# taz.de -- „Brot ist Brei zum Mitnehmen“ | |
> Elisabeth Meyer-Renschhausen | |
„Der Streit um den heißen Brei“ heißt ihr jüngstes Buch. Es ist ein | |
Plädoyer für die Wiederentdeckung eines verkannten Grundnahrungsmittels. | |
Die habilitierte Soziologin, die an Universitäten in Berlin und Österreich | |
lehrt, ist eine Querdenkerin. Ihr Themenfeld: soziale Bewegungen, | |
Sozialanthropologie der Ernährung und Agrarsoziologie. Politisiert durch | |
die 68er und die Frauenbewegung, kam sie nach Berlin, um mit anderen Frauen | |
durch die Kampagne „Lohn für Hausarbeit“ zu provozieren. Das wurde damals | |
vom Mainstream-Feminismus à la Alice Schwarzer mal als links-, mal als | |
rechtsabweichlerisch verfemt. Später war sie in Bürgerinitiativen aktiv, | |
engagiert sich heute in der innerstädtischen Garten-Bewegung und forscht zu | |
Kleinstlandwirtschaften in Osteuropa | |
von WALTRAUD SCHWAB | |
taz: Frau Meyer-Renschhausen, Sie erforschen den Brei. Im wörtlichen oder | |
im übertragenen Sinn? | |
Elisabeth Meyer-Renschhausen: Ich forsche über den Brei als | |
Grundnahrungsmittel. Bei den Bemba in Simbabwe ist Brei, genauer: | |
Hirsebrei, und Ernährung dasselbe Wort. Für sie war der Brei das | |
Lebensmittel schlechthin. Ich forsche aber nicht nur über den profanen, | |
sondern auch über den heiligen Brei. Die Göttergabe, Götterspeise. | |
Wahrscheinlich hat Luther einen Übersetzungsfehler gemacht. Es geht in der | |
Bibel nicht nur um das heilige Brot, sondern auch um den heiligen Brei, das | |
heilige Korn der Ackerbauern. | |
Klingt alles ziemlich nostalgisch. Welche wissenschaftliche Relevanz hat | |
Brei heute? | |
Nostalgisch? Ich würde sagen eher traditionalistisch. Aber seit dem | |
Faschismus darf man in der Bundesrepublik von Acker und Furche ja kaum mehr | |
sprechen. Die ganze Alltagsforschung und die Debatten um traditionelles | |
Know-how kommen erst wieder über Umwege aus Frankreich und den USA zu uns | |
zurück. | |
Und was heißt das heute? | |
In ostasiatischen und afrikanischen Staaten beispielsweise wissen die | |
Frauen noch, dass ihre Breie aus gestampftem Getreide die beste | |
Ernährungsform sind. Sobald die Afrikaner sich in den Großstädten aber auf | |
Weißbrot, McDonald’s und Coca-Cola umstellen, beginnen Karies, Diabetes, | |
Fettsucht, Krebs, Verkalkung und Herzinfarkt. | |
Konkreter auf uns bezogen: Sollen wir jetzt alle wieder Brei essen? | |
Warum nicht? Wir sind gut ernährt, wenn wir viel vollwertiges Getreide | |
essen. Das sollte das Zentrum einer vegetarischen Ernährung sein. Früher | |
war der Getreidebrei auch bei uns das Grundnahrungsmittel. Auf | |
Breughel-Bildern wird Brei zur Hochzeit serviert. In der Lüneburger Heide | |
waren bis 1920 bei ärmeren Leuten Breie aus Buchweizen noch üblich. Wir | |
essen heute den Brei in Brotform. Brot ist vorgekochter, gebackener Brei, | |
der sich länger hält. Brot ist uralt, aber im Grunde das erste Fastfood. | |
Hat das Brot dem Brei bei uns den Garaus gemacht? | |
Brei wurde mit dem Aufkommen der französischen Küche des Adels unfein. Er | |
galt als Speise der Bauern. Die feine Küche wurde nach der Revolution auch | |
von den bürgerlichen Schichten übernommen. Das Fleisch trat in den | |
Mittelpunkt, Brei galt als primitiv. Mit der Verstädterung und der Zunahme | |
von Arbeit außer Haus setzt sich das Brot durch. Brot kann man mitnehmen. | |
Dann kam das Weißbrot in Mode. Die Mechanisierung der Brotherstellung | |
forcierte diesen Trend. Das ernährungsphysiologisch Wertvolle des Breis aus | |
gestampftem Getreide ging verloren. | |
Widerlegt der englische Porridge diese These nicht? | |
Essen ist eine symbolische Handlung. Mit der Übernahme der fürstlichen | |
Gewohnheiten zeigt das Bürgertum, dass es den Adligen ebenbürtig ist. Indem | |
die Ärmeren diese Gewohnheiten übernehmen, versuchen sie ebenfalls, sich in | |
