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# taz.de -- Dämonischer Ozean
> Die Theatergruppe norton.commander.productions inszeniert Stanislaw Lems
> „Solaris“ in Dresden
Es dürfte ein zwiespältiges Verhältnis sein, das der polnische
Schriftsteller Stanislaw Lem im Laufe der Jahre zu seinem bekanntesten Buch
„Solaris“ entwickelt hat. Obwohl er neben mehr als zwanzig Romanen auch
zahllose Erzählungen, philosophische und kulturwissenschaftliche Essays,
autobiografische Skizzen, Filmszenarien, Hörspiele sowie Gedichte, Märchen
und Krimis veröffentlicht hat, wird seine öffentliche Wahrnehmung, vor
allem im Westen, oft auf dieses einzige Buch reduziert.
Dies hängt auch mit der Nachnutzung durch Film und Theater zusammen.
Nachdem Lem selbst die international als Meisterwerk anerkannte Verfilmung
durch Tarkowski (1972) als Missverständnis bezeichnet haben soll, setzte er
sich der aktuellen Hollywood-Adaption (2003) gar nicht erst aus. „Er hat
ihn nicht gesehen und will ihn auch nicht sehen“, räumte Regisseur Steven
Soderbergh wortkarg ein. Auch zu den Bearbeitungen seines Stoffs für das
Theater sind keine Äußerungen Lems bekannt. Deren gab es in jüngster Zeit
auf deutschen Bühnen bereits zwei: im Sommer 2003 bei Kampnagel Hamburg
durch Susanne Reifenrath und ein Jahr später auf dem stillgelegten
Flugplatz Neuhardenberg durch Martin Wuttke.
Warum Lem allgemein und „Solaris“ speziell gerade jetzt für das Theater
entdeckt wird, erscheint im jüngsten Fall noch am ehesten plausibel. Hinter
dem Label norton.commander.productions verbergen sich Harriet und Peter
Meining – ein Produktions- und Regieduo, das eine ostdeutsche, auch von der
Lektüre Lem’scher Werke geprägte Sozialisierung durchlebt hat. Lem: „Eine
sehr große Auflage hatte ich in der DDR. Ich war ja kein Dissident. Für die
Kommunisten saß ich irgendwo in den Sternen.“ Für die nach Orientierung
suchenden Jugendlichen des Ostens wiederum bot die „fantastische Literatur“
– wie das Genre offiziell genannt wurde – eine ideale Projektionsfläche f�…
die eigenen existenziellen Grübeleien. (Bereits 1968 gab es am jetzigen
Premierenort Dresden einen offiziellen „Stanislaw-Lem-Fanclub“).
Ursprünglich wollten sich die Meinings einiger Handlungsstränge aus „Der
futurologische Kongress“ für ihre Bühnenbearbeitung annehmen; dies erwies
sich als strukturell problematisch. Das sie am Stoff interessierende Thema
simulierter Wirklichkeit fanden sie in „Solaris“ wieder.
Chris Kelvin wird als Psychologe zu einer entlegenen Raumstation geschickt,
um dort mysteriöse Vorgänge aufzuklären: Von dem umkreisten Planeten
Solaris und seiner wabernden Oberfläche sollen Kräfte ausgehen, die
verdrängte Erinnerungen der Astronauten zu materialisieren scheinen. Glaubt
Kelvin zunächst noch an eine kollektive Halluzination, wird er sehr bald
selbst von den Strudeln des offenbar intelligenten Riesenorganismus
eingesogen. Der Konfrontation mit seiner einstigen Geliebten Harey, die
sich unter seinem Mitverschulden das Leben genommen hatte, ist der
Wissenschaftler nicht gewachsen. Dabei ist doch Solaris nur der Spiegel
seiner eigenen Hölle.
Hatte Tarkowski diese Konstellation in eine von biblischen Motiven
durchsetzte metaphysische Ebene aufgelöst, reduzierte Soderbergh sie auf
die Love Story mit eingebautem Happy End. In der Dresdner Inszenierung
wurde spürbar auf eine Distanzierung von beiden Interpretationen Wert
gelegt. Die beiden wichtigsten Ereignisse des Plots – das Eintreffen
Kalvins auf der Station und seine Erstbegegnung mit dem Phantom der
Geliebten – werden ganz an den Beginn des Stücks geschoben, dabei betont
beiläufig in Szene gesetzt, fast wie nebenbei erzählt.
Ergebnis dieses Verfahrens ist die weitere Bremsung einer ohnehin schon
wenig dynamischen Situation. Um diese szenische Schwerelosigkeit
aufzulösen, werden über Video- und Tonbandeinspielungen sowie durch das
Auftreten zusätzlicher Personen (und Tiere) Versuche vertikaler Montage
unternommen. Dies gelingt nicht immer, trägt eher zur Zerfaserung denn
Präzisierung bei. Auch das mitunter etwas konturlose Erscheinungsbild der
beiden Hauptdarsteller fügt sich in diese Tendenz der Selbstauflösung – so,
als hätte der dämonische Ozean von „Solaris“ seine Kräfte bis nach Helle…
entfaltet. CLAUS LÖSER
„Solaris“. Weitere Termine: 18. 11. Hannover, 24.–27.11. Zürich, Januar
2005: Düsseldorf, Februar: Frankfurt/Main, März: Hebbel am Ufer, Berlin
25 Oct 2004
## AUTOREN
CLAUS LÖSER
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