# taz.de -- Entleerung der Geschichte | |
> Vier Fäuste für Ernst Thälmann: In Halle wurde eine der letzten | |
> Monumentalplastiken abgerissen – ohne weitere Diskussion. Entspricht die | |
> Beseitigung des Denkmals dem Umgang mit DDR-Kunst? | |
von DAVID JOHST | |
Am vergangenen Donnerstag hat die Stadt Halle damit begonnen, ein | |
umstrittenes Großdenkmal abzureißen. Damit verschwindet eine der letzten | |
Monumentalplastiken aus DDR-Zeiten. Überlegungen, das Denkmal zu erhalten | |
und an anderer Stelle wieder aufzubauen, waren erfolglos. | |
Kamera und Mikrofon im Anschlag, stehen bereits in der Frühe zahlreiche | |
Journalisten um die Absperrgitter herum. Alle warten gespannt auf den | |
Beginn der Abrissarbeiten. Schweres Gerät wird in Position gebracht. Es | |
sind die letzten Minuten in der 32-jährigen Geschichte des Monuments. 52 | |
Betonelemente, gefügt zu einer riesigen, 15 Meter hohen Skulptur. Vier | |
gewaltige, in den Himmel gestreckte Fäuste. Wuchtig, markant, bedrohlich, | |
gewalttätig – der Anblick des „Monuments der Arbeiterbewegung“, so der | |
offizielle Titel der Betonskulptur, löst beim Betrachter unterschiedliche | |
Gefühle aus. | |
Schaulustige und Journalisten werden aus dem eingezäunten Bereich verjagt – | |
niemand weiß so genau, wohin die gewaltigen Fäuste fallen werden. Im | |
nächsten Moment saust der Bohrhammer auf den Beton. Bereits nach wenigen | |
Minuten bewegt sich die erste Faust. Die einzelnen Teile liegen | |
offensichtlich nur noch leicht verfugt aufeinander. Der Zahn der Zeit hat | |
hier bereits am Beton genagt. Es dauert nicht lange, bis die erste Faust zu | |
Boden kracht – und dann geht es Meißelschlag auf Meißelschlag. | |
Vor zwei Jahren stimmte der Stadtrat für die Beseitigung. Hintergrund der | |
Entscheidung: die geplante Umgestaltung des Riebeckplatzes. Der Erhalt am | |
Standort hätte zu hohe Kosten verursacht, erklärt Stadtsprecherin Ria | |
Steppan. Zudem passten die Fäuste aus ästhetischer Sicht nicht zum künftig | |
neu gestalteten Riebeckplatz, ergänzt sie. Doch es gab von Anfang an auch | |
eine Alternative zum Abriss. Theoretisch wäre es möglich gewesen, die | |
Fäuste denkmalgerecht abzubauen, um sie anschließend einzulagern oder an | |
anderer Stelle wieder aufzubauen. | |
Die Stadt ließ sogar die Kosten abschätzen. Ergebnis der Berechnung: | |
mindestens eine viertel Million Euro für den denkmalgerechten Abbau. Eine | |
Summe, die selbst erklärte Abrissgegner nachdenklich stimmte. In der | |
Stadtkasse fehlen 50 Millionen Euro. Wer wollte da so viel Geld für ein | |
umstrittenes Denkmal ausgeben. Ungeklärt bleibt, wie die Stadtverwaltung | |
auf eine so hohe Summe gekommen ist, ohne über die originalen Baupläne des | |
Monuments zu verfügen, die zur Kostenabschätzung notwendig gewesen wären. | |
Zugleich verweigert die Stadt die Einsicht in die relevanten Unterlagen. | |
Dabei hatte ein unabhängiges Planungsbüro der Stadt vorgerechnet, dass ein | |
Abbau bereits für 32.000 Euro möglich sei. Der Firma war es gelungen, über | |
persönliche Kontakte Einsicht in die originalen Baupläne zu erhalten, die | |
sich nach wie vor im Privatbesitz von Siegbert Fliegel befinden, einem der | |
Urheber der Skulptur. Der Eindruck, dass die Schätzungen der Stadt einer | |
