| # taz.de -- Das schlimme Athletenpack | |
| > „Essen, trinken, schlafen, sich im Dreck wälzen“ – die alten Olympier | |
| > erfüllten nicht nur die Philosophen mit Abscheu | |
| VON MATTI LIESKE | |
| Nicht nur in den nächsten beiden Wochen in Athen wird der Sportbetrug | |
| überall mitlaufen, mitspringen, mitkämpfen, sondern schon bei den | |
| Olympischen Spielen des Altertums versuchten die Teilnehmer auf | |
| mannigfaltige Art, sich Vorteile zu verschaffen und den Gegner möglichst | |
| effektiv zu beschummeln. Der ehrwürdige Ethiker Epiktet führte im ersten | |
| Jahrhundert n. Chr. die schamlose Übervorteilung zwar nicht in seiner Liste | |
| jener Dinge, die ein Möchtegern-Olympiasieger zu beherzigen hatte, nähert | |
| sich der Sache aber immerhin an. „Du musst den Anweisungen gehorchen, den | |
| Regeln gemäß speisen, dich vom Nachtisch fernhalten, nach einem bestimmten | |
| Plan zu bestimmten Zeiten trainieren; du darfst kein kaltes Wasser trinken, | |
| und erst recht nicht nach Belieben Wein. Du musst dich deinem Trainer | |
| ausliefern wie einem Arzt … Und nach alledem wird es trotzdem vorkommen, | |
| dass du verlierst.“ | |
| Um genau dieses Missgeschick zu vermeiden, war vielen Athleten jedes Mittel | |
| recht. Sie mussten schließlich große Mühen auf sich nehmen, um in Olympia | |
| antreten zu können. Die meisten zahlten ihre Reise und die anfallenden | |
| Kosten selbst, es sei denn, sie waren schon berühmte Athleten und wurden | |
| von der Gemeinde Syrakus, so etwas wie das Real Madrid jener Tage, | |
| angeworben, um den Ruhm der sportverrückten Stadt zu mehren. Medaillen oder | |
| gar Geldpreise für zweite oder dritte Plätze gab es nicht, es musste schon | |
| der Sieg her. Wurde dieser errungen, errichtete man den Olympiahelden in | |
| ihrer Heimat Denkmäler (die auf der Stelle umgestürzt wurden, sobald sie | |
| nach Syrakus gingen), man gewährte ihnen lebenslange Renten, verehrte ihnen | |
| Häuser, Frauen oder üppige Geldpreise. Manchmal gab es auch Naturalien wie | |
| zum Beispiel die hundert Amphoren Olivenöl, die der Sprintsieger bei den | |
| Panathenischen Spielen erhielt, und deren Wert der Historiker Donald G. | |
| Kyle mit 67.000 Dollar veranschlagt. Manchmal rettete sportliche Größe | |
| sogar Leib und Leben, zum Beispiel dem Thebaner Dionysiodoros, den | |
| Alexander der Große nach der Schlacht von Issos wegen seiner Verdienste als | |
| Olympiasieger freiließ. Verlierer hingegen hatten nichts zu lachen. „Sie | |
| schlichen sich durch kleine Gassen in ihr Dorf“, vermerkte der Dichter | |
| Pindar. | |
| Die Mittel, dem Sieg ein wenig nachzuhelfen, waren vielfältig. Ziemlich | |
| riskant gestaltete sich die simple Taktik der Bestechung. Wer dabei | |
| erwischt wurde, musste dem Zeus für teures Geld eine Statue stiften, die an | |
| der Straße zum Olympiastadion als Mahnung aufgestellt wurde. Laut Pausanias | |
| wurden die ersten dieser „Zanes“ im 4. Jahrhundert v. Chr. errichtet und | |
| trugen Inschriften wie: „Ein Olympiasieg sollte nicht durch Geld, sondern | |
| durch die Schnelligkeit der Füße oder die Kraft des Körpers errungen | |
| werden.“ | |
| Auch das Schummeln im Wettkampf selbst war nicht unbedingt ratsam. Für | |
| einen Fehlstart gab es Hiebe mit der Peitsche – eine Methode, die manch ein | |
| Kampfrichter bei den letzten Weltmeisterschaften in Paris auch sehr gern | |
| gegen den disqualifikationsverweigernden Sprinter Jon Drummond angewandt | |
| hätte. Auch wer beim Ringkampf dem Gegner etwa böswillig den Daumen brach, | |
| bekam vom Ringrichter kräftig eins übergebraten. | |
| Weniger auffällig war da schon das Bestellen eines Fluches bei einem | |
| Hexenmeister oder der Versuch, die Götter auf seine Seite zu ziehen. Funde | |
| zahlreicher kleiner Zeusstatuetten am Ort der antiken Arenen, am Vorabend | |
| des Wettkampfes im Boden der Arena vergraben, zeugen von dieser | |
| Vorgehensweise. | |
| Vor allem aber durch die richtige Ernährung, und zwar nicht nur im Sinne | |
| des Nachtischverächters Epiktet, versuchten die Athleten, das Schicksal zu | |
| ihren Gunsten zu wenden. Die Unterscheidung von legalen und illegalen | |
| Ingredienzen gab es logischerweise nicht, da Letztere ja kaum nachweisbar | |
| gewesen wären. Ein antikes Dopinglabor zumindest wurde noch nicht | |
| ausgegraben. Philostratos berichtet schon um 480 v. Chr. von pflanzlichen | |
| Tränken und Tinkturen, die der Steigerung von Kondition und Motivation | |
| dienten. Schließlich wussten bereits die Berserker aus der nordischen | |
| Mythologie, wie man mittels eines bestimmten Pilzes die Kampfkraft ins | |
| Unermessliche steigert. In einem waren sich die Athleten der verschiedenen | |
| Weltgegenden sowieso einig: Hauptsache, gut gegessen. | |
| Die Spartaner etwa sorgten nicht nur mit ihrer berüchtigten Blutsuppe für | |
| Furore, die sie dem Nachwuchs zwecks Förderung der Kriegslust | |
| eintrichterten, sondern kreierten auch eine olympische Ernährungsmode, die | |
| ein paar Jahre als Nonplusultra des siegbringenden Schmausens galt: Käse, | |
| Feigen, Brot – eine Diät, mit der es ein gewisser Charmides | |
| unverständlicherweise geschafft hatte, im 7. Jahrhundert vor Christus | |
| olympischen Lorbeer zu erlaufen. Andere schworen auf den Verzehr von | |
| Stierhoden, weil sie glaubten, die Kraft des robusten Hornviehs würde dann | |
| auf sie übergehen. Die meisten, vor allem Ringer, Werfer und Gewichtheber, | |
| schworen jedoch auf eine Kost, die sich nicht von dem unterscheidet, was | |
| die Ausüber der betreffenden Disziplinen heute in sich hineinstopfen: | |
| bergeweise Fleisch. Die alten Olympier fraßen so maßlos, das es vor allem | |
| die Philosophen mit Abscheu erfüllte. Am liebsten vertilgten sie Unmengen | |
| von Schweinefleisch, nach Ansicht des damals überaus renommierten Arztes | |
| Galenus lebten sie auch entsprechend: „Essen, trinken, schlafen, sich im | |
| Dreck wälzen.“ Ein Prachtexemplar dieser Gattung war der Ringer Milon aus | |
| Kroton, der mehr Olympiasiege zusammenbrachte als Sokrates’ Schüler. Einmal | |
| siegte er sogar kampflos, weil es ein Gegner angesichts der | |
| sonnenverdunkelnden Statur des Favoriten vorzog, gar nicht erst anzutreten. | |
| Milon, so heißt es, konnte einen Stier mit einem Fausthieb töten – und | |
| machte von dieser Fertigkeit auch ausgiebigen Gebrauch, wenn ihn der Hunger | |
| packte. Pro Tag vertilgte er zehn Pfund Fleisch, zehn Pfund Brot und trank | |
| zehn Liter Wein – nach dem Wettkampf, sollte man denken, aber wer weiß. Die | |
| Körpermasse, die Milon unzweifelhaft sein Eigen nannte, schien seine | |
| Chancen beim anderen Geschlecht keinesfalls geschmälert zu haben, ehelichte | |
| er doch die Tochter des Mathematikers Pythagoras. Trotzdem nahm der wohl | |
| größte aller antiken olympischen Helden kein gutes Ende. Als sein Stern zu | |
| sinken begann, sein Fett zu schwinden, kam er damit gar nicht klar, versank | |
| in Selbstmitleid, trank vermutlich noch mehr Liter Wein und starb | |
| schließlich einen unschönen Tod. Er, der so viele Kontrahenten in den Staub | |
| und mutmaßlich auch in den Hades befördert hatte, wurde erschlagen. Zu | |
| allem Überfluss musste sich Milon noch Jahrhunderte später Vorhaltungen vom | |
| römischen Miesepeter Cicero machen lassen: „Nicht um deiner selbst willen | |
| wurdest du berühmt, nur wegen deiner Kraft.“ | |
| Platon legt Zeugnis davon ab, wie sehr sich Sokrates um die Gesundheit der | |
| mittels brutalen Trainings und fragwürdiger Ernährung für den Sport | |
| gezüchteten Athleten sorgte. „Am Ende werden sie ihre Körper völlig | |
| verdorben haben“, warnte der weise Athener und bewies damit, dass er heute | |
| einen ausgezeichneten Vorsitzenden jedweder Antidopingkommission abgeben | |
| würde. Aristoteles wiederum, Erzieher des großen Alexander, warnte vor dem | |
| frühzeitigen Verheizen junger Talente, scheint damit zu seinem | |
| Musterschüler aber nicht ganz durchgedrungen zu sein. Allen gemeinsam ist | |
| die Verdammung skrupelloser Trainer, welche die ihnen anvertrauten | |
| Jünglinge zu Höchstleistungen trieben, ohne sich im mindesten darum zu | |
| kümmern, welchen dauerhaften Schaden ihre Gesundheit nehmen könnte. | |
| Am rigorosesten in seiner Verdammung der Sportlerzunft war der | |
| philosophierende Poet Xenophanes: „Es gibt zahllose Übel in Griechenland, | |
| aber nichts ist schlimmer als das Athletenpack.“ Was für ein Glück, dass er | |
| sich schon vor rund 2.500 Jahren von dieser Welt verabschiedet hat und ihm | |
| so erspart bleibt, was sich die nächsten zwei Wochen in Athen abspielen | |
| wird. | |
| 13 Aug 2004 | |
| ## AUTOREN | |
| MATTI LIESKE | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |