# taz.de -- Armes Theater | |
> Das Theater als Forschungsanstalt: Mit einem obskuren Gastspiel der | |
> berühmten New Yorker Wooster Group beginnt die neue Spielzeit im HAU | |
VON KATRIN BETTINA MÜLLER | |
Schnee fällt auf die Straßen, langsam bewegt sich die Kamera. Das ist | |
sicher Winter in Polen, denkt man bei diesen Filmbildern, denn eben noch | |
erzählte die New Yorker Wooster Group von ihrer Reise nach Polen auf den | |
Spuren von Jerzy Grotowski. Aber nein, das ist doch eher Winter in New | |
York. Viel zu erkennen ist nicht, und so hat man in dieser verschneiten | |
Denkpause jede Menge Zeit zu grübeln, was uns diese Expedition zu dem | |
legendären Theatermacher aus Polen eigentlich sagen will. | |
Die Wooster Group behauptet auf der Bühne im HAU 2, es selbst nicht so | |
genau zu wissen. Am Ende bleibt die Recherche eine obskure Obsession, | |
deutet Sheena See an und stürzt sich darauf, den Parkettfußboden des | |
Original-Grotowski-Studios in Breslau in einer Frottage abzureiben. Es | |
könnte auch alles nur ein Fake sein. Schließlich sehen die polnischen | |
Mimen, die in den schwarz-weißen Filmausschnitten so ekstatisch | |
deklamieren, mit extremer Mimik und in gespannten Körperpositionen, den | |
amerikanischen Schauspielern, die dies vor dem Monitor nachahmen, verdammt | |
ähnlich. | |
Das Forschungsunternehmen gleicht einer Folge von kryptischen Ritualen, und | |
man ist sich nie sicher, ob dies nun ein Effekt der komplizierten | |
Materiallage ist oder schon Ergebnis der Erarbeitung von | |
Grotowksi-Methoden. Wer Grotoswki war, verdunkelt sich eigentlich | |
zunehmend; er wird fremder, je tiefer die Reisegruppe nach dem | |
Authentischen bohrt. Eine Kritikerin, die ob der Unsinnigkeit, Grotowskis | |
Aufführungen nachspielen zu wollen, in schier fassungsloses Schweigen | |
verfällt, ist übrigens auch schon Teil der Performance. | |
Der zweite Teil des Abends, „Poor Theater“, der sich mit dem Choreografen | |
William Forsythe beschäftigt, bringt sein Material wesentlich plastischer | |
auf die Bühne. Forsythe, von Scott Shepherd zart persifliert, erklärt das | |
Entstehen von choreografischem Material. Auch er wird als Legende | |
vorgeführt, die kurz vor ihrer Heiligsprechung so kryptisch sein kann, wie | |
sie will – einmal zum Genie erklärt, ist das System bereit, jede Abweichung | |
zu schlucken. | |
Das Theater als Forschungsanstalt ist ein wenig, nun ja, langweilig. Später | |
wundert man sich allerdings, wie sich das zerfaserte Treiben hinterher zur | |
Erzählung rundet. Das ist sicher einer der Gründe, warum es dennoch Kult | |
geworden ist, das ständige Abhandenkommen des Sinns bei der Kunstproduktion | |
auszustellen. Die Wooster Group, selbst seit zwei Jahrzehnten ein Star der | |
New Yorker Performance-Szene, ironisiert in „Poor Theater“ (Regie: | |
Elisabeth Le Compte) nicht zuletzt den eigenen Anspruch. | |
Mit „Poor Theater“ begann die neue Spielzeit am HAU-Komplex, und das passt. | |
Denn erstens gehört die Wooster Group zu jenen Gaststars, die auch schon am | |
Hebbeltheater unter Nele Hertling eingeladen waren und immer ein Publikum | |
fanden. Zweitens passt das Stück hervorragend zu den Ansagen von Matthias | |
Lilienthal, offene Konstruktionen und das Zuschauen beim Scheitern | |
interessanter zu finden als gut abgehangene Theaterware. Drittens beweist | |
„Poor Theater“, dass sich der Versuch, das Theater immer wieder neu zu | |
erfinden, und eine lange Erfolgsgeschichte nicht ausschließen. | |
„Poor Theater“ war aber auch der Auftakt des Programms American Tragedy, zu | |
dem das HAU noch Stücke von der eine Generation jüngeren Big Art Group, von | |
Lindy Annis und Rimini Protokoll eingeladen hat, um den Kontext von | |
Verunsicherung und Selbstbehauptung in der amerikanischen Identität | |
auszuleuchten. Man bringt die Stichworte noch nicht recht zusammen, den | |
Countdown für den Präsidenten-Wahlkampf und die ausschweifenden | |
Suchbewegungen der Kunst. Nur das mit der Verunsicherung, das klappt schon | |
hervorragend. | |
Im HAU 2, bis 10. Oktober, 20 Uhr | |
7 Oct 2004 | |
## AUTOREN | |
KATRIN BETTINA MÜLLER | |
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