soliden Grundlage entbehren, lässt sich nicht von der Hand weisen. | |
Kritiker monieren darum vor allem die Art und Weise, in der hier über ein | |
Stück Stadtgeschichte entschieden wurde. Eine echte Diskussion habe nie | |
stattgefunden, befindet Uwe Köck, Referent für Stadtplanung und Mitglied | |
der PDS. Dabei hätten sich die Fäuste vielleicht wie kaum ein anderes | |
Monument dafür geeignet, über die Rolle von Denkmälern, über Kunst und | |
Politik, Symbolik und Ideologie zu diskutieren: Relikt einer überwundenen | |
Zeit oder Reliquie eines gescheiterten politischen Entwurfs, modernes | |
Kunstwerk oder in Beton erstarrte Ignoranz? Umstritten war das Denkmal der | |
Arbeiterbewegung bereits vor seiner Einweihung. Einigen verantwortlichen | |
Genossen missfiel der moderne Entwurf. Ursprünglich sollte am Riebeckplatz, | |
der damals in Thälmannplatz umbenannt worden war, eine monumentale | |
Thälmann-Statue errichtet werden. | |
Die Bildhauer Heinz Beberniss und Gerhard Lichtenfeld sowie der Architekt | |
Siegbert Fliegel waren sowohl für die Konzeption als auch für die Umsetzung | |
des Monumentes verantwortlich. Von den Traditionen des Bauhauses | |
beeinflusst, suchte das Kollektiv nach einer Alternative. Der Bezug zu | |
Ernst Thälmann sollte erhalten bleiben. Erste Skizzen zeigen eine | |
überdimensionale Arbeiterfaust, ein Jahr lang arbeiteten die Bildhauer am | |
Gesamtkonzept des Monuments. Aus der einen Faust war ein Bündel von Fäusten | |
geworden. Nicht unwahrscheinlich, dass es nur durch einen Trick gelang, die | |
zuständige Parteileitung zu überzeugen. Das Miniaturmodell der Fäuste wurde | |
jedenfalls erst in letzter Minute in das Modell zur Umgestaltung des | |
Thälmannplatzes geschmuggelt. Die Parteileitung bemerkte die Veränderung | |
nicht, akzeptierte das Modell und damit auch die Fäuste. | |
Am 6. Oktober 1970 wurde das Denkmal feierlich enthüllt. Die Fäuste mit | |
ihren ineinander verschobenen Ebenen und Kanten sollten die Niederlagen und | |
Siege der Arbeiterbewegung symbolisieren. Aber sie standen von Anfang an | |
auch für den Führungsanspruch der Partei. Die in den Sockel des Monuments | |
eingelassenen Jahreszahlen ließen daran keinen Zweifel. Was in der Lesart | |
der SED mit der Revolution von 1848 begann, fand seinen Abschluss in der | |
Annahme der sozialistischen Verfassung der DDR 1968. „Bei uns wurden die | |
Lehren aus der Geschichte gezogen“, hieß es in einer Rede anlässlich der | |
Einweihung der Skulptur. Das Monument spiegelt nicht zuletzt die | |
ideologische Vereinnahmung der Geschichte wider. | |
Und doch boten die Fäuste bis zum Schluss Interpretationsspielräume. So | |
wurde die Skulptur nach der Wende durch die Jahreszahlen 1953, 1989 und | |
1990 ergänzt. Für Siegbert Fliegel der Beweis, dass die Fäuste sich | |
unterschiedlich deuten lassen. Er habe sich immer, zuletzt auch bei der | |
Stadt, für eine Weitergestaltung des Denkmals eingesetzt, betont er. Für | |
solche Gedankenspiele ist es nun zu spät. Bereits nach einem halben Tag | |
erinnert am Riebeckplatz nur noch ein Trümmerhaufen an die Fäuste. Die | |
Stadt Halle hat ihr umstrittenstes Denkmal abgerissen – und damit ein Stück | |
Stadtgeschichte verloren. | |
30 Jul 2003 | |
## AUTOREN | |
DAVID JOHST | |
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