# taz.de -- Wenn der Teufel sechs ist, dann ist Gott sieben | |
> Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Die Pixies setzten sich mit ihrem | |
> unpeinlichen Auftritt in der Berliner Wuhlheide rockhistorisch ins Recht | |
Als die Pixies an diesem frischen, aber schönen Dienstagabend die Bühne der | |
Wuhlheide betreten, ist man zuerst erschreckt: Schon zu den langen, | |
brotlosen Zeiten seiner Solokarriere nicht der Schlankste, hat Black | |
Francis noch einmal enorm an Gewicht zugelegt und dazu überhaupt kein Haar | |
mehr auf dem Kopf. Er würde selbst bei den HipHop-Sumo-Ringern von Boo-Yaa | |
Tribe eine exzellente Figur machen. Auch seine Mitstreiter an Schlagzeug | |
und Gitarre glänzen mit einer Vollglatze, und nur Bassistin Kim Deal trägt | |
die Haare wie immer schulterlang und scheint sich nicht verändert zu haben. | |
Obwohl man mit den ersten Akkorden sofort wieder im musikalischen Universum | |
der Pixies ist und schon beim zweiten Stück „Debaser“ die Zeit praktisch | |
stillsteht, stellen sich also doch Fragen: Hat so ein Pixies-Konzert mit | |
ausschließlich altem Material nach zwölf Jahren Sendepause wirklich Sinn? | |
Ist das nicht, als gehe man zu den Stones? Muss man in seinen späten | |
Dreißigerjahren auf einem Konzert herumstehen, das vordergründig mit nichts | |
anderem als Erinnerung zu tun hat? Das also höchstens dazu dienen kann, den | |
Ereignissen von ehedem eine Bedeutung zu verleihen? Berlin Ende der | |
Achtzigerjahre, die Pixies und die Wiedervereinigung, die Frühzeit von | |
Grunge, das Ende von Indie, das Ende der Wimps etc. | |
Für die Band aber ist die Sache einfach: Sie verdient mit ihrer Reunion | |
richtig Geld. In den Staaten und in England verkaufte sie Hallen mit über | |
10.000 Plätzen in wenigen Stunden aus. Zusätzlich hat das Comeback wohl | |
therapeutischen Charakter. Gerade Black Francis soll es psychisch in | |
letzter Zeit nicht mehr ganz so gut gegangen sein, und auch Kim Deal kennt | |
sich mit Comebacks dieser Art aus, man denke nur an das schöne | |
Breeders-Album „Title TK“ aus dem Jahr 2002. Und, ganz wichtig, die oben | |
gestellten Fragen wie von selbst beantwortend: Die Pixies betreiben | |
rockhistorische Aufklärung. Sie setzen sich gewissermaßen selbst noch | |
einmal in ein Recht. Die Stones, klar, oder die Stooges, keine Frage. Aber | |
von 1988 bis 1991, da gab es nur die Pixies, da waren sie groß, kurz nach | |
den Sugarbabes, vor Nirvana, da müsste doch mehr als eine Fußnote im | |
Rocklexikon drin sein. | |
Das Konzert in der Wuhlheide, die eher halb leer als halb voll ist, | |
beschert dem Publikum vor allem die großen Momente und Songs aus der | |
„Frühzeit“, also von den beiden Alben „Surfer Rosa“ und „Doolittle�… | |
eine die erste große Duftmarke, mit rauen, heftigen Songs, die dauernd | |
auseinander zu brechen drohen, aber immer wieder durch ein hübsches | |
Melodiechen oder kleine Gimmicks wie spanische Einsprengsel und | |
Surf-Anekdoten zusammengehalten werden. Das andere, „Doolittle“, erschienen | |
1989, das Meisterwerk. Eine Mischung aus Posthardcore, Post-New-Wave und | |
Westcoastmelodien, eher britisch als amerikanisch. Pop für Rockisten und | |
Rock für Medizinstudenten, die die sinnfreien Lyrics begeistert mitsangen | |
und sich ein letztes Mal vor dem Beginn der klinischen Ausbildung | |
rebellisch geben wollten. | |
Spätestens bei „Monkey Gone To Heaven“, dem welthaltigsten Pixies-Stück | |
aller Zeiten, wird alles richtig gut, das zaubert die wohligsten, die | |
sentimentalsten Erinnerungsschauer auf die Rückenhaut: Mit den Pixies auf | |
der Suche nach der unwiderruflich verlorenen Zeit. Aber auch Songs wie | |
„Where Is My Mind“ , „Gigantic“ oder „Wave Of Mutilation“ funktioni… | |
immer noch, auch sie vermitteln noch immer diese Mischung aus Sturm und | |
Drang und Wahnsinn und Glück. Ein völlig unpeinlicher Auftritt, ein | |
vernünftig unfeierlicher, dessen ganze Größe erst ersichtlich sein wird, | |
sollte er einmalig bleiben. Diesen Gefallen aber dürften uns die Pixies | |
leider nicht tun. | |
GERRIT BARTELS | |
1 Jul 2004 | |
## AUTOREN | |
GERRIT BARTELS | |
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