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Ich gehöre zu der bedrohten Minderheit, die noch Ansichtskarten verschickt. | |
Im Zeitalter der E-Mail und des Mobiltelefons ist das selten geworden. | |
Früher musste man auf einer Ansichtskarte, die man aus dem Urlaub in | |
Oberbayern schickte, sein Hotelzimmer mit einem kleinen Kreuz markieren, | |
damit die Daheimgebliebenen sich vorstellen konnten, wie man wohnte. Heute | |
macht man einfach mit dem Handy ein Foto vom Zimmer und schickt es per SMS. | |
Aber will man solche Nachrichten überhaupt empfangen? Ich bekam neulich | |
gegen vier Uhr morgens eine Foto-SMS von einer Verwandten, die mit ihrem | |
Mann auf Mallorca Urlaub machte. Der Gatte hatte sich offenbar so | |
betrunken, dass er im Wirtshaus in die Sangria-Schale kotzte, was | |
fotografisch dokumentiert wurde. An Schlaf war für mich danach nicht mehr | |
zu denken. Ich hatte das Gefühl, mein Handy ströme den Geruch von | |
Erbrochenem aus. | |
Hätten sie stattdessen in der Nacht eine Ansichtskarte geschrieben und am | |
nächsten Morgen festgestellt, dass sie mit Sangria und Mageninhalt | |
verunstaltet war, hätten sie vom Absenden dieser Scheußlichkeit vielleicht | |
Abstand genommen. Eine SMS hingegen ist endgültig, mit einem Knopfdruck ist | |
der Ruf auf unabsehbare Zeit ruiniert. Deshalb schreibe ich lieber Karten. | |
Was der irische Markt zu bieten hat, lässt die Absender jedoch auch in | |
keinem günstigen Licht erscheinen. Welches Schicksal, so fragt sich der | |
Empfänger, hat den Kartenschreiber ins Land der garstigen Gartenzwerge, der | |
Leprechauns, verschlagen? Nichts gegen Klischees, aber ein bisschen mehr | |
Fantasie hätte es schon sein dürfen. Die Schafe in den Nationalfarben | |
Grün-Weiß-Orange, daneben ein Zwerg und der Text „Proud to be Irish“ sind | |
nicht sonderlich originell. | |
Das Foto eines Autos, das in einer Schafherde feststeckt, hat seit 25 | |
Jahren die Bildunterschrift: „Berufsverkehr in Irland“. Und was schreibt | |
man auf eine Postkarte, auf der ein alter Mann mit Gummistiefeln und | |
Tweedmütze seinen Regenmantel vor einer Herde Kühe öffnet? „Der Ire zeigt | |
fremden Kühen gerne seinen Penis.“ Das ist nicht viel besser als ein Foto | |
eines in die Sangria brechenden Mannes. | |
Früher, in den Fünfzigerjahren, gab es in Irland nur Postkarten von dem | |
Fotografen John Hinde. Auch damals waren meist Schafe und Esel abgebildet – | |
oder rothaarige Kinder mit ebensolchen Gesichtern, die wegen der | |
Nachkolorierung aussahen, als stünden sie kurz vor dem Tod durch | |
Bluthochdruck. Diese Karten hatten ja wenigstens noch Charme. | |
Heutzutage erscheinen die Einheimischen auf den „humorous cards“ als | |
trunksüchtige Trottel und hinterwäldlerische Kobolde. Die Leprechauns gibt | |
es auch als Computervirus. Wer ihn herunterlädt, erhält ein Bild von einem | |
kleinen Männchen mit rotem Bart, grüner Mütze mit Kleeblatt, der irre | |
blickend ein großes Bier schwenkt. Man erfährt, dass man sich soeben einen | |
irischen Virus eingefangen hat. „Da wir in Irland technologisch noch nicht | |
besonders weit entwickelt sind, handelt es sich um einen manuellen Virus“, | |
heißt es weiter. „Bitte lösche sämtliche Dateien auf deiner Festplatte und | |
sende diese Mail an alle Personen, die du kennst.“ | |
18 Oct 2004 | |
## AUTOREN | |
RALF SOTSCHECK | |
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