# taz.de -- „Nicht schießen, ich bin Bluter!“ | |
> Zur Sache, Werner: Ist es tatsächlich alles so bös geendet? Werner Enke | |
> setzt weiterhin auf Selfmade-Loser-Figuren – auch fast vierzig Jahre | |
> nachdem er mit Uschi Glas in „Zur Sache, Schätzchen“ Furore gemacht hat. | |
> Porträt eines ehemaligen Antistars | |
von JENNI ZYLKA | |
Das ist also der Mann mit den Daumenkinos. Der Tagedieb, Gammler, | |
Wortverdreher, der Politikveräppler, Charmeur und Fummler, der, nachdem | |
sein erster gemeinsamer Film mit Freundin und Regisseurin May Spils so ein | |
unglaublicher Erfolg geworden war, plötzlich vom geldknappen Wahlmünchner | |
Bohemien auf die sichere Seite wechseln konnte. | |
Und da sitzt er eigentlich immer noch. Werner Enke wartet im Foyer eines | |
Ku’damm-Hotels auf sein Interview, er ist rüstige 63, er trägt das Haar | |
noch immer bis zum Kinn, so wie es vor 37 Jahren für eine bestimmte Art | |
Establishment mal Provokation war, dazu Jeans, getönte Brille, Turnschuhe. | |
Er sieht nicht alt aus, seine Falten könnten Lachfalten sein, sein | |
Gesichtsausdruck deutet jedoch eher auf Sorgenfalten hin. | |
Dieses leicht amüsierte Sorgengesicht trug er auch in „Zur Sache, | |
Schätzchen“, dem Kinoknüller von 1966 (Filmband in Gold für Dialoge und | |
Nachwuchsdarsteller Enke), und im nicht weniger grandiosen Nachfolger | |
„Nicht fummeln, Liebling“. Er trug es auch in „Hau drauf, Kleiner!“ von | |
1973, was aber nur noch ein Bruchteil der „Schätzchen“- und „Liebling“… | |
wahrnahm, auch in „Wehe, wenn Schwarzenbeck kommt“ von 1978, der kaum mehr | |
als ein Zwinkern in der Filmgeschichte wurde, bis ganz ans andere Ende der | |
Fahnenstange: Enkes und Spils letzter Film „Mit mir nicht, du Knallkopf“ | |
von 1983 wurde drei Tage nach dem Start aus den Kinos genommen. | |
Seitdem war ziemliche Stille um Enke. Ende der Achtziger konnte man mal ein | |
kurzes Interview im Stern lesen, ein Foto war dabei: Enkes Lach- und | |
Sorgenfalten, dazu ein paar Sprüche. Vor immerhin schon fünf Jahren dann | |
die Info, Enke arbeite an einem Buch. Jetzt, 37 Jahre nach „Schätzchen“ und | |
seinem Erfolgspeak, ist es fertig: Es ist ein „Sprechmännchen“-Buch, so | |
nennt er es selbst. Die Protagonisten sind die Männchen aus jenem | |
Daumenkino, wegen dem Uschi Glas mit ihm (nur im Film) ins Bett hüpfte. | |
Die Geschichte ist ein Konglomerat aus all den Selfmade-Loser-Figuren, die | |
der gebürtige Göttinger Enke in den Jahren seiner Filmkarriere immer wieder | |
auf die Leinwand brachte, die ihm saßen wie ein zweiter Jeansanzug und | |
damit autobiografische Züge haben, sofern man das von Strichmänneken sagen | |
kann: Der schlaffe Haro kalauert sich müde und arbeitsunwillig durch den | |
Tag bis in die Stammkneipe, dann zu Freundin Susi und wieder zurück. | |
Ganz wie Enke, anscheinend, der natürlich immer noch mit Freundin Spils in | |
Schwabing, Stammkneipennähe, lebt. Wer die Filme kennt, wird im Buch | |
seitenweise Enke-Sprüche wiederfinden, von „Nicht schießen, ich bin | |
Bluter!“ bis zu „Ich hätte gern ein Wurstbrot, wo die Wurst so richtig | |
überlappt …“, zitierfähig portioniert, minimal illustriert durch die | |
reduzierten, klitzekleinen Männchen ohne Gesicht, in einen manchmal zwar | |
losen, aber eindeutigen Zusammenhang gebracht. Nur: Wofür hat er so lange | |
gebraucht? | |
Im Charlottenburger Café, in dem es auch „etwas Nudelartiges“ für ihn gib… | |
erzählt Enke von der Strichmännchengenese. „Die Idee gibt es seit 20 | |
Jahren“, sagt er, „und ich habe ja immer weiter gesammelt die letzten | |
Jahre, hab auf Halde immer weiter gearbeitet, hab mir ununterbrochen | |
Notizen für einen Film gemacht.“ Er schneidet eine Zigarette mit einer | |
kleinen Zange durch. Damit er erst mal nur die Hälfte pafft, denn er raucht | |
immer noch zu viel, so wie seine Charaktere im Film, so wie der schlaffe | |
Haro im Buch. Enke, der notorische Ticksammler. Tut er vielleicht seit 37 | |
Jahren nur so, als ob er ein Faulenzer sei, ist das einfach eine passende, | |
schützende und bewährte Masche? „Stimmt“, sagt Enke und guckt schräg kna… | |
an einem vorbei wie Martin/Charly in den Filmen, „wenn man da reinpiekt, | |
dann ist das sehr schnell durchlässig mit dem Nichtstun.“ | |
Nach dem fünften Filmversuch und dessen erstem richtigen Flop, nach 15 | |
Jahren unerwartetem Ruhm „gab’s für mich keine Filme mehr“. Er wollte | |
nämlich nur noch mit „der May“ arbeiten, wollte nicht, wie andere aus der | |
„Schätzchen“-Erfolgscrew (zum Beispiel Uschi Glas) in Fernsehserien, | |
Heimatfilmen mitmachen. Denn eigentlich ist Enke kein Schauspieler. Er hat | |
vor „Schätzchen“ mal kurz ein wenig Unterricht genommen, war aber nur in | |
Kurzfilmen, als Leiche in Schlöndorffs „Mord und Totschlag“ (mit Musik von | |
Brian Jones) zu sehen. „Ich hätte die Hauptrolle bekommen“, behauptet er | |
ohne Bedauern, „wenn ich einen Führerschein gehabt hätte.“ Bei May Spils | |
spielte er nicht, er agierte: als er selbst, der schlau-schlagfertige | |
Sprüchesprüher, apolitische Rumhänger und Nihilist, der er war. Und | |
fabrizierte damit einen Knaller ungeahnten Ausmaßes. | |
„Wir haben hart daran gearbeitet, wieder verschwunden zu sein“, sagt Enke | |
über diese Zeit mit halb grinsendem, halb gequältem Gesichtsausdruck. Es | |
hätte auch noch weitergehen können: Die Paramount hat sich beim zweiten | |
Film zur Zusammenarbeit angeboten, wollte den Film international | |
rausbringen, aber Enke kann sich nicht vorstellen, dass das Ganze auch auf | |
Englisch funktioniert. „Ich kann ohnehin nur Dialoge schreiben“, sagt er, | |
„ich habe mich immer mehr für Dialoge interessiert als für Prosa.“ | |
„Jetzt springen wir, das macht Ihnen doch nichts aus, oder?“, sagt er dann | |
und raucht die zweite Hälfte seiner Zigarette nach dem Nudelgericht. Enke, | |
über den es Fan-Homepages und Semesterarbeiten gibt, scheint sich wirklich | |
darüber zu freuen, dass noch jemand die Filme kennt, dass man sich für ihn | |
interessiert. Ein ehemaliger Antistar, der zwar freiwillig abgedankt hat, | |
aber den Schmeicheleffekt des Startums doch immer noch genießen kann. | |
Auf das bemerkenswert dämliche Frauenbild in den Enke/Spils-Filmen – den | |
wirklich einzigen Wermutstropfen – angesprochen, fährt er wieder die Lach- | |
und Grübelfalten auf. „Sie sehen, ich winde mich ein wenig“, sagt er, und | |
schiebt die Staffagefrauenrollen Uschi Glas und Gila von Weitershausen (in | |
„Nicht fummeln, Liebling“) auf die unterschiedlichen Charaktere, die man | |
gebraucht habe für die Geschichte. Es wirkt nicht so, als ob er sich | |
darüber schon einmal Gedanken gemacht hat. Dann springt er wieder. Von | |
seiner Leidenschaft Kino erzählt er – trotz ewigem Münchner Wahlexil – mit | |
einem immer noch leicht Göttinger Zungenschlag, „früher bin ich drei Mal am | |
Tach ins Kino gerannt, mit der Rentenkarte der Oma. Heute geh ich drei Mal | |
im Jahr …“ | |
Der junge deutsche Film „hat damals den Mist, der vorher war, weggefetzt“, | |
sagt er. Und „nach 15 Jahren waren May und ich die, die von jungen Leuten | |
weggefetzt werden mussten“, resümiert er, klingt dabei nicht sehr | |
resigniert, eher überlegt. Aber wenn er nicht resigniert ist, wieso kam in | |
den letzten Jahren dann so wenig? Wieso hat man das Gefühl, dass sich Enkes | |
Leben von 1982 bis 2003 wirklich mehr oder weniger auf eingetretenen | |
Schlangenlinien zwischen Stammkneipe und Schwabinger Zuhause abgespielt | |
hat? Enke bestätigt, auf seine ironisch-traurige Art. Er erzählt von einer | |
Menge Freunden, Wegbegleitern, die in der Stammkneipe hocken geblieben | |
sind, deren letztes Wort Schnaps war. Es sind einige Filmleute darunter. | |
Seinen Freundeskreis hat Enke fast ausschließlich aus seiner Vergangenheit | |
rekrutiert. Vielleicht ein wenig aus Misstrauen, vielleicht aus | |
Bequemlichkeit, vielleicht aus Notwendigkeit. Aber wenn man ihn dieser Tage | |
sieht – er war zum Bucherscheinen in ein paar Fernsehsendungen zu Gast, gab | |
Interviews, trat am Rande wieder in das Gesichtsfeld mancher alter und | |
neuer Enke/Spils-Fans –, dann wirkt er wie aus einer anderen Zeit. Hat kein | |
Handy, kann „so ein Ding“ kaum bedienen, guckt neue Filme lieber „zu Hause | |
– ich freue mich über die 30 Programme“. Am Ende des Interviews hat man | |
über das Leben gesprochen, über die Filmbranche, über Musik, Literatur, | |
Freunde und Laster. Aber eigentlich nur über 15 Jahre. | |
Werner Enke: „Es wird bös enden – Enkes Sprechmännchen“. Kunstmann Verl… | |
München 2003, 240 S., 14,90 € | |
6 Aug 2003 | |
## AUTOREN | |
JENNI ZYLKA | |
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