Miyamotos Kindheit, die ihn und seine
Spielidee prägte. Mal soll es nach Auskunft der unzähligen Fan-Websites und
„Schreine“, die für ihn im Internet eingerichtet worden sind, der Keller im
Haus seiner Eltern gewesen sein, mal eine Höhle, die er auf den Streifzügen
im Wald entdeckte. In der Tat sind alle Spiele von Miyamoto labyrinthische
Welten, in denen man sich mit Geschick und List zurechtfinden muss.
Man könnte aber auch von einer Art Ethik sprechen, die „Zelda“ bestimmt. Zu
Beginn des Spiels wird der User nicht nur im Schwertkampf ausgebildet,
sondern bekommt – wie ein richtiger Samurai – auch eine Reihe von
Verhaltensregeln auf den Weg: Höre genau hin, überfordere die eigenen
Kräfte nicht, studiere aufmerksam deine Umgebung, und – vor allem – spiele
nicht die ganze Nacht durch!
Ein Spielerlebnis mit so hoher Effizienz zu vermitteln, dass man eigentlich
gar nicht zu spielen aufhören will, hat Miyamoto gelernt, als er sein
erstes eigenes Spiel gestaltete. „Donkey Kong“, bei dem Super-Mario seinen
ersten Auftritt hatte, war eine Kombination aus „Die Schöne und das Biest“,
„King Kong“ und „Popeye“: Der Held, der damals noch nicht mal einen Nam…
hatte, musste seine Geliebte aus den Fängen eines wütenden Gorillas
befreien, der ihm mit rollenden Fässern und anderen Hindernissen den Weg
ein Baugerüst hinauf versperrte. Mario wurde er erst später nach einem
Lagerarbeiter von Nintendo in New York getauft, der dem Computerhelden
ähnlich sah. Das Spiel selbst bekam seinen Titel durch einen
Übersetzungsfehler: Miyamoto, der kein Englisch spricht, wollte sein Spiel
eigentlich „Dummer Affe“ nennen, und „Donkey Kong“ war das, was die
Marketingabteilung von Nintendo in ihrem Wörterbuch fand.
Miyamoto hatte das Spiel als Notlösung entwickelt. Nintendo wollte Ende der
70er-Jahre mit einem Spiel namens „Radarscope“ den Erfolg von „Space
Invaders“ imitieren, aber das Game war ein Flop. Miyamoto sollte ein Spiel
entwickeln, das man auf den unverkauften Automaten spielen konnte, die das
Lager der Firma in Kioto füllten. Als er sein „Donkey Kong“ 1981 fertig
gestellt hatte, sollen sich einige Nintendo-Vertreter geweigert haben, das
Spiel anzubieten, weil es ihnen zu albern war. Doch „Donkey Kong“ war ein
sofortiger Welterfolg. Im Jahr seiner Veröffentlichung wurden in den USA
65.000 Automaten mit dem Spiel verkauft.
Auch wenn „Donkey Kong“ im Vergleich mit „Zelda“ anno 2003 wie ein simp…
Spielchen erscheint, gibt es hier bereits alle Kennzeichen späterer Spiele
Miyamotos. Alle seine Arbeiten kombinieren eine Suche nach einem schwer zu
erreichenden Ziel mit der Akkumulation von Erfahrung und oft auch von
materiellem Gut. Die Spielfigur verlässt das Spiel nie so, wie sie es
betreten hat, und im Grunde sind alle Spiele von Miyamoto gleichzeitig
Initiationsritus und Entwicklungsroman in seiner rudimentärsten Form.
Was die Suche von Zelda und Mario von der vieler anderer
Computerspielhelden unterscheidet, ist freilich der Sinn für absurde Komik.
Dass ein hüpfender Klempner von den Edelsteinen lebt, die er durch Sprünge
gegen in der Luft schwebende Treppen bekommt – das ist Kinderlogik, die
wohl nur wenige Erwachsene so perfekt emulieren können wie Miyamoto.
„The Legend of Zelda: The Wind Waker“, Nintendo (GameCube), 52 €
7 Jun 2003
## AUTOREN
TILMAN BAUMGÄRTEL
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