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# taz.de -- Die Zerstreuung im großen Ganzen
> Der Londoner Filmverleih Cinenova vertreibt experimentelle Filme von
> Frauen und lesbische Dramen aus der Frühzeit des Kinos und spielt eine
> herausragende Rolle in der feministischen Filmarbeit. Nun droht ihm durch
> das British Film Institute das Aus
von MADELEINE BERNSTORFF
Ein Filmverleih, der sich auf experimentelle und andere Film- und
Videoarbeiten von Frauen spezialisiert hat: Das ist einzigartig in Europa.
In der BRD gab es von 1978 bis 1980 den Chaos-Filmverleih von Hildegard
Westbeld, der auf rein kommerzieller Basis betrieben wurde. Assoziiert war
er mit der Initiative Frauen im Kino, die von 1977 bis 1980 im Cinema am
Berliner Walther-Schreiber-Platz Filme zeigte. In Holland existiert seit
1975 der zunächst subventionierte Frauen-Film-Verleih Cinemien, der seit
Anfang der 90er-Jahre unabhängige Produktionen von Männern und Frauen
verleiht und heute etwa den niederländischen Start von François Ozons
„Swimming Pool“ betreut. Und seit 1972 gibt es in den USA Women Make
Movies, die vor allem dank der Infrastruktur von Colleges und Unis
überleben können.
Der Londoner Verleih Cinenova entstand 1991, als sich das Circles-Kollektiv
und Cinema of Women zusammenschlossen. Circles, 1981 gegründet, geht auf
einen Konflikt zurück: Die Filmemacherin Lis Rhodes war die einzige Frau im
vorbereitenden Team der „Film as Film“-Ausstellung, die 1979 in der Hayward
Gallery in London stattfand. Sie holte zwei weitere Kolleginnen dazu, und
zusammen mit einer inoffiziellen Diskussionsgruppe arbeiteten sie an einer
Recherche der Geschichte von Regisseurinnen. Ihr Ansatz, die
Filmemacherinnen nicht nur als Vertreterinnen des abstrakten Films zu
präsentieren, sondern beispielsweise Dulacs Beitrag zur feministischen
Bewegung darzustellen, stieß auf Unverständnis beim Arts-Council-Komitee.
Als sich die Situation zuspitzte, zogen die Frauen ihre Rechercheergebnisse
zurück und ließen den ihnen zugedachten Galerieraum leer: Sie wollten nicht
zulassen, dass ihre Arbeit so gezeigt würde, als hätte es keine Kämpfe
gegeben.
Cinenova verleiht Filme und Videos, etwa 500 Filme von 350 Filmemacherinnen
und Künstlerinnen. Vor zwei Jahren wurden im Zuge der allgemeinen Kürzungen
im Independent-Bereich sämtliche Fördermittel gestrichen. Seitdem lebt
Cinenova von ehrenamtlicher Arbeit in einem winzigen Büro. Es gibt eine
Webseite, die wie ein kleines feministisches Filmarchiv funktioniert
([1][www.cinenova.org]). Bisher wurden Räume des British Film Institute
(BFI) als Kopienlager benutzt. Nun will das BFI dieses Archiv- und
Verleihmaterial nicht länger beherbergen.
Argumentiert wird damit, dass das Institut selbst Kürzungen unterworfen ist
und sich das Verschicken der Filme trotz einer von Cinenova bezahlten
Gebühr von 30 Pfund pro Film nicht leisten könne. Die Leiterin der
Abteilung Film und Video, Christine Whitehouse, behauptet, es gebe fast
keine Ausleihen. Ein Vorwurf, der sich schon durch die gar nicht so
niedrige Tantiemensumme widerlegen lässt, die an Cinenova gezahlt wurde.
Emma Hedditch, die zurzeit gemeinsam mit Melissa Castegnetto den Verleih
ehrenamtlich am Laufen hält, bezweifelt, dass die Abrechnungsabteilung und
die Führungsebene im BFI wirklich miteinander kommunizieren. Ob
Wirtschaftlichkeits-Evaluierungen in dieser subventionierten Behörde den
Hintergrund für die Aufkündigung bilden, darüber lässt sich nur
spekulieren. Das BFI fordert zudem die exklusiven Filmrechte für einige
herausragende Filme aus der Cinenova-Sammlung, die sich mit Hilfe
feministischer Filmarbeit im Kanon hochgehangelt haben: Es handelt sich um
Filme von Germaine Dulac und Maya Deren. Andere Filme sind nicht mehr
auffindbar.
Cinenova steht für vieles: für Positionen von Künstlerinnen wie Martha
Rosler, deren Videoband „Semiotics of the Kitchen“ Haushaltsgeräte in
Instrumente chaotischer Musik und zwischenmenschlicher Gewalttätigkeit
verwandelt, für den Ausdruck kultureller Differenz, wie er in den Arbeiten
von Pratihba Parmar verhandelt wird oder in Ruth Novaczeks „Tea Leaf“,
einem Punk-Super-8-Film aus dem Londoner East End aus lesbischer, jüdischer
Sicht. Cinenova steht auch für die Wiederaneignung vergessener
Filmgeschichte, von Lois Webers Sozialmelodram „The Blot“ (1921) zum
Beispiel oder Jacqueline Audrys zarter lesbischer Internatsgeschichte
„Olivia“ (1951). Die Selbstverständlichkeit des Umgangs mit sozialer
Differenz, die Unumstrittenheit sozialer Inklusion, die Unentbehrlichkeit
experimentellen filmischen Ausdrucks und aktivistischer Positionen sprechen
für einen autonomen Erhalt dieser Ressource namens Cinenova und gegen ihre
Zerstreuung und Auflösung im großen allgemeinen Ganzen.
Im Juni wurde der feministische Klassiker „Born in Flames“ von Lizzie
Borden im Londoner The Other Cinema gezeigt – einem gar nicht mehr so
anderen Kino, seit das neue Management von City Screen horrende
Arbeitsbedingungen diktiert. Schon während der Vorführung der sehr
angegriffenen Kopie, die mehrmals riss, entstand so etwas wie ein
kollektiver Wille für diesen Film. Nach der Vorführung stellten sich drei
Freiwillige aus dem Publikum zur Verfügung und lasen Statements der
Kinoangestellten zu Arbeitsbedingungen und Lohnpolitik vor. Es folgten
hitzige Diskussionen. Was dieser 80er-Jahre-Film an Empowerment und
widerständigen Strategien verhandelt, bezog sich so ganz konkret auf die
Arbeitssituation im Kino. Veranstaltet wurde diese Vorführung vom
Mary-Kelly-Projekt. Dahinter verbirgt sich eine Gruppe von Künstlerinnen
und Künstlern, die, wie sie es selbst beschreiben, „danach streben, die
politics of site and self (auf Deutsch klingt das so viel holpriger: die
Politik von Ort und Selbst), wie sie von der feministischen Künstlerin Mary
Kelly formuliert worden sind, vermittels radikaler Beschäftigung mit Kino
und Film zu artikulieren“. Jeder Aspekt einer Ausstellung und Vorführung
sei wichtig – auch der Ort und die Institution.
Die Gruppe ist angetreten, eine Reihe von Programmen zusammenzustellen, die
an spezifischen Orten gezeigt werden – und diese Filme stammen überwiegend
aus dem Verleihangebot von Cinenova.
22 Aug 2003
## LINKS
[1] http://www.cinenova.org
## AUTOREN
MADELEINE BERNSTORFF
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