einen höheren Stand zu heben. Damit werden die bäuerlichen Essgewohnheiten | |
immer mehr zur Ausnahme. Nur in England hat sich der Haferbrei gehalten, | |
was der Soziologe Werner Sombart in seinem Buch „Liebe, Luxus und | |
Kapitalismus“ auf den früher einsetzenden Demokratisierungsprozess in | |
England zurückführte, der zu einer Art bürgerlichen Küche führte, die nicht | |
nur die adligen, sondern auch die ländlichen Sitten beibehielt. | |
Was ging mit dem Brei verloren? | |
Die alte Selbstverständlichkeit, Essen und dessen Zubereitung als zentrale | |
Aufgabe im Leben zu betrachten, sich beim Essen mit anderen zu treffen, | |
dafür sogar die Arbeit zu unterbrechen. Verloren ist auch das Aroma und die | |
spezifische Süße, die die alten Breie noch hatten, vor allem wenn das | |
Getreide nicht gemahlen, sondern gestampft wird, was sehr zeitintensiv ist. | |
Brei ist keine schnöde Ernährungsform. | |
Heißt das: Wenn Leute mehr Brei und weniger Fleisch essen würden, stünde | |
die Welt besser da? | |
Klar. Das ist uralt, das wissen wir schon ewig, Alexander Humboldt wusste | |
das schon. Die Nutztiere fressen so wahnsinnig viel Getreide, das den | |
Menschen dann nicht mehr zur Verfügung steht. Für ein Kilo Putenfleisch | |
braucht man 12 Kilo Körner. Davon abgesehen, viele Völker glauben: Der | |
Mensch ist, was er isst. | |
Das klingt so, als gäbe es einen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und | |
Militarismus. | |
Auch eine uralte These. Die finden wir bei Hippokrates, bei Hildegard von | |
Bingen, bei den asiatischen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit. Ich | |
würde nicht so weit gehen zu sagen, dass ein Schweinschnitzel-Esser ein | |
Mörder ist. Ich weiß jedoch, dass die nomadischen Völker, die mit ihren | |
Tieren umherziehen, eher Waffen bei sich tragen als sesshafte Landwirte. | |
Die Amerikaner mit ihren Schusswaffen sind wahrscheinlich die ersten Bauern | |
mit Waffen. | |
Meinen Sie? | |
Darauf müssen wir jetzt nicht rumhacken. Meines Wissens hat das noch | |
niemand untersucht. Warum eigentlich nicht? Aber die Kalifornierin Frances | |
Moore Lappé hat schon vor 30 Jahren in ihrem Buch „Diet for a small planet“ | |
vorgestellt, dass es keinen Hunger gäbe, wenn Getreide nicht an Vieh | |
verfüttert würde. Das ist heute noch aktuell. Sie plädiert dafür, dass | |
Leute sich stärker vegetarisch ernähren, damit die Reichen den Armen nicht | |
die Haare vom Kopf fressen. Mir sind Menschen lieber, die vegetarisch | |
essen, weil sie durch ihr Essverhalten zeigen, dass sie weltbürgerliches | |
Verständnis haben. Vielleicht weist solches Essverhalten auf eine neue Form | |
von angewandter Ethik hin. | |
Berlin war schon früher eine Hochburg der Vegetarierbewegung. Wie erklärt | |
man das? | |
Durch die schnelle Verstädterung Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Berlin | |
eine Vielzahl von sozialen Problemen. Deshalb entwickelten sich hier im | |
Gegenzug auch die sozialen Bewegungen stark. Arbeiter-, Frauen-, | |
Lebensreform-, Jugendbewegung. Die Lebensreformer nahmen aus Kritik am | |
selbstgefälligen Protzverhalten des Bürgertums auch deren | |
Ernährungsgewohnheiten unter die Lupe. Anfang des letzten Jahrhunderts gab | |
es in Berlin 23 vegetarische Restaurants. | |
Ihre Großeltern sollen zum eher protzenden Bürgertum gehört haben. | |
Die Meyers auf gar keinen Fall, aber ein Großvater, der mutterlose | |
Renschhausen, wollte Karriere machen. Wollte Offizier werden. Deshalb | |
musste meine Großmutter diese standesgemäßen Abendgesellschaften mit ihren | |
acht- bis zwölfgängigen Menüs gegeben. Eine ziemliche Quälerei für sie, | |
weil ihr Mann dafür gar nicht genug verdiente. | |
Ist der Streit um den heißen Brei demnach auch eine Machtfrage zwischen | |
Mann und Frau? | |
Selbstverständlich sind die Frauen, selbst die gutbürgerlichen, viel früher | |
zur Lebensreformbewegung übergelaufen. Meine Großmütter auch. Abschied von | |
der feinen französischen Küche heißt Abschied von der Küchenfron. Die | |
Kocherei war zeitraubend und obendrein nicht sonderlich angesehen. Vor der | |
Französischen Revolution wurde die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – | |
Mann im gesellschaftlichen Produktionsprozess, Frau im privaten | |
Reproduktionsprozess – noch positiv gedacht. Mit der Etablierung der | |
Nationalstaaten und ihrem Steuersystem wird der häusliche Bereich immer | |
mehr aus dem öffentlichen Diskurs ausgeblendet und systematisch | |
unterbewertet. | |
Daher Ihr Engagement für Lohn für Hausarbeit in den 70er-Jahren in Berlin? | |
Natürlich. Wir wollten auf die Existenz der weiblichen Lebenswelt | |
hinweisen. Wahrgenommen wird sie doch nur, wenn etwas schief läuft. Wenn | |
die Kinder auffällig werden, dann haben die Mütter sie schlecht erzogen. | |
Wenn die Leute zu dick werden und die Krankenkassen um ihre Einnahmen | |
fürchten, dann tritt die Arbeit der Frauen am Herd wieder in den Fokus. Die | |
Bedingungen, unter denen die Frauen die Arbeit leisten, interessiert jedoch | |
nicht. Hausarbeit, besser bedacht, führt uns an den Grund der ökologischen | |
Probleme: Allergie, psychische Gesundheit, Suchtgesellschaft. | |
Ernährung ist ein klassisches Frauenthema, aber keines, dem sich die | |
Frauenbewegung, der Sie sich zugehörig fühlen, letztlich sonderlich | |
verpflichtet fühlte. | |
Das stimmt. Mir wurde immer vorgeworfen, ich wolle die Frauen zurück an den | |
Herd schicken. | |
Warum? | |
Da war die Angst der Feministinnen, wieder in die Kinder-Küche-Kirchen-Ecke | |
geschoben zu werden, wenn sie sich damit befassen. | |
Heute sind Sie eine Verfechterin von Kleinstgärten und der innerstädtischen | |
Gartenbewegung. Ihr großes Vorbild: die Community-Gärten in New York, die | |
auf brachliegenden Flächen in der Stadt entstehen. Was ist daran besonders? | |
Das ist Biogemüseanbau in der Großstadt und gemeinschaftliche Selbsthilfe | |
der ärmeren Leute. Im besten Fall werden sie durch ihren Community-Garten | |
aktive Bürgerinnen und Bürger und kommen von den Kontakten her aus dem | |
Ghetto raus. Das liegt natürlich auch daran, dass man diese Gärten ständig | |
verteidigen muss. Die Gärten geben Arbeitslosen, Rentnern und Kindern einen | |
sozialen Zusammenhalt. Die Gärten sind ein öffentlicher Ort. In den Gärten | |
werden Zusammenhänge reflektiert: Lebensmittel und Umwelt, Kaufverhalten | |
und Essverhalten, Ernährungs- und Umweltprobleme. | |
Wollen Sie in Berlin auch solche grünen Nischen durchsetzen? | |
Ich sage, man muss aus der Krise eine Chance machen. Berlin ist ja ein | |
Entwicklungsland geworden. Kein Industriestandort ist die Stadt mehr und | |
als Forschungs- und Wissenschaftsstandort wird sie gerade abgewickelt. Die | |
arme Hauptstadt ernährt sich mittlerweile wie jedes brandenburgische Dorf, | |
wie jedes Entwicklungsland vom Tourismus. In Köpenick wurde diesen Sommer | |
der erste Community-Garten auf einem Kirchengelände initiiert. Auch die | |
Brachflächen auf dem Gleisdreieck beispielsweise müssten zu internationalen | |
Gärten werden, um den Leuten, die sich bald keine Fahrkarte in den | |
Grunewald mehr leisten können, Entlastung, Schönheit, Gemeinschaft und eine | |
Aufgabe zu geben. | |
Wird es auch eine Renaissance des Breis geben? | |
Ja, in dem Augenblick, wo wir kein Geld mehr für industriell vorgefertiges | |
Essen oder kein Geld für die Zahnarztrechnung mehr haben. Die Renaissance | |
der Suppe weist schon in diese Richtung. In unserem Wort „Gemüse“ steckt | |
immerhin auch das „Mus“. | |
20 Oct 2003 | |
## AUTOREN | |
WALTRAUD SCHWAB | |